Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

schienen sich zu verjüngen, was mich sehr freut. Sie
sollten immer noch herkömmen, wenigstens rechne ich
darauf, daß, wenn ich verkrüppelter Jnvalide mich
100 Meilen nach R. zu schleichen suchen will, sie doch
wohl 7 Meilen bis dahin werden zurücklegen können
-- das, lieber S., könnte ein herrliches Fest abgeben,
bis dahin können wir noch herr iche Nachrichten aus
Frankreich haben. -- Fühlend den Unterschied zwischen
1806 und jetzt, opfern wir dann Speise und Trank
und gießen zusammen, wahrscheinlich zum letztenmal,
eine Libation zum Andenken derer, die uns so werth
waren und nicht mehr sind, und derer, die noch sind,
und wahrscheinlich auch nicht lange mehr sein werden.
Sollten sich dabey Thränen als Zeichen reiner Gefühle
des diesseitigen Menschen in unsre Augen drängen,
so wollen wir sie für Winke halten, die uns der Hie-
rophant jenseitiger Geheimnisse giebt, der jedes reine
Gefühl noch weniger wie jedes Haar vom Haupt
verloren gehen läßt.


Ueber Publica schreib ich Jhnen am Ende dieses
Briefes. -- Was Sie mir von innern Einrichtungen
und diesem Thun und Treiben sagen, so läßt sich da-
rauf schwerer antworten, als einen Commentar zur
Offenbarung Johannis machen. Schon vor einigen
Jahren sagte ich: ich fürchte mich weniger vor Napo-
leon, als vor unsern inländischen X und Q Zugen,
und dies um so mehr, als am Tage liegt, daß von
den vielen, muthwillig aus Trümmern zusammengesetz-
ten Gebäuden in kurzem wieder kein Stein auf dem
andern bleiben kann. *) Einen Hiram, dieses zu ordnen,
kann nur Gott senden -- das Komische bey der
Sache ist, daß jeder dieser Baumeister mit den andern
unzufrieden ist. -- --

*) Si un homme, dont la maison se seroit ecrou-
lee, impatient de se mettre a couvert, en
construisoit aussitot une nouvelle sur les de-
combres memes de l'ancienne, dispose a peu-
pres comme sa chaute les auroit laisses, le voya-

ſchienen ſich zu verjuͤngen, was mich ſehr freut. Sie
ſollten immer noch herkoͤmmen, wenigſtens rechne ich
darauf, daß, wenn ich verkruͤppelter Jnvalide mich
100 Meilen nach R. zu ſchleichen ſuchen will, ſie doch
wohl 7 Meilen bis dahin werden zuruͤcklegen koͤnnen
— das, lieber S., koͤnnte ein herrliches Feſt abgeben,
bis dahin koͤnnen wir noch herr iche Nachrichten aus
Frankreich haben. — Fuͤhlend den Unterſchied zwiſchen
1806 und jetzt, opfern wir dann Speiſe und Trank
und gießen zuſammen, wahrſcheinlich zum letztenmal,
eine Libation zum Andenken derer, die uns ſo werth
waren und nicht mehr ſind, und derer, die noch ſind,
und wahrſcheinlich auch nicht lange mehr ſein werden.
Sollten ſich dabey Thraͤnen als Zeichen reiner Gefuͤhle
des diesſeitigen Menſchen in unſre Augen draͤngen,
ſo wollen wir ſie fuͤr Winke halten, die uns der Hie-
rophant jenſeitiger Geheimniſſe giebt, der jedes reine
Gefuͤhl noch weniger wie jedes Haar vom Haupt
verloren gehen laͤßt.


