In den ersten schriftlichen Denkmälern der Geschichte des Christen- thums rührt sich schon der Gegensatz des realistischen und idealistischen Princips im Christenthum. Der Verfasser des Evangeliums Johannis ist von den Ideen einer höheren Erkenntniß begeistert und nimmt diese zur Einleitung in seine einfache und stille Erzählung von dem Leben Christi; die andern erzählen im jüdischen Geist und umgeben seine Ge- schichte mit Fabeln, die nach Anleitung der Weissagungen im A. T. erfunden waren. Sie sind a priori überzeugt, daß diese Geschichten sich so ereignet haben müssen, da sie im A. T. vom Messias prophezeit sind, deßwegen setzen sie hinzu: "auf daß erfüllet würde, was geschrieben steht", und in Beziehung auf sie kann man sagen: Christus sey eine historische Person, deren Biographie schon vor ihrer Geburt verzeichnet gewesen.
Es ist wichtig gleich mit diesen ersten Regungen der Gegensätze im Christenthum zu bemerken, wie das realistische Princip durchaus das Uebergewicht behauptet und auch in der Folge erhält, welches noth- wendig war, wenn das Christenthum sich nicht ebenso wie alle andern ursprünglich orientalischen Religionen in Philosophie auflösen sollte. Schon zu der Zeit als die ersten Berichte vom Leben Jesu abgefaßt wurden, bildete sich im Christenthum selbst ein engerer Kreis geistige- rer Erkenntniß, Gnosis genannt. Es beweist ein richtiges Gefühl, ein sicheres Bewußtseyn dessen, was sie wollen mußten, in den ersten Verbreitern des Christenthums, daß sie sich wie einmüthig dem Ein- dringen philosophischer Systeme widersetzten. Sie entfernten mit offen- barer Ueberlegung alles, was nicht universalhistorisch, nicht Sache aller Menschen werden konnte. Wie sich das Christenthum ursprünglich aus dem Haufen der Elenden und Verachteten seine Anhänger geholt, und gleichsam in seinem Ursprung schon die demokratische Richtung hatte, so suchte es auch diese Popularität fortwährend zu erhalten.
Der erste große Schritt zur künftigen Bildung des Christenthums war der Eifer des Apostels Paulus, der jene Lehre zuerst unter die Heiden trug. Nur in dem fremden Boden konnte es sich gestalten. Es war nothwendig, daß die orientalischen Ideen in den occidentalischen
In den erſten ſchriftlichen Denkmälern der Geſchichte des Chriſten- thums rührt ſich ſchon der Gegenſatz des realiſtiſchen und idealiſtiſchen Princips im Chriſtenthum. Der Verfaſſer des Evangeliums Johannis iſt von den Ideen einer höheren Erkenntniß begeiſtert und nimmt dieſe zur Einleitung in ſeine einfache und ſtille Erzählung von dem Leben Chriſti; die andern erzählen im jüdiſchen Geiſt und umgeben ſeine Ge- ſchichte mit Fabeln, die nach Anleitung der Weiſſagungen im A. T. erfunden waren. Sie ſind a priori überzeugt, daß dieſe Geſchichten ſich ſo ereignet haben müſſen, da ſie im A. T. vom Meſſias prophezeit ſind, deßwegen ſetzen ſie hinzu: „auf daß erfüllet würde, was geſchrieben ſteht“, und in Beziehung auf ſie kann man ſagen: Chriſtus ſey eine hiſtoriſche Perſon, deren Biographie ſchon vor ihrer Geburt verzeichnet geweſen.
