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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Nach Lindners Abzuge entschloß sich
mein Vater, mich mit Leib und Seele dem
Kriegsrath L'Estocq zu übergeben, der sei-
ner Rechtsdoktor- und Professorwürde un-
geachtet sich zwar sonst nicht mit Pensionair-
halten abgab, sich aber dazu bequemte, weil
er einen nahen Vetter, den nachherigen
Cavalleriegeneral, Ritter fast aller russischen
und preußischen Orden, auch Domprobst von
Brandenburg und im December 1809. von
seinem Berlinschen Gouverneurposten mit
Beybehaltung seiner ganzen Einnahme ent-
lassenen, Wilhelm L'Estocq bey sich hatte,
dem er einen Mitläufer auf der Studien-
bahn zu geben für nöthig fand. Mit die-
sem höchstliebenswürdigen Jünglinge, dem
aber das förmliche Studiren nicht recht zu
Herzen ging, obgleich sein Verstand und
seine Manieren gleich fein waren, wurde ich
in allem gleich gepaart, wir hatten einerley
Mattres und besuchten einerley Vorlesun-
gen. Keine bey Kant, gegen den unser
Studiendirektor eine Abneigung hatte, und
den er nie in sein Haus einlud; der da-
mals wegen seiner emphatischen Lebhaftig-
keit bekannte, ohnlängst gestorbne Mitau'sche
Rektor und Professor Watson erklärte uns

Nach Lindners Abzuge entſchloß ſich
mein Vater, mich mit Leib und Seele dem
Kriegsrath L’Eſtocq zu uͤbergeben, der ſei-
ner Rechtsdoktor- und Profeſſorwuͤrde un-
geachtet ſich zwar ſonſt nicht mit Penſionair-
halten abgab, ſich aber dazu bequemte, weil
er einen nahen Vetter, den nachherigen
Cavalleriegeneral, Ritter faſt aller ruſſiſchen
und preußiſchen Orden, auch Domprobſt von
Brandenburg und im December 1809. von
ſeinem Berlinſchen Gouverneurpoſten mit
Beybehaltung ſeiner ganzen Einnahme ent-
laſſenen, Wilhelm L’Eſtocq bey ſich hatte,
dem er einen Mitlaͤufer auf der Studien-
bahn zu geben fuͤr noͤthig fand. Mit die-
ſem hoͤchſtliebenswuͤrdigen Juͤnglinge, dem
aber das foͤrmliche Studiren nicht recht zu
Herzen ging, obgleich ſein Verſtand und
ſeine Manieren gleich fein waren, wurde ich
in allem gleich gepaart, wir hatten einerley
Mattres und beſuchten einerley Vorleſun-
gen. Keine bey Kant, gegen den unſer
Studiendirektor eine Abneigung hatte, und
den er nie in ſein Haus einlud; der da-
mals wegen ſeiner emphatiſchen Lebhaftig-
keit bekannte, ohnlaͤngſt geſtorbne Mitau’ſche
Rektor und Profeſſor Watſon erklaͤrte uns

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[59/0076] Nach Lindners Abzuge entſchloß ſich mein Vater, mich mit Leib und Seele dem Kriegsrath L’Eſtocq zu uͤbergeben, der ſei- ner Rechtsdoktor- und Profeſſorwuͤrde un- geachtet ſich zwar ſonſt nicht mit Penſionair- halten abgab, ſich aber dazu bequemte, weil er einen nahen Vetter, den nachherigen Cavalleriegeneral, Ritter faſt aller ruſſiſchen und preußiſchen Orden, auch Domprobſt von Brandenburg und im December 1809. von ſeinem Berlinſchen Gouverneurpoſten mit Beybehaltung ſeiner ganzen Einnahme ent- laſſenen, Wilhelm L’Eſtocq bey ſich hatte, dem er einen Mitlaͤufer auf der Studien- bahn zu geben fuͤr noͤthig fand. Mit die- ſem hoͤchſtliebenswuͤrdigen Juͤnglinge, dem aber das foͤrmliche Studiren nicht recht zu Herzen ging, obgleich ſein Verſtand und ſeine Manieren gleich fein waren, wurde ich in allem gleich gepaart, wir hatten einerley Mattres und beſuchten einerley Vorleſun- gen. Keine bey Kant, gegen den unſer Studiendirektor eine Abneigung hatte, und den er nie in ſein Haus einlud; der da- mals wegen ſeiner emphatiſchen Lebhaftig- keit bekannte, ohnlaͤngſt geſtorbne Mitau’ſche Rektor und Profeſſor Watſon erklaͤrte uns

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/76>, abgerufen am 25.11.2024.