Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

soll. Zu solchen oder ähnlichen Versuchen
will ich aber keinen Eltern rathen; der
Spruch: ihr Väter reizet eure Kinder nicht
zum Zorn, scheint mit davor zu warnen,
noch mehr aber vor der nicht ungewöhnli-
chen Unbedachtsamkeit, in Gegenwart der Kin-
der unartige Creignisse aus eigner Jugend
zu erzählen; die gemeinhin beygefügte Er-
mahnung, so etwas nicht nachzuthun, ver-
tilgt höchst selten den Eindruck solcher Ge-
schichtchen.

Da ich glaube, daß die erste Liebe eines
Jünglings merklichen Einfluß auf alle seine
künftigen Lebenswirthschaften, auch in an-
dern Fächern hat, und daß der, der ihren
weiblichen Gegenstand kennt, dem jungen
Menschen vielleicht sichrer sein Prognosticon
stellen wird, als der Professor, der ihm Mo-
ral und Anthropologie liest, so find ich es
nicht überflüßig zu erwähnen, daß die ersten
Gefühle meines Herzens erwachten im Um-
gange mit einer etwas ältern Cousine, die
ein hübsches, liebes, wackres, aber ein wenig
empfindsames Mädchen war, das ganz im
Geheim Verschen machte und die Belusti-
gungen des Verstandes
und Witzes
las, welches damals sehr wenige ihres Ge-

ſoll. Zu ſolchen oder aͤhnlichen Verſuchen
will ich aber keinen Eltern rathen; der
Spruch: ihr Vaͤter reizet eure Kinder nicht
zum Zorn, ſcheint mit davor zu warnen,
noch mehr aber vor der nicht ungewoͤhnli-
chen Unbedachtſamkeit, in Gegenwart der Kin-
der unartige Creigniſſe aus eigner Jugend
zu erzaͤhlen; die gemeinhin beygefuͤgte Er-
mahnung, ſo etwas nicht nachzuthun, ver-
tilgt hoͤchſt ſelten den Eindruck ſolcher Ge-
ſchichtchen.

Da ich glaube, daß die erſte Liebe eines
Juͤnglings merklichen Einfluß auf alle ſeine
kuͤnftigen Lebenswirthſchaften, auch in an-
dern Faͤchern hat, und daß der, der ihren
weiblichen Gegenſtand kennt, dem jungen
Menſchen vielleicht ſichrer ſein Prognoſticon
ſtellen wird, als der Profeſſor, der ihm Mo-
ral und Anthropologie lieſt, ſo find ich es
nicht uͤberfluͤßig zu erwaͤhnen, daß die erſten
Gefuͤhle meines Herzens erwachten im Um-
gange mit einer etwas aͤltern Couſine, die
ein huͤbſches, liebes, wackres, aber ein wenig
empfindſames Maͤdchen war, das ganz im
Geheim Verschen machte und die Beluſti-
gungen des Verſtandes
und Witzes
las, welches damals ſehr wenige ihres Ge-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0058" n="41"/>
&#x017F;oll. Zu &#x017F;olchen oder a&#x0364;hnlichen Ver&#x017F;uchen<lb/>
will ich aber keinen Eltern rathen; der<lb/>
Spruch: ihr Va&#x0364;ter reizet eure Kinder nicht<lb/>
zum Zorn, &#x017F;cheint mit davor zu warnen,<lb/>
noch mehr aber vor der nicht ungewo&#x0364;hnli-<lb/>
chen Unbedacht&#x017F;amkeit, in Gegenwart der Kin-<lb/>
der unartige Creigni&#x017F;&#x017F;e aus eigner Jugend<lb/>
zu erza&#x0364;hlen; die gemeinhin beygefu&#x0364;gte Er-<lb/>
mahnung, &#x017F;o etwas nicht nachzuthun, ver-<lb/>
tilgt ho&#x0364;ch&#x017F;t &#x017F;elten den Eindruck &#x017F;olcher Ge-<lb/>
&#x017F;chichtchen.</p><lb/>
        <p>Da ich glaube, daß die er&#x017F;te Liebe eines<lb/>
Ju&#x0364;nglings merklichen Einfluß auf alle &#x017F;eine<lb/>
ku&#x0364;nftigen Lebenswirth&#x017F;chaften, auch in an-<lb/>
dern Fa&#x0364;chern hat, und daß der, der ihren<lb/>
weiblichen Gegen&#x017F;tand kennt, dem jungen<lb/>
Men&#x017F;chen vielleicht &#x017F;ichrer &#x017F;ein Progno&#x017F;ticon<lb/>
&#x017F;tellen wird, als der Profe&#x017F;&#x017F;or, der ihm Mo-<lb/>
ral und Anthropologie lie&#x017F;t, &#x017F;o find ich es<lb/>
nicht u&#x0364;berflu&#x0364;ßig zu erwa&#x0364;hnen, daß die er&#x017F;ten<lb/>
Gefu&#x0364;hle meines Herzens erwachten im Um-<lb/>
gange mit einer etwas a&#x0364;ltern Cou&#x017F;ine, die<lb/>
ein hu&#x0364;b&#x017F;ches, liebes, wackres, aber ein wenig<lb/>
empfind&#x017F;ames Ma&#x0364;dchen war, das ganz im<lb/>
Geheim Verschen machte und die <hi rendition="#g">Belu&#x017F;ti-<lb/>
gungen des Ver&#x017F;tandes</hi> und <hi rendition="#g">Witzes</hi><lb/>
las, welches damals &#x017F;ehr wenige ihres Ge-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0058] ſoll. Zu ſolchen oder aͤhnlichen Verſuchen will ich aber keinen Eltern rathen; der Spruch: ihr Vaͤter reizet eure Kinder nicht zum Zorn, ſcheint mit davor zu warnen, noch mehr aber vor der nicht ungewoͤhnli- chen Unbedachtſamkeit, in Gegenwart der Kin- der unartige Creigniſſe aus eigner Jugend zu erzaͤhlen; die gemeinhin beygefuͤgte Er- mahnung, ſo etwas nicht nachzuthun, ver- tilgt hoͤchſt ſelten den Eindruck ſolcher Ge- ſchichtchen. Da ich glaube, daß die erſte Liebe eines Juͤnglings merklichen Einfluß auf alle ſeine kuͤnftigen Lebenswirthſchaften, auch in an- dern Faͤchern hat, und daß der, der ihren weiblichen Gegenſtand kennt, dem jungen Menſchen vielleicht ſichrer ſein Prognoſticon ſtellen wird, als der Profeſſor, der ihm Mo- ral und Anthropologie lieſt, ſo find ich es nicht uͤberfluͤßig zu erwaͤhnen, daß die erſten Gefuͤhle meines Herzens erwachten im Um- gange mit einer etwas aͤltern Couſine, die ein huͤbſches, liebes, wackres, aber ein wenig empfindſames Maͤdchen war, das ganz im Geheim Verschen machte und die Beluſti- gungen des Verſtandes und Witzes las, welches damals ſehr wenige ihres Ge-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/58
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/58>, abgerufen am 04.05.2024.