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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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die einförmigste Thätigkeitsäußerung, die man ihnen geben konnte,
nämlich das ewige Singen und Musiciren derselben Art, habe aus-
drücken wollen.

Die Geschichte der Engel für sich hat also nichts Mythologisches,
außer inwiefern sie die der Empörung und der Verstoßung des Luci-
fer
in sich begreift, welcher schon eine entschiedenere Individualität
und eine realistischere Natur ist. Diese bildet eine wirklich mytholo-
gische Ansicht der Geschichte der Welt, obgleich freilich etwas in unge-
heurem und orientalischem Styl.

Das Reich der Engel auf der einen und des Teufels auf der
andern Seite zeigt die reine Geschiedenheit des guten und bösen Prin-
cips, welches in allen concreten Dingen gemischt ist. Der Abfall Lu-
cifers, welcher zugleich die Welt mit verderbte und den Tod in sie
brachte, ist also eine mythologische Erklärung der concreten Welt, der
Mischung des unendlichen und endlichen Princips in den sinnlichen Din-
gen, da nämlich den Orientalen das Endliche überhaupt vom Argen
und in keinem Verhältniß, auch dem der Idee nicht, vom Guten ist.
Diese Mythologie erstreckt sich bis an das Weltende, wo nämlich die
Scheidung des Guten und Bösen aufs neue vorgehen, und jedes der
beiden in seine reine Qualität gestellt werden wird, womit nothwendig
Untergang des Concreten, und das Feuer als Symbol des ausgegliche-
nen Streits im Concreten die Welt verzehren wird. Bis dahin theilt
das böse Princip gar sehr mit Gott die Herrschaft über die Erde,
obgleich die Menschwerdung Christi den ersten Ansatz zu einem ihm ent-
gegengesetzten Reich auf der Erde machte. (Vollständiger wird von dieser
orientalischen Maske erst bei der modernen Komödie die Rede seyn
können, da nämlich Lucifer in der späteren Zeit allgemein die Rolle
der lustigen Person im Universum hat, als einer, der beständig neue
Plane entwirft, die ihm in der Regel immer wieder vereitelt werden,
der aber so gierig auf Seelen ist, daß er sich sogar zu den niederträch-
tigsten Diensten hergibt, und doch nachher oft, wegen der beständigen
Bereitschaft der Gnadenmittel und der Kirche, wenn er seiner Sache
am gewissesten zu seyn glaubt, mit langer Nase abziehen muß. Wir

die einförmigſte Thätigkeitsäußerung, die man ihnen geben konnte,
nämlich das ewige Singen und Muſiciren derſelben Art, habe aus-
drücken wollen.

Die Geſchichte der Engel für ſich hat alſo nichts Mythologiſches,
außer inwiefern ſie die der Empörung und der Verſtoßung des Luci-
fer
in ſich begreift, welcher ſchon eine entſchiedenere Individualität
und eine realiſtiſchere Natur iſt. Dieſe bildet eine wirklich mytholo-
giſche Anſicht der Geſchichte der Welt, obgleich freilich etwas in unge-
heurem und orientaliſchem Styl.

