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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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zurück. In dieser wird das Universum angeschaut als Natur, in
jener aber als moralische Welt. Der Charakter der Natur ist unge-
trennte Einheit des Unendlichen mit dem Endlichen: das Endliche ist
herrschend, aber in ihm als der gemeinschaftlichen Hülle liegt der Keim
des Absoluten, der ganzen Einheit des Unendlichen und Endlichen.
Der Charakter der moralischen Welt -- die Freiheit -- ist ursprüng-
lich
Entgegensetzung des Endlichen und Unendlichen mit der absoluten
Forderung der Aufhebung des Gegensatzes. Aber selbst diese, da sie
auf einem Einbilden des Endlichen ins Unendliche beruht, steht wieder
unter der Bestimmung der Unendlichkeit, so daß der Gegensatz zwar
immer im Einzelnen, aber doch nie im Ganzen aufgehoben seyn kann.

Wenn also die in der griechischen Mythologie erfüllte Forderung
Darstellung des Unendlichen als solchen im Endlichen, demnach Sym-
bolik des Unendlichen war, so liegt dem Christenthum die entgegengesetzte
zu Grunde, das Endliche ins Unendliche aufzunehmen, d. h. es zur
Allegorie des Unendlichen zu machen. Im ersten Fall gilt das Endliche
etwas für sich, denn es nimmt das Unendliche in sich selbst auf, im
andern Fall ist das Endliche für sich selbst nichts, sondern nur, sofern
es das Unendliche bedeutet. Unterordnung des Endlichen unter das
Unendliche ist also Charakter einer solchen Religion.

Im Heidenthum ist das Endliche als in sich selbst unendlich so weit
geltend gegen das Unendliche, daß in ihm sogar Aufstand gegen das
Göttliche möglich, und dieser sogar Princip der Erhabenheit ist. Im
Christenthum ist unbedingte Hingabe an das Unermeßliche, und dieß
einziges Princip der Schönheit. -- Aus dieser Entgegensetzung lassen
sich alle anderen möglichen Gegensätze des Heidenthums und Christen-
thums vollkommen begreifen; z. B. in jenem die heroischen, in diesem
die milden und sanften Tugenden herrschend, dort strenge Tapferkeit,
hier Liebe oder wenigstens Tapferkeit durch Liebe gemäßigt und gemil-
dert, wie in den Zeiten der Chevalerie.

Man könnte glauben, daß in der Idee des Christenthums, die
eine Mehrheit von Personen in der Gottheit behauptet, eine Spur von
Polytheismus sey; daß aber die Dreieinigkeit als solche nicht als

zurück. In dieſer wird das Univerſum angeſchaut als Natur, in
jener aber als moraliſche Welt. Der Charakter der Natur iſt unge-
trennte Einheit des Unendlichen mit dem Endlichen: das Endliche iſt
herrſchend, aber in ihm als der gemeinſchaftlichen Hülle liegt der Keim
des Abſoluten, der ganzen Einheit des Unendlichen und Endlichen.
Der Charakter der moraliſchen Welt — die Freiheit — iſt urſprüng-
lich
Entgegenſetzung des Endlichen und Unendlichen mit der abſoluten
Forderung der Aufhebung des Gegenſatzes. Aber ſelbſt dieſe, da ſie
auf einem Einbilden des Endlichen ins Unendliche beruht, ſteht wieder
unter der Beſtimmung der Unendlichkeit, ſo daß der Gegenſatz zwar
immer im Einzelnen, aber doch nie im Ganzen aufgehoben ſeyn kann.

Wenn alſo die in der griechiſchen Mythologie erfüllte Forderung
Darſtellung des Unendlichen als ſolchen im Endlichen, demnach Sym-
bolik des Unendlichen war, ſo liegt dem Chriſtenthum die entgegengeſetzte
zu Grunde, das Endliche ins Unendliche aufzunehmen, d. h. es zur
Allegorie des Unendlichen zu machen. Im erſten Fall gilt das Endliche
etwas für ſich, denn es nimmt das Unendliche in ſich ſelbſt auf, im
andern Fall iſt das Endliche für ſich ſelbſt nichts, ſondern nur, ſofern
es das Unendliche bedeutet. Unterordnung des Endlichen unter das
Unendliche iſt alſo Charakter einer ſolchen Religion.