Es iſt wichtig gleich mit dieſen erſten Regungen der Gegenſätze im Chriſtenthum zu bemerken, wie das realiſtiſche Princip durchaus das Uebergewicht behauptet und auch in der Folge erhält, welches noth- wendig war, wenn das Chriſtenthum ſich nicht ebenſo wie alle andern urſprünglich orientaliſchen Religionen in Philoſophie auflöſen ſollte. Schon zu der Zeit als die erſten Berichte vom Leben Jeſu abgefaßt wurden, bildete ſich im Chriſtenthum ſelbſt ein engerer Kreis geiſtige- rer Erkenntniß, Gnoſis genannt. Es beweist ein richtiges Gefühl, ein ſicheres Bewußtſeyn deſſen, was ſie wollen mußten, in den erſten Verbreitern des Chriſtenthums, daß ſie ſich wie einmüthig dem Ein- dringen philoſophiſcher Syſteme widerſetzten. Sie entfernten mit offen- barer Ueberlegung alles, was nicht univerſalhiſtoriſch, nicht Sache aller Menſchen werden konnte. Wie ſich das Chriſtenthum urſprünglich aus dem Haufen der Elenden und Verachteten ſeine Anhänger geholt, und gleichſam in ſeinem Urſprung ſchon die demokratiſche Richtung hatte, ſo ſuchte es auch dieſe Popularität fortwährend zu erhalten.
Der erſte große Schritt zur künftigen Bildung des Chriſtenthums war der Eifer des Apoſtels Paulus, der jene Lehre zuerſt unter die Heiden trug. Nur in dem fremden Boden konnte es ſich geſtalten. Es war nothwendig, daß die orientaliſchen Ideen in den occidentaliſchen
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In den erſten ſchriftlichen Denkmälern der Geſchichte des Chriſten-
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Princips im Chriſtenthum. Der Verfaſſer des Evangeliums Johannis
iſt von den Ideen einer höheren Erkenntniß begeiſtert und nimmt dieſe
zur Einleitung in ſeine einfache und ſtille Erzählung von dem Leben
Chriſti; die andern erzählen im jüdiſchen Geiſt und umgeben ſeine Ge-
ſchichte mit Fabeln, die nach Anleitung der Weiſſagungen im A. T.
erfunden waren. Sie ſind a priori überzeugt, daß dieſe Geſchichten
ſich ſo ereignet haben müſſen, da ſie im A. T. vom Meſſias prophezeit
ſind, deßwegen ſetzen ſie hinzu: „auf daß erfüllet würde, was geſchrieben
ſteht“, und in Beziehung auf ſie kann man ſagen: Chriſtus ſey eine
hiſtoriſche Perſon, deren Biographie ſchon vor ihrer Geburt verzeichnet
geweſen.
Es iſt wichtig gleich mit dieſen erſten Regungen der Gegenſätze
im Chriſtenthum zu bemerken, wie das realiſtiſche Princip durchaus
das Uebergewicht behauptet und auch in der Folge erhält, welches noth-
wendig war, wenn das Chriſtenthum ſich nicht ebenſo wie alle andern
urſprünglich orientaliſchen Religionen in Philoſophie auflöſen ſollte.
Schon zu der Zeit als die erſten Berichte vom Leben Jeſu abgefaßt
wurden, bildete ſich im Chriſtenthum ſelbſt ein engerer Kreis geiſtige-
rer Erkenntniß, Gnoſis genannt. Es beweist ein richtiges Gefühl,
ein ſicheres Bewußtſeyn deſſen, was ſie wollen mußten, in den erſten
Verbreitern des Chriſtenthums, daß ſie ſich wie einmüthig dem Ein-
dringen philoſophiſcher Syſteme widerſetzten. Sie entfernten mit offen-
barer Ueberlegung alles, was nicht univerſalhiſtoriſch, nicht Sache aller
Menſchen werden konnte. Wie ſich das Chriſtenthum urſprünglich aus
dem Haufen der Elenden und Verachteten ſeine Anhänger geholt,
und gleichſam in ſeinem Urſprung ſchon die demokratiſche Richtung
hatte, ſo ſuchte es auch dieſe Popularität fortwährend zu erhalten.
Der erſte große Schritt zur künftigen Bildung des Chriſtenthums
war der Eifer des Apoſtels Paulus, der jene Lehre zuerſt unter die
Heiden trug. Nur in dem fremden Boden konnte es ſich geſtalten.
Es war nothwendig, daß die orientaliſchen Ideen in den occidentaliſchen
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 426. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/102>, abgerufen am 22.11.2024.
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