Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

Bild:
<< vorherige Seite

Göttern. Diese leiden nicht, sondern sind selig in ihrer Endlichkeit. Auch
Prometheus, selbst ein Gott, leidet nicht, da sein Leiden zugleich Thä-
tigkeit und Empörung ist. Das reine Leiden kann nie Gegenstand der
Kunst seyn. Selbst als Mensch genommen kann Christus doch nie
anders als duldend genommen werden, weil die Menschheit bei ihm
übernommene Last, nicht Natur ist, wie den griechischen Göttern, und
seine menschliche Natur durch ihre Theilnahme an der göttlichen selbst
für die Leiden der Welt fühlbarer wird, und auffallend genug ist, daß
die ächte Malerei Christum am liebsten und häufigsten als Kind abge-
bildet hat, gleichsam als ob, wie jemand sehr richtig bemerkt hat, das
Problem dieser wunderbaren -- nicht Indifferenz, sondern -- Mischung
der göttlichen und menschlichen Natur nur in der Unbestimmtheit des
Kindes vollkommen lösbar wäre.

Den gleichen Charakter des Leidens und der Demuth trägt auch
das Bild der Mutter Gottes. Auch dieses hat, wenn vielleicht nicht
in den Ideen der Kirche, doch durch eine innere Nothwendigkeit eine
symbolische Bedeutung. Es ist Symbol der allgemeinen Natur oder
des mütterlichen Princips aller Dinge, welches ewig jungfräulich blüht.
Allein in der Mythologie des Christenthums hat auch dieses Bild keine
Beziehung auf Materie (daher keine symbolische Bedeutung), und nur
die moralische Beziehung ist geblieben. Maria bezeichnet als Urbild den
Charakter der Weiblichkeit, den das ganze Christenthum hat. Das
Vorherrschende des Antiken ist das Erhabene, Männliche, des Moder-
nen das Schöne, demnach das Weibliche.

Es ist ganz dem gemäß, was überhaupt als Princip des Christen-
thums anzusehen ist: daß es keine vollendeten Symbole, sondern
nur symbolische Handlungen hat. Der ganze Geist des Christen-
thums ist der des Handelns. Das Unendliche ist nicht mehr im End-
lichen, das Endliche kann nur ins Unendliche übergehen; nur in diesem
können beide eins werden. Die Einheit des Endlichen und Unendlichen
ist also im Christenthum Handlung. Die erste symbolische Handlung
Christi ist die Taufe, wo der Himmel sich ihm verband, der Geist in
sichtbarer Gestalt herabkam, die andere sein Tod, wo er den Geist

Schelling, sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 28

Göttern. Dieſe leiden nicht, ſondern ſind ſelig in ihrer Endlichkeit. Auch
Prometheus, ſelbſt ein Gott, leidet nicht, da ſein Leiden zugleich Thä-
tigkeit und Empörung iſt. Das reine Leiden kann nie Gegenſtand der
Kunſt ſeyn. Selbſt als Menſch genommen kann Chriſtus doch nie
anders als duldend genommen werden, weil die Menſchheit bei ihm
übernommene Laſt, nicht Natur iſt, wie den griechiſchen Göttern, und
ſeine menſchliche Natur durch ihre Theilnahme an der göttlichen ſelbſt
für die Leiden der Welt fühlbarer wird, und auffallend genug iſt, daß
die ächte Malerei Chriſtum am liebſten und häufigſten als Kind abge-
bildet hat, gleichſam als ob, wie jemand ſehr richtig bemerkt hat, das
Problem dieſer wunderbaren — nicht Indifferenz, ſondern — Miſchung
der göttlichen und menſchlichen Natur nur in der Unbeſtimmtheit des
Kindes vollkommen lösbar wäre.

Den gleichen Charakter des Leidens und der Demuth trägt auch
das Bild der Mutter Gottes. Auch dieſes hat, wenn vielleicht nicht
in den Ideen der Kirche, doch durch eine innere Nothwendigkeit eine
ſymboliſche Bedeutung. Es iſt Symbol der allgemeinen Natur oder
des mütterlichen Princips aller Dinge, welches ewig jungfräulich blüht.
Allein in der Mythologie des Chriſtenthums hat auch dieſes Bild keine
Beziehung auf Materie (daher keine ſymboliſche Bedeutung), und nur
die moraliſche Beziehung iſt geblieben. Maria bezeichnet als Urbild den
Charakter der Weiblichkeit, den das ganze Chriſtenthum hat. Das
Vorherrſchende des Antiken iſt das Erhabene, Männliche, des Moder-
nen das Schöne, demnach das Weibliche.