Das Reich der Engel auf der einen und des Teufels auf der
andern Seite zeigt die reine Geſchiedenheit des guten und böſen Prin-
cips, welches in allen concreten Dingen gemiſcht iſt. Der Abfall Lu-
cifers, welcher zugleich die Welt mit verderbte und den Tod in ſie
brachte, iſt alſo eine mythologiſche Erklärung der concreten Welt, der
Miſchung des unendlichen und endlichen Princips in den ſinnlichen Din-
gen, da nämlich den Orientalen das Endliche überhaupt vom Argen
und in keinem Verhältniß, auch dem der Idee nicht, vom Guten iſt.
Dieſe Mythologie erſtreckt ſich bis an das Weltende, wo nämlich die
Scheidung des Guten und Böſen aufs neue vorgehen, und jedes der
beiden in ſeine reine Qualität geſtellt werden wird, womit nothwendig
Untergang des Concreten, und das Feuer als Symbol des ausgegliche-
nen Streits im Concreten die Welt verzehren wird. Bis dahin theilt
das böſe Princip gar ſehr mit Gott die Herrſchaft über die Erde,
obgleich die Menſchwerdung Chriſti den erſten Anſatz zu einem ihm ent-
gegengeſetzten Reich auf der Erde machte. (Vollſtändiger wird von dieſer
orientaliſchen Maske erſt bei der modernen Komödie die Rede ſeyn
können, da nämlich Lucifer in der ſpäteren Zeit allgemein die Rolle
der luſtigen Perſon im Univerſum hat, als einer, der beſtändig neue
Plane entwirft, die ihm in der Regel immer wieder vereitelt werden,
der aber ſo gierig auf Seelen iſt, daß er ſich ſogar zu den niederträch-
tigſten Dienſten hergibt, und doch nachher oft, wegen der beſtändigen
Bereitſchaft der Gnadenmittel und der Kirche, wenn er ſeiner Sache
am gewiſſeſten zu ſeyn glaubt, mit langer Naſe abziehen muß. Wir

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[437/0113] die einförmigſte Thätigkeitsäußerung, die man ihnen geben konnte, nämlich das ewige Singen und Muſiciren derſelben Art, habe aus- drücken wollen. Die Geſchichte der Engel für ſich hat alſo nichts Mythologiſches, außer inwiefern ſie die der Empörung und der Verſtoßung des Luci- fer in ſich begreift, welcher ſchon eine entſchiedenere Individualität und eine realiſtiſchere Natur iſt. Dieſe bildet eine wirklich mytholo- giſche Anſicht der Geſchichte der Welt, obgleich freilich etwas in unge- heurem und orientaliſchem Styl. Das Reich der Engel auf der einen und des Teufels auf der andern Seite zeigt die reine Geſchiedenheit des guten und böſen Prin- cips, welches in allen concreten Dingen gemiſcht iſt. Der Abfall Lu- cifers, welcher zugleich die Welt mit verderbte und den Tod in ſie brachte, iſt alſo eine mythologiſche Erklärung der concreten Welt, der Miſchung des unendlichen und endlichen Princips in den ſinnlichen Din- gen, da nämlich den Orientalen das Endliche überhaupt vom Argen und in keinem Verhältniß, auch dem der Idee nicht, vom Guten iſt. Dieſe Mythologie erſtreckt ſich bis an das Weltende, wo nämlich die Scheidung des Guten und Böſen aufs neue vorgehen, und jedes der beiden in ſeine reine Qualität geſtellt werden wird, womit nothwendig Untergang des Concreten, und das Feuer als Symbol des ausgegliche- nen Streits im Concreten die Welt verzehren wird. Bis dahin theilt das böſe Princip gar ſehr mit Gott die Herrſchaft über die Erde, obgleich die Menſchwerdung Chriſti den erſten Anſatz zu einem ihm ent- gegengeſetzten Reich auf der Erde machte. (Vollſtändiger wird von dieſer orientaliſchen Maske erſt bei der modernen Komödie die Rede ſeyn können, da nämlich Lucifer in der ſpäteren Zeit allgemein die Rolle der luſtigen Perſon im Univerſum hat, als einer, der beſtändig neue Plane entwirft, die ihm in der Regel immer wieder vereitelt werden, der aber ſo gierig auf Seelen iſt, daß er ſich ſogar zu den niederträch- tigſten Dienſten hergibt, und doch nachher oft, wegen der beſtändigen Bereitſchaft der Gnadenmittel und der Kirche, wenn er ſeiner Sache am gewiſſeſten zu ſeyn glaubt, mit langer Naſe abziehen muß. Wir

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/113>, abgerufen am 30.04.2024.