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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Beschäftigung mir so angenehm und zuträg-
lich, wie nur immer ein Landschaftmaler
den Anblick der Lichtwallungen beym Son-
nenuntergange finden mag.

Wäre Frau Johanna bücherkundiger
oder süchtiger, so würden ihre Ansichten fro-
her und trauriger Lebensereignisse minder
zart, rein und treffend seyn. Der weibliche
Scharfsinn ist von so eigenthümlicher Art,
daß er dem Geist des Mannes manche Be-
friedigung schaft, welche diesem selbst bey
aller wissenschaftlichen Ueberlegenheit oft nicht
zu Theil wird, oder fehlschlägt; wie denn
überhaupt ein vertraulicher Zwiesprach mit
genialischen Frauen, je weniger technisches
oder blos historisches er an sich hat, dem
Geist das Wegsteigen über den Bücherbuch-
staben erleichtert und die Windeltreppe solcher
Unterhaltung gleichsam mit einem Geländer
versieht, das wider die Unfälle des Schwin-
dels sichert, die einem, den nicht ein hohes
Alter, wie das meinige, hinlänglich bewahrt,
bey lebhaftem Wagen in die Regionen der
Empfindung, zustoßen könnten.



Den 21sten Juny.

Um mich am Sterbetage meiner unver-
geßlichen Babet nicht blos den Gefühlen

wenn sie die Gelegenheit, diese Zaubergegenden ge-
sehen zu haben, nicht unter die Entschädigungen für
manche Beschwerden des heiligen Krieges auf-
nehmen.

Beſchaͤftigung mir ſo angenehm und zutraͤg-
lich, wie nur immer ein Landſchaftmaler
den Anblick der Lichtwallungen beym Son-
nenuntergange finden mag.

Waͤre Frau Johanna buͤcherkundiger
oder ſuͤchtiger, ſo wuͤrden ihre Anſichten fro-
her und trauriger Lebensereigniſſe minder
zart, rein und treffend ſeyn. Der weibliche
Scharfſinn iſt von ſo eigenthuͤmlicher Art,
daß er dem Geiſt des Mannes manche Be-
friedigung ſchaft, welche dieſem ſelbſt bey
aller wiſſenſchaftlichen Ueberlegenheit oft nicht
zu Theil wird, oder fehlſchlaͤgt; wie denn
uͤberhaupt ein vertraulicher Zwieſprach mit
genialiſchen Frauen, je weniger techniſches
oder blos hiſtoriſches er an ſich hat, dem
Geiſt das Wegſteigen uͤber den Buͤcherbuch-
ſtaben erleichtert und die Windeltreppe ſolcher
Unterhaltung gleichſam mit einem Gelaͤnder
verſieht, das wider die Unfaͤlle des Schwin-
dels ſichert, die einem, den nicht ein hohes
Alter, wie das meinige, hinlaͤnglich bewahrt,
bey lebhaftem Wagen in die Regionen der
Empfindung, zuſtoßen koͤnnten.



Den 21ſten Juny.

Um mich am Sterbetage meiner unver-
geßlichen Babet nicht blos den Gefuͤhlen

wenn ſie die Gelegenheit, dieſe Zaubergegenden ge-
ſehen zu haben, nicht unter die Entſchaͤdigungen fuͤr
manche Beſchwerden des heiligen Krieges auf-
nehmen.
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[505/0522] Beſchaͤftigung mir ſo angenehm und zutraͤg- lich, wie nur immer ein Landſchaftmaler den Anblick der Lichtwallungen beym Son- nenuntergange finden mag. Waͤre Frau Johanna buͤcherkundiger oder ſuͤchtiger, ſo wuͤrden ihre Anſichten fro- her und trauriger Lebensereigniſſe minder zart, rein und treffend ſeyn. Der weibliche Scharfſinn iſt von ſo eigenthuͤmlicher Art, daß er dem Geiſt des Mannes manche Be- friedigung ſchaft, welche dieſem ſelbſt bey aller wiſſenſchaftlichen Ueberlegenheit oft nicht zu Theil wird, oder fehlſchlaͤgt; wie denn uͤberhaupt ein vertraulicher Zwieſprach mit genialiſchen Frauen, je weniger techniſches oder blos hiſtoriſches er an ſich hat, dem Geiſt das Wegſteigen uͤber den Buͤcherbuch- ſtaben erleichtert und die Windeltreppe ſolcher Unterhaltung gleichſam mit einem Gelaͤnder verſieht, das wider die Unfaͤlle des Schwin- dels ſichert, die einem, den nicht ein hohes Alter, wie das meinige, hinlaͤnglich bewahrt, bey lebhaftem Wagen in die Regionen der Empfindung, zuſtoßen koͤnnten. Den 21ſten Juny. Um mich am Sterbetage meiner unver- geßlichen Babet nicht blos den Gefuͤhlen *) *) wenn ſie die Gelegenheit, dieſe Zaubergegenden ge- ſehen zu haben, nicht unter die Entſchaͤdigungen fuͤr manche Beſchwerden des heiligen Krieges auf- nehmen.

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/522>, abgerufen am 17.05.2024.