Ueber Publica ſchreib ich Jhnen am Ende dieſes
Briefes. — Was Sie mir von innern Einrichtungen
und dieſem Thun und Treiben ſagen, ſo laͤßt ſich da-
rauf ſchwerer antworten, als einen Commentar zur
Offenbarung Johannis machen. Schon vor einigen
Jahren ſagte ich: ich fuͤrchte mich weniger vor Napo-
leon, als vor unſern inlaͤndiſchen X und Q Zugen,
und dies um ſo mehr, als am Tage liegt, daß von
den vielen, muthwillig aus Truͤmmern zuſammengeſetz-
ten Gebaͤuden in kurzem wieder kein Stein auf dem
andern bleiben kann. *) Einen Hiram, dieſes zu ordnen,
kann nur Gott ſenden — das Komiſche bey der
Sache iſt, daß jeder dieſer Baumeiſter mit den andern
unzufrieden iſt. — —

*) Si un homme, dont la maiſon ſe ſeroit ecrou-
lèe, impatient de ſe mettre à couvert, en
conſtruiſoit auſſitot une nouvelle ſur les de-
combres mêmes de l’ancienne, diſpoſé à peu-
pres comme ſa chûte les auroit laiſſés, le voya-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <floatingText>
            <body>
              <div>
                <p><pb facs="#f0510" n="493"/>
&#x017F;chienen &#x017F;ich zu verju&#x0364;ngen, was mich &#x017F;ehr freut. Sie<lb/>
&#x017F;ollten immer noch herko&#x0364;mmen, wenig&#x017F;tens rechne ich<lb/>
darauf, daß, wenn ich verkru&#x0364;ppelter Jnvalide mich<lb/>
100 Meilen nach R. zu &#x017F;chleichen &#x017F;uchen will, &#x017F;ie doch<lb/>
wohl 7 Meilen bis dahin werden zuru&#x0364;cklegen ko&#x0364;nnen<lb/>
&#x2014; das, lieber <hi rendition="#aq">S.,</hi> ko&#x0364;nnte ein herrliches Fe&#x017F;t abgeben,<lb/>
bis dahin ko&#x0364;nnen wir noch herr iche Nachrichten aus<lb/>
Frankreich haben. &#x2014; Fu&#x0364;hlend den Unter&#x017F;chied zwi&#x017F;chen<lb/>
1806 und jetzt, opfern wir dann Spei&#x017F;e und Trank<lb/>
und gießen zu&#x017F;ammen, wahr&#x017F;cheinlich zum letztenmal,<lb/>
eine <hi rendition="#aq">Libation</hi> zum Andenken derer, die uns &#x017F;o werth<lb/>
waren und nicht mehr &#x017F;ind, und derer, die noch &#x017F;ind,<lb/>
und wahr&#x017F;cheinlich auch nicht lange mehr &#x017F;ein werden.<lb/>
Sollten &#x017F;ich dabey Thra&#x0364;nen als Zeichen reiner Gefu&#x0364;hle<lb/>
des dies&#x017F;eitigen Men&#x017F;chen in un&#x017F;re Augen dra&#x0364;ngen,<lb/>
&#x017F;o wollen wir &#x017F;ie fu&#x0364;r Winke halten, die uns der Hie-<lb/>
rophant jen&#x017F;eitiger Geheimni&#x017F;&#x017F;e giebt, der jedes reine<lb/>
Gefu&#x0364;hl noch weniger wie jedes Haar vom Haupt<lb/>
verloren gehen la&#x0364;ßt.</p>
              </div><lb/>
              <div>
                <dateline> <hi rendition="#et">Den 6ten Juny.</hi> </dateline><lb/>
                <p>Ueber Publica &#x017F;chreib ich Jhnen am Ende die&#x017F;es<lb/>
Briefes. &#x2014; Was Sie mir von innern Einrichtungen<lb/>
und die&#x017F;em Thun und Treiben &#x017F;agen, &#x017F;o la&#x0364;ßt &#x017F;ich da-<lb/>
rauf &#x017F;chwerer antworten, als einen Commentar zur<lb/>
Offenbarung Johannis machen. Schon vor einigen<lb/>
Jahren &#x017F;agte ich: ich fu&#x0364;rchte mich weniger vor Napo-<lb/>
leon, als vor un&#x017F;ern inla&#x0364;ndi&#x017F;chen <hi rendition="#aq">X</hi> und <hi rendition="#aq">Q</hi> Zugen,<lb/>
