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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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zigstündigem Fasten, als zum Borgen oder
zum Mittagsbesuch bey Verwandten, wenn
ich nicht dazu eingeladen war. Jch erinnere
mich noch eines Vorfalls, der die Ernstlich-
keit jenes Hasses bezeugen kann. Auf Zu-
reden eines, der über diesen Punkt zu sei-
nem nachherigen großen Schaden anders
als ich dachte, hatt' ich mir zu einem Hoch-
zeitsmahl eine Weste machen lassen, die ich
dem Vater noch nicht in Rechnung bringen
und von Ersparnissen auch nicht so bald be-
zahlen konnte. Der Hochzeitstag erschien,
ich wagte es aber nicht, mit der unbezahlten
Weste zu erscheinen und blieb lieber zu Hause.
Auch noch bin ich über das Schuldenmachen
ein solcher Rigorist, daß es mich befremdet,
den, der Schulden macht, ohne zu wissen,
womit er sie werde tilgen können, nicht als
förmlichen Dieb bestraft zu sehen. Und doch
ist der Fall nicht selten, wo übrigens recht-
liche Leute Geld zu Nebendingen, oder an-
dern ihre Hülfsbereitwilligkeit zu zeigen,
borgen, ohne sich irgend eines Mittels zur
Wiederbezahlung bewußt zu seyn. Solche
irrende Gutmüthigkeits- und Hoffnungsrit-
ter scheinen mir, wo nicht gefährliche, doch
schlimme Menschen zu seyn. Der mißbrauchte

zigſtuͤndigem Faſten, als zum Borgen oder
zum Mittagsbeſuch bey Verwandten, wenn
ich nicht dazu eingeladen war. Jch erinnere
mich noch eines Vorfalls, der die Ernſtlich-
keit jenes Haſſes bezeugen kann. Auf Zu-
reden eines, der uͤber dieſen Punkt zu ſei-
nem nachherigen großen Schaden anders
als ich dachte, hatt’ ich mir zu einem Hoch-
zeitsmahl eine Weſte machen laſſen, die ich
dem Vater noch nicht in Rechnung bringen
und von Erſparniſſen auch nicht ſo bald be-
zahlen konnte. Der Hochzeitstag erſchien,
ich wagte es aber nicht, mit der unbezahlten
Weſte zu erſcheinen und blieb lieber zu Hauſe.
Auch noch bin ich uͤber das Schuldenmachen
ein ſolcher Rigoriſt, daß es mich befremdet,
den, der Schulden macht, ohne zu wiſſen,
womit er ſie werde tilgen koͤnnen, nicht als
foͤrmlichen Dieb beſtraft zu ſehen. Und doch
iſt der Fall nicht ſelten, wo uͤbrigens recht-
liche Leute Geld zu Nebendingen, oder an-
dern ihre Huͤlfsbereitwilligkeit zu zeigen,
borgen, ohne ſich irgend eines Mittels zur
Wiederbezahlung bewußt zu ſeyn. Solche
irrende Gutmuͤthigkeits- und Hoffnungsrit-
ter ſcheinen mir, wo nicht gefaͤhrliche, doch
ſchlimme Menſchen zu ſeyn. Der mißbrauchte

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[52/0069] zigſtuͤndigem Faſten, als zum Borgen oder zum Mittagsbeſuch bey Verwandten, wenn ich nicht dazu eingeladen war. Jch erinnere mich noch eines Vorfalls, der die Ernſtlich- keit jenes Haſſes bezeugen kann. Auf Zu- reden eines, der uͤber dieſen Punkt zu ſei- nem nachherigen großen Schaden anders als ich dachte, hatt’ ich mir zu einem Hoch- zeitsmahl eine Weſte machen laſſen, die ich dem Vater noch nicht in Rechnung bringen und von Erſparniſſen auch nicht ſo bald be- zahlen konnte. Der Hochzeitstag erſchien, ich wagte es aber nicht, mit der unbezahlten Weſte zu erſcheinen und blieb lieber zu Hauſe. Auch noch bin ich uͤber das Schuldenmachen ein ſolcher Rigoriſt, daß es mich befremdet, den, der Schulden macht, ohne zu wiſſen, womit er ſie werde tilgen koͤnnen, nicht als foͤrmlichen Dieb beſtraft zu ſehen. Und doch iſt der Fall nicht ſelten, wo uͤbrigens recht- liche Leute Geld zu Nebendingen, oder an- dern ihre Huͤlfsbereitwilligkeit zu zeigen, borgen, ohne ſich irgend eines Mittels zur Wiederbezahlung bewußt zu ſeyn. Solche irrende Gutmuͤthigkeits- und Hoffnungsrit- ter ſcheinen mir, wo nicht gefaͤhrliche, doch ſchlimme Menſchen zu ſeyn. Der mißbrauchte

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/69>, abgerufen am 24.11.2024.