der Landhofmeister von Auerswald die Nachricht, der Minister sey den 30. Juny gestorben, und ich möchte zu seinem Bru- der, dem hiesigen Canzler von Sch. gehen.
Einige Jahre früher hätt' ich diesen Auftrag gewiß nicht übernommen, noch we- niger ihn leidlich ausführen können. Jetzt half mir die Gleichmüthigkeit des hohen Al- ters, die den leidigen Vortheil hat zu den- ken, alles schon erlebt zu haben, oder we- gen der Naheit des Todes nicht mehr erle- ben zu dürfen.
Der Staatsrath Nicolovius hatte mir noch unterm 20sten Juny geschrieben: "M. Schr. hat ihnen wohl schon geschrieben, "oder thut es in kurzem. Jhre Gesundheit "haben wir neulich an einem sehr vergnüg- "ten Mittage in balsamischem Rheinwein "von 1811, aus hellklingenden englischen "Gläsern getrunken; kann er von Jhnen, "von Hippel und von Kant erzählen, "so leuchtet sein Gesicht --" und nun ist auch dieser mein vieljähriger Herzensfreund, den ich wahrlich nicht zu überleben gedachte, nicht mehr unter den Lebenden, denen er unzählige große und kleine gute Dienste ge- than, deren Nichtanerkennung und Nicht- benutzung ihn oft würden tiefpersönlich ge- kränkt haben, hätte er über diesen Punkt nicht eine ihm ganz eigne Fassung gehabt, die ihm durch die Erfahrung, daß das kluge
der Landhofmeiſter von Auerswald die Nachricht, der Miniſter ſey den 30. Juny geſtorben, und ich moͤchte zu ſeinem Bru- der, dem hieſigen Canzler von Sch. gehen.
Einige Jahre fruͤher haͤtt’ ich dieſen Auftrag gewiß nicht uͤbernommen, noch we- niger ihn leidlich ausfuͤhren koͤnnen. Jetzt half mir die Gleichmuͤthigkeit des hohen Al- ters, die den leidigen Vortheil hat zu den- ken, alles ſchon erlebt zu haben, oder we- gen der Naheit des Todes nicht mehr erle- ben zu duͤrfen.
Der Staatsrath Nicolovius hatte mir noch unterm 20ſten Juny geſchrieben: „M. Schr. hat ihnen wohl ſchon geſchrieben, „oder thut es in kurzem. Jhre Geſundheit „haben wir neulich an einem ſehr vergnuͤg- „ten Mittage in balſamiſchem Rheinwein „von 1811, aus hellklingenden engliſchen „Glaͤſern getrunken; kann er von Jhnen, „von Hippel und von Kant erzaͤhlen, „ſo leuchtet ſein Geſicht —“ und nun iſt auch dieſer mein vieljaͤhriger Herzensfreund, den ich wahrlich nicht zu uͤberleben gedachte, nicht mehr unter den Lebenden, denen er unzaͤhlige große und kleine gute Dienſte ge- than, deren Nichtanerkennung und Nicht- benutzung ihn oft wuͤrden tiefperſoͤnlich ge- kraͤnkt haben, haͤtte er uͤber dieſen Punkt nicht eine ihm ganz eigne Faſſung gehabt, die ihm durch die Erfahrung, daß das kluge
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0499"n="482"/>
der Landhofmeiſter von <hirendition="#g">Auerswald</hi> die<lb/>
Nachricht, der Miniſter ſey den 30. Juny<lb/>
geſtorben, und ich moͤchte zu ſeinem Bru-<lb/>
der, dem hieſigen Canzler von Sch. gehen.</p><lb/><p>Einige Jahre fruͤher haͤtt’ ich dieſen<lb/>
Auftrag gewiß nicht uͤbernommen, noch we-<lb/>
niger ihn leidlich ausfuͤhren koͤnnen