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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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um das Endliche zu thun; Christus kommt in die Menschheit in ihrer
Niedrigkeit und zieht Knechtsgestalt an, um zu leiden und das End-
liche in seinem Beispiel zu vernichten. Hier ist keine Vergötterung der
Menschheit, wie in der griechischen Mythologie; es ist eine Menschwer-
dung Gottes in der Absicht, das von Gott abgefallene Endliche durch
die Vernichtung in seiner Person mit Gott zu versöhnen. Nicht das
Endliche wird hier absolut und Symbol des Unendlichen; der Mensch-
gewordene Gott ist keine bleibende, ewige Gestalt, sondern nur eine von
Ewigkeit zwar beschlossene, in der Zeit aber vergängliche Erscheinung.
In Christus wird viel mehr das Endliche durch das Unendliche als dieses
durch jenes symbolisirt. Christus geht in die übersinnliche Welt zurück,
und verheißt statt seiner den Geist -- nicht das ins Endliche kommende,
im Endlichen bleibende Princip, sondern das ideale Princip, welches
vielmehr das Endliche ins Unendliche und zum Unendlichen führen soll.
Es ist, als ob Christus als das in die Endlichkeit gekommene und sie
in seiner menschlichen Gestalt Gott opfernde Unendliche den Schluß der
alten Zeit machte; er ist bloß da, um die Grenze zu machen -- der
letzte Gott. Nach ihm kommt der Geist, das ideelle Princip, die
herrschende Seele der neuen Welt. Inwiefern die alten Götter gleich-
falls das Unendliche im Endlichen, aber mit vollkommener Realität, waren,
mußte das wahre Unendliche -- der wahre Gott -- endlich werden,
um an sich die Vernichtung des Endlichen zu zeigen. Insofern war
Christus zugleich der Gipfel und das Ende der alten Götterwelt. Dieß
beweist, daß die Erscheinung Christi, weit entfernt der Anfang eines
neuen Polytheismus zu seyn, vielmehr die Götterwelt absolut schloß.

Es ist nicht leicht zu sagen, inwiefern eigentlich Christus eine poe-
tische Person ist. Nicht rein als Gott; denn er ist in seiner Mensch-
heit nicht Gott, wie es die griechischen Götter unbeschadet ihrer End-
lichkeit sind, sondern wahrer Mensch, selbst den Leiden der Menschheit
untergeordnet. Nicht als Mensch, denn er ist doch auch nicht von allen
Seiten zum Menschen begrenzt. Die Synthesis dieser Widersprüche
liegt nur in der Idee eines freiwillig leidenden Gottes. Aber
eben dadurch ist er die antipodische Entgegensetzung mit den alten

um das Endliche zu thun; Chriſtus kommt in die Menſchheit in ihrer
Niedrigkeit und zieht Knechtsgeſtalt an, um zu leiden und das End-
liche in ſeinem Beiſpiel zu vernichten. Hier iſt keine Vergötterung der
Menſchheit, wie in der griechiſchen Mythologie; es iſt eine Menſchwer-
dung Gottes in der Abſicht, das von Gott abgefallene Endliche durch
die Vernichtung in ſeiner Perſon mit Gott zu verſöhnen. Nicht das
Endliche wird hier abſolut und Symbol des Unendlichen; der Menſch-
gewordene Gott iſt keine bleibende, ewige Geſtalt, ſondern nur eine von
Ewigkeit zwar beſchloſſene, in der Zeit aber vergängliche Erſcheinung.
In Chriſtus wird viel mehr das Endliche durch das Unendliche als dieſes
durch jenes ſymboliſirt. Chriſtus geht in die überſinnliche Welt zurück,
und verheißt ſtatt ſeiner den Geiſt — nicht das ins Endliche kommende,
im Endlichen bleibende Princip, ſondern das ideale Princip, welches
vielmehr das Endliche ins Unendliche und zum Unendlichen führen ſoll.
Es iſt, als ob Chriſtus als das in die Endlichkeit gekommene und ſie
in ſeiner menſchlichen Geſtalt Gott opfernde Unendliche den Schluß der
alten Zeit machte; er iſt bloß da, um die Grenze zu machen — der
letzte Gott. Nach ihm kommt der Geiſt, das ideelle Princip, die
herrſchende Seele der neuen Welt. Inwiefern die alten Götter gleich-
falls das Unendliche im Endlichen, aber mit vollkommener Realität, waren,
mußte das wahre Unendliche — der wahre Gott — endlich werden,
um an ſich die Vernichtung des Endlichen zu zeigen. Inſofern war
Chriſtus zugleich der Gipfel und das Ende der alten Götterwelt. Dieß
beweist, daß die Erſcheinung Chriſti, weit entfernt der Anfang eines
neuen Polytheismus zu ſeyn, vielmehr die Götterwelt abſolut ſchloß.

