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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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daß man noch so manche wilde Zweifel gegen die Vor-
sehung, in Ansehung der moralischen Welt, hegt,
kommt daher, weil man diese selten recht aufdecken
und das innre Leben der Menschen enträthseln mag.

Durch Selbstbiographieen kommt es an den Tag,
und wie wird durch sie die Vorsehung gerechtfertigt.
Ein selbst geschriebner Brief Tibers von den Qualen
seines Gemüths auf seiner wollustreichen Jnsel sagt
hierüber mehr, als eine lange Declamation sagen
konnte. -- Schritt für Schritt wird in unserm Leben
der stille Gang der Adrastea merkbar. Da ist keine
Schuld, die sie nicht straft, kein Gutes, was sie
nicht lohne. Wir sind uns sogar bewußt, was un-
abgebüßt noch auf unsrer Rechnung stehe und seinen
Augenblick der Einforderung erwarte, wofür und wo-
gegen uns dieses oder jenes komme, womit wir es
verdient oder veranlaßt haben? Wie es wegzutilgen
sey u. s. f. Jmmer nur durch überwindenden nie ver-
sinkenden Muth, nur durch Zutrauen und Hoffnung,
durch Tugenden höherer Ordnung in jeder Art
verbessert man vergangne Fehler und bringt oft ein rei-
neres Gute hervor.

Diese Führung der Adrastrea im menschlichen Leben,
die manche Blüthe abwirft, um Früchte zu reifen, sie
sey das Augenmerk jedes moralischen Selbstbeobachters
und Geschichtschreibers. Nicht uns leben wir, son-
dern dem Ganzen, das Ganze wirkt auf uns und
preßt uns, ihm anzuhören. Der gebildetste Mensch ist
der, dem für sich und Jedermann die moralische
Grazie
ganz und willig in seiner Brust wohnt.

6) Unziemend sind also bey jeder Selbstbeschreibung
jede ekle Nachschmekkereyen jugendlicher Leichtfertigkeit,
von denen auch Rousseaus Confessionen nicht frey

daß man noch ſo manche wilde Zweifel gegen die Vor-
ſehung, in Anſehung der moraliſchen Welt, hegt,
kommt daher, weil man dieſe ſelten recht aufdecken
und das innre Leben der Menſchen entraͤthſeln mag.

Durch Selbſtbiographieen kommt es an den Tag,
und wie wird durch ſie die Vorſehung gerechtfertigt.
Ein ſelbſt geſchriebner Brief Tibers von den Qualen
ſeines Gemuͤths auf ſeiner wolluſtreichen Jnſel ſagt
hieruͤber mehr, als eine lange Declamation ſagen
konnte. — Schritt fuͤr Schritt wird in unſerm Leben
der ſtille Gang der Adraſtea merkbar. Da iſt keine
Schuld, die ſie nicht ſtraft, kein Gutes, was ſie
nicht lohne. Wir ſind uns ſogar bewußt, was un-
abgebuͤßt noch auf unſrer Rechnung ſtehe und ſeinen
Augenblick der Einforderung erwarte, wofuͤr und wo-
gegen uns dieſes oder jenes komme, womit wir es
verdient oder veranlaßt haben? Wie es wegzutilgen
ſey u. ſ. f. Jmmer nur durch uͤberwindenden nie ver-
ſinkenden Muth, nur durch Zutrauen und Hoffnung,
durch Tugenden hoͤherer Ordnung in jeder Art
verbeſſert man vergangne Fehler und bringt oft ein rei-
neres Gute hervor.

Dieſe Fuͤhrung der Adraſtrea im menſchlichen Leben,
die manche Bluͤthe abwirft, um Fruͤchte zu reifen, ſie
ſey das Augenmerk jedes moraliſchen Selbſtbeobachters
und Geſchichtſchreibers. Nicht uns leben wir, ſon-
dern dem Ganzen, das Ganze wirkt auf uns und
preßt uns, ihm anzuhoͤren. Der gebildetſte Menſch iſt
der, dem fuͤr ſich und Jedermann die moraliſche
Grazie
ganz und willig in ſeiner Bruſt wohnt.

6) Unziemend ſind alſo bey jeder Selbſtbeſchreibung
jede ekle Nachſchmekkereyen jugendlicher Leichtfertigkeit,
von denen auch Rouſſeaus Confeſſionen nicht frey

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[0542] daß man noch ſo manche wilde Zweifel gegen die Vor- ſehung, in Anſehung der moraliſchen Welt, hegt, kommt daher, weil man dieſe ſelten recht aufdecken und das innre Leben der Menſchen entraͤthſeln mag. Durch Selbſtbiographieen kommt es an den Tag, und wie wird durch ſie die Vorſehung gerechtfertigt. Ein ſelbſt geſchriebner Brief Tibers von den Qualen ſeines Gemuͤths auf ſeiner wolluſtreichen Jnſel ſagt hieruͤber mehr, als eine lange Declamation ſagen konnte. — Schritt fuͤr Schritt wird in unſerm Leben der ſtille Gang der Adraſtea merkbar. Da iſt keine Schuld, die ſie nicht ſtraft, kein Gutes, was ſie nicht lohne. Wir ſind uns ſogar bewußt, was un- abgebuͤßt noch auf unſrer Rechnung ſtehe und ſeinen Augenblick der Einforderung erwarte, wofuͤr und wo- gegen uns dieſes oder jenes komme, womit wir es verdient oder veranlaßt haben? Wie es wegzutilgen ſey u. ſ. f. Jmmer nur durch uͤberwindenden nie ver- ſinkenden Muth, nur durch Zutrauen und Hoffnung, durch Tugenden hoͤherer Ordnung in jeder Art verbeſſert man vergangne Fehler und bringt oft ein rei- neres Gute hervor. Dieſe Fuͤhrung der Adraſtrea im menſchlichen Leben, die manche Bluͤthe abwirft, um Fruͤchte zu reifen, ſie ſey das Augenmerk jedes moraliſchen Selbſtbeobachters und Geſchichtſchreibers. Nicht uns leben wir, ſon- dern dem Ganzen, das Ganze wirkt auf uns und preßt uns, ihm anzuhoͤren. Der gebildetſte Menſch iſt der, dem fuͤr ſich und Jedermann die moraliſche Grazie ganz und willig in ſeiner Bruſt wohnt. 6) Unziemend ſind alſo bey jeder Selbſtbeſchreibung jede ekle Nachſchmekkereyen jugendlicher Leichtfertigkeit, von denen auch Rouſſeaus Confeſſionen nicht frey

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/542>, abgerufen am 22.11.2024.