Es iſt ganz dem gemäß, was überhaupt als Princip des Chriſten-
thums anzuſehen iſt: daß es keine vollendeten Symbole, ſondern
nur ſymboliſche Handlungen hat. Der ganze Geiſt des Chriſten-
thums iſt der des Handelns. Das Unendliche iſt nicht mehr im End-
lichen, das Endliche kann nur ins Unendliche übergehen; nur in dieſem
können beide eins werden. Die Einheit des Endlichen und Unendlichen
iſt alſo im Chriſtenthum Handlung. Die erſte ſymboliſche Handlung
Chriſti iſt die Taufe, wo der Himmel ſich ihm verband, der Geiſt in
ſichtbarer Geſtalt herabkam, die andere ſein Tod, wo er den Geiſt

Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 28
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0109" n="433"/>
Göttern. Die&#x017F;e leiden nicht, &#x017F;ondern &#x017F;ind &#x017F;elig in ihrer Endlichkeit. Auch<lb/>
Prometheus, &#x017F;elb&#x017F;t ein Gott, leidet nicht, da &#x017F;ein Leiden zugleich Thä-<lb/>
tigkeit und Empörung i&#x017F;t. Das reine Leiden kann nie Gegen&#x017F;tand der<lb/>
Kun&#x017F;t &#x017F;eyn. Selb&#x017F;t als Men&#x017F;ch genommen kann Chri&#x017F;tus doch nie<lb/>
anders als duldend genommen werden, weil die Men&#x017F;chheit bei ihm<lb/>
übernommene <hi rendition="#g">La&#x017F;t</hi>, nicht Natur i&#x017F;t, wie den griechi&#x017F;chen Göttern, und<lb/>
&#x017F;eine men&#x017F;chliche Natur durch ihre Theilnahme an der göttlichen &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
für die Leiden der Welt fühlbarer wird, und auffallend genug i&#x017F;t, daß<lb/>
die ächte Malerei Chri&#x017F;tum am lieb&#x017F;ten und häufig&#x017F;ten als Kind abge-<lb/>
bildet hat, gleich&#x017F;am als ob, wie jemand &#x017F;ehr richtig bemerkt hat, das<lb/>
Problem die&#x017F;er wunderbaren &#x2014; nicht Indifferenz, &#x017F;ondern &#x2014; Mi&#x017F;chung<lb/>
der göttlichen und men&#x017F;chlichen Natur nur in der Unbe&#x017F;timmtheit des<lb/>
Kindes vollkommen lösbar wäre.</p><lb/>
            <p>Den gleichen Charakter des Leidens und der Demuth trägt auch<lb/>
das Bild der <hi rendition="#g">Mutter Gottes</hi>. Auch die&#x017F;es hat, wenn vielleicht nicht<lb/>
in den Ideen der <hi rendition="#g">Kirche</hi>, doch durch eine innere Nothwendigkeit eine<lb/>
&#x017F;ymboli&#x017F;che Bedeutung. Es i&#x017F;t Symbol der allgemeinen Natur oder<lb/>
des mütterlichen Princips aller Dinge, welches ewig jungfräulich blüht.<lb/>
Allein in der Mythologie des Chri&#x017F;tenthums hat auch die&#x017F;es Bild keine<lb/>
Beziehung auf Materie (daher keine &#x017F;ymboli&#x017F;che Bedeutung), und nur<lb/>
die morali&#x017F;che Beziehung i&#x017F;t geblieben. Maria bezeichnet als Urbild den<lb/>
Charakter der Weiblichkeit, den das ganze Chri&#x017F;tenthum hat. Das<lb/>
Vorherr&#x017F;chende des Antiken i&#x017F;t das Erhabene, Männliche, des Moder-<lb/>
nen das Schöne, demnach das Weibliche.</p><lb/>
            <p>Es i&#x017F;t ganz dem gemäß, was überhaupt als Princip des Chri&#x017F;ten-<lb/>
thums anzu&#x017F;ehen i&#x017F;t: daß es keine vollendeten Symbole, &#x017F;ondern<lb/>
nur &#x017F;ymboli&#x017F;che <hi rendition="#g">Handlungen</hi> hat. Der ganze Gei&#x017F;t des Chri&#x017F;ten-<lb/>