und dies um &#x017F;o mehr, als am Tage liegt, daß von<lb/>
den vielen, muthwillig aus Tru&#x0364;mmern zu&#x017F;ammenge&#x017F;etz-<lb/>
ten Geba&#x0364;uden in kurzem wieder kein Stein auf dem<lb/>
andern bleiben kann. <note xml:id="seg2pn_40_1" next="#seg2pn_40_2" place="foot" n="*)"><cit><quote><hi rendition="#aq">Si un homme, dont la mai&#x017F;on &#x017F;e &#x017F;eroit ecrou-<lb/>
lèe, impatient de &#x017F;e mettre à couvert, en<lb/>
con&#x017F;trui&#x017F;oit au&#x017F;&#x017F;itot une nouvelle &#x017F;ur les de-<lb/>
combres mêmes de l&#x2019;ancienne, di&#x017F;po&#x017F;é à peu-<lb/>
pres comme &#x017F;a chûte les auroit lai&#x017F;&#x017F;és, le voya-</hi></quote></cit></note> Einen <hi rendition="#aq">Hiram,</hi> die&#x017F;es zu ordnen,<lb/>
kann nur Gott &#x017F;enden &#x2014; das Komi&#x017F;che bey der<lb/>
Sache i&#x017F;t, daß jeder die&#x017F;er Baumei&#x017F;ter mit den andern<lb/>
unzufrieden i&#x017F;t. &#x2014; &#x2014;</p>
              </div>
            </body>
          </floatingText><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[493/0510] ſchienen ſich zu verjuͤngen, was mich ſehr freut. Sie ſollten immer noch herkoͤmmen, wenigſtens rechne ich darauf, daß, wenn ich verkruͤppelter Jnvalide mich 100 Meilen nach R. zu ſchleichen ſuchen will, ſie doch wohl 7 Meilen bis dahin werden zuruͤcklegen koͤnnen — das, lieber S., koͤnnte ein herrliches Feſt abgeben, bis dahin koͤnnen wir noch herr iche Nachrichten aus Frankreich haben. — Fuͤhlend den Unterſchied zwiſchen 1806 und jetzt, opfern wir dann Speiſe und Trank und gießen zuſammen, wahrſcheinlich zum letztenmal, eine Libation zum Andenken derer, die uns ſo werth waren und nicht mehr ſind, und derer, die noch ſind, und wahrſcheinlich auch nicht lange mehr ſein werden. Sollten ſich dabey Thraͤnen als Zeichen reiner Gefuͤhle des diesſeitigen Menſchen in unſre Augen draͤngen, ſo wollen wir ſie fuͤr Winke halten, die uns der Hie- rophant jenſeitiger Geheimniſſe giebt, der jedes reine Gefuͤhl noch weniger wie jedes Haar vom Haupt verloren gehen laͤßt. Den 6ten Juny. Ueber Publica ſchreib ich Jhnen am Ende dieſes Briefes. — Was Sie mir von innern Einrichtungen und dieſem Thun und Treiben ſagen, ſo laͤßt ſich da- rauf ſchwerer antworten, als einen Commentar zur Offenbarung Johannis machen. Schon vor einigen Jahren ſagte ich: ich fuͤrchte mich weniger vor Napo- leon, als vor unſern inlaͤndiſchen X und Q Zugen, und dies um ſo mehr, als am Tage liegt, daß von den vielen, muthwillig aus Truͤmmern zuſammengeſetz- ten Gebaͤuden in kurzem wieder kein Stein auf dem andern bleiben kann. *) Einen Hiram, dieſes zu ordnen, kann nur Gott ſenden — das Komiſche bey der Sache iſt, daß jeder dieſer Baumeiſter mit den andern unzufrieden iſt. — — *) Si un homme, dont la maiſon ſe ſeroit ecrou- lèe, impatient de ſe mettre à couvert, en conſtruiſoit auſſitot une nouvelle ſur les de- combres mêmes de l’ancienne, diſpoſé à peu- pres comme ſa chûte les auroit laiſſés, le voya-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/510
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 493. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/510>, abgerufen am 18.05.2024.