Es iſt nicht leicht zu ſagen, inwiefern eigentlich Chriſtus eine poe-
tiſche Perſon iſt. Nicht rein als Gott; denn er iſt in ſeiner Menſch-
heit nicht Gott, wie es die griechiſchen Götter unbeſchadet ihrer End-
lichkeit ſind, ſondern wahrer Menſch, ſelbſt den Leiden der Menſchheit
untergeordnet. Nicht als Menſch, denn er iſt doch auch nicht von allen
Seiten zum Menſchen begrenzt. Die Syntheſis dieſer Widerſprüche
liegt nur in der Idee eines freiwillig leidenden Gottes. Aber
eben dadurch iſt er die antipodiſche Entgegenſetzung mit den alten

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[432/0108] um das Endliche zu thun; Chriſtus kommt in die Menſchheit in ihrer Niedrigkeit und zieht Knechtsgeſtalt an, um zu leiden und das End- liche in ſeinem Beiſpiel zu vernichten. Hier iſt keine Vergötterung der Menſchheit, wie in der griechiſchen Mythologie; es iſt eine Menſchwer- dung Gottes in der Abſicht, das von Gott abgefallene Endliche durch die Vernichtung in ſeiner Perſon mit Gott zu verſöhnen. Nicht das Endliche wird hier abſolut und Symbol des Unendlichen; der Menſch- gewordene Gott iſt keine bleibende, ewige Geſtalt, ſondern nur eine von Ewigkeit zwar beſchloſſene, in der Zeit aber vergängliche Erſcheinung. In Chriſtus wird viel mehr das Endliche durch das Unendliche als dieſes durch jenes ſymboliſirt. Chriſtus geht in die überſinnliche Welt zurück, und verheißt ſtatt ſeiner den Geiſt — nicht das ins Endliche kommende, im Endlichen bleibende Princip, ſondern das ideale Princip, welches vielmehr das Endliche ins Unendliche und zum Unendlichen führen ſoll. Es iſt, als ob Chriſtus als das in die Endlichkeit gekommene und ſie in ſeiner menſchlichen Geſtalt Gott opfernde Unendliche den Schluß der alten Zeit machte; er iſt bloß da, um die Grenze zu machen — der letzte Gott. Nach ihm kommt der Geiſt, das ideelle Princip, die herrſchende Seele der neuen Welt. Inwiefern die alten Götter gleich- falls das Unendliche im Endlichen, aber mit vollkommener Realität, waren, mußte das wahre Unendliche — der wahre Gott — endlich werden, um an ſich die Vernichtung des Endlichen zu zeigen. Inſofern war Chriſtus zugleich der Gipfel und das Ende der alten Götterwelt. Dieß beweist, daß die Erſcheinung Chriſti, weit entfernt der Anfang eines neuen Polytheismus zu ſeyn, vielmehr die Götterwelt abſolut ſchloß. Es iſt nicht leicht zu ſagen, inwiefern eigentlich Chriſtus eine poe- tiſche Perſon iſt. Nicht rein als Gott; denn er iſt in ſeiner Menſch- heit nicht Gott, wie es die griechiſchen Götter unbeſchadet ihrer End- lichkeit ſind, ſondern wahrer Menſch, ſelbſt den Leiden der Menſchheit untergeordnet. Nicht als Menſch, denn er iſt doch auch nicht von allen Seiten zum Menſchen begrenzt. Die Syntheſis dieſer Widerſprüche liegt nur in der Idee eines freiwillig leidenden Gottes. Aber eben dadurch iſt er die antipodiſche Entgegenſetzung mit den alten

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/108>, abgerufen am 01.05.2024.