thums i&#x017F;t der des Handelns. Das Unendliche <hi rendition="#g">i&#x017F;t</hi> nicht mehr im End-<lb/>
lichen, das Endliche kann nur ins Unendliche übergehen; nur in die&#x017F;em<lb/>
können beide eins werden. Die Einheit des Endlichen und Unendlichen<lb/>
i&#x017F;t al&#x017F;o im Chri&#x017F;tenthum Handlung. Die er&#x017F;te &#x017F;ymboli&#x017F;che Handlung<lb/>
Chri&#x017F;ti i&#x017F;t die Taufe, wo der Himmel &#x017F;ich ihm verband, der Gei&#x017F;t in<lb/>
&#x017F;ichtbarer Ge&#x017F;talt herabkam, die andere &#x017F;ein Tod, wo er den Gei&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Schelling</hi>, &#x017F;ämmtl. Werke. 1. Abth. <hi rendition="#aq">V.</hi> 28</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[433/0109] Göttern. Dieſe leiden nicht, ſondern ſind ſelig in ihrer Endlichkeit. Auch Prometheus, ſelbſt ein Gott, leidet nicht, da ſein Leiden zugleich Thä- tigkeit und Empörung iſt. Das reine Leiden kann nie Gegenſtand der Kunſt ſeyn. Selbſt als Menſch genommen kann Chriſtus doch nie anders als duldend genommen werden, weil die Menſchheit bei ihm übernommene Laſt, nicht Natur iſt, wie den griechiſchen Göttern, und ſeine menſchliche Natur durch ihre Theilnahme an der göttlichen ſelbſt für die Leiden der Welt fühlbarer wird, und auffallend genug iſt, daß die ächte Malerei Chriſtum am liebſten und häufigſten als Kind abge- bildet hat, gleichſam als ob, wie jemand ſehr richtig bemerkt hat, das Problem dieſer wunderbaren — nicht Indifferenz, ſondern — Miſchung der göttlichen und menſchlichen Natur nur in der Unbeſtimmtheit des Kindes vollkommen lösbar wäre. Den gleichen Charakter des Leidens und der Demuth trägt auch das Bild der Mutter Gottes. Auch dieſes hat, wenn vielleicht nicht in den Ideen der Kirche, doch durch eine innere Nothwendigkeit eine ſymboliſche Bedeutung. Es iſt Symbol der allgemeinen Natur oder des mütterlichen Princips aller Dinge, welches ewig jungfräulich blüht. Allein in der Mythologie des Chriſtenthums hat auch dieſes Bild keine Beziehung auf Materie (daher keine ſymboliſche Bedeutung), und nur die moraliſche Beziehung iſt geblieben. Maria bezeichnet als Urbild den Charakter der Weiblichkeit, den das ganze Chriſtenthum hat. Das Vorherrſchende des Antiken iſt das Erhabene, Männliche, des Moder- nen das Schöne, demnach das Weibliche. Es iſt ganz dem gemäß, was überhaupt als Princip des Chriſten- thums anzuſehen iſt: daß es keine vollendeten Symbole, ſondern nur ſymboliſche Handlungen hat. Der ganze Geiſt des Chriſten- thums iſt der des Handelns. Das Unendliche iſt nicht mehr im End- lichen, das Endliche kann nur ins Unendliche übergehen; nur in dieſem können beide eins werden. Die Einheit des Endlichen und Unendlichen iſt alſo im Chriſtenthum Handlung. Die erſte ſymboliſche Handlung Chriſti iſt die Taufe, wo der Himmel ſich ihm verband, der Geiſt in ſichtbarer Geſtalt herabkam, die andere ſein Tod, wo er den Geiſt Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 28

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/109
Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/109>, abgerufen am 28.11.2024.