Im Heidenthum iſt das Endliche als in ſich ſelbſt unendlich ſo weit
geltend gegen das Unendliche, daß in ihm ſogar Aufſtand gegen das
Göttliche möglich, und dieſer ſogar Princip der Erhabenheit iſt. Im
Chriſtenthum iſt unbedingte Hingabe an das Unermeßliche, und dieß
einziges Princip der Schönheit. — Aus dieſer Entgegenſetzung laſſen
ſich alle anderen möglichen Gegenſätze des Heidenthums und Chriſten-
thums vollkommen begreifen; z. B. in jenem die heroiſchen, in dieſem
die milden und ſanften Tugenden herrſchend, dort ſtrenge Tapferkeit,
hier Liebe oder wenigſtens Tapferkeit durch Liebe gemäßigt und gemil-
dert, wie in den Zeiten der Chevalerie.

Man könnte glauben, daß in der Idee des Chriſtenthums, die
eine Mehrheit von Perſonen in der Gottheit behauptet, eine Spur von
Polytheismus ſey; daß aber die Dreieinigkeit als ſolche nicht als

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[430/0106] zurück. In dieſer wird das Univerſum angeſchaut als Natur, in jener aber als moraliſche Welt. Der Charakter der Natur iſt unge- trennte Einheit des Unendlichen mit dem Endlichen: das Endliche iſt herrſchend, aber in ihm als der gemeinſchaftlichen Hülle liegt der Keim des Abſoluten, der ganzen Einheit des Unendlichen und Endlichen. Der Charakter der moraliſchen Welt — die Freiheit — iſt urſprüng- lich Entgegenſetzung des Endlichen und Unendlichen mit der abſoluten Forderung der Aufhebung des Gegenſatzes. Aber ſelbſt dieſe, da ſie auf einem Einbilden des Endlichen ins Unendliche beruht, ſteht wieder unter der Beſtimmung der Unendlichkeit, ſo daß der Gegenſatz zwar immer im Einzelnen, aber doch nie im Ganzen aufgehoben ſeyn kann. Wenn alſo die in der griechiſchen Mythologie erfüllte Forderung Darſtellung des Unendlichen als ſolchen im Endlichen, demnach Sym- bolik des Unendlichen war, ſo liegt dem Chriſtenthum die entgegengeſetzte zu Grunde, das Endliche ins Unendliche aufzunehmen, d. h. es zur Allegorie des Unendlichen zu machen. Im erſten Fall gilt das Endliche etwas für ſich, denn es nimmt das Unendliche in ſich ſelbſt auf, im andern Fall iſt das Endliche für ſich ſelbſt nichts, ſondern nur, ſofern es das Unendliche bedeutet. Unterordnung des Endlichen unter das Unendliche iſt alſo Charakter einer ſolchen Religion. Im Heidenthum iſt das Endliche als in ſich ſelbſt unendlich ſo weit geltend gegen das Unendliche, daß in ihm ſogar Aufſtand gegen das Göttliche möglich, und dieſer ſogar Princip der Erhabenheit iſt. Im Chriſtenthum iſt unbedingte Hingabe an das Unermeßliche, und dieß einziges Princip der Schönheit. — Aus dieſer Entgegenſetzung laſſen ſich alle anderen möglichen Gegenſätze des Heidenthums und Chriſten- thums vollkommen begreifen; z. B. in jenem die heroiſchen, in dieſem die milden und ſanften Tugenden herrſchend, dort ſtrenge Tapferkeit, hier Liebe oder wenigſtens Tapferkeit durch Liebe gemäßigt und gemil- dert, wie in den Zeiten der Chevalerie. Man könnte glauben, daß in der Idee des Chriſtenthums, die eine Mehrheit von Perſonen in der Gottheit behauptet, eine Spur von Polytheismus ſey; daß aber die Dreieinigkeit als ſolche nicht als

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/106>, abgerufen am 23.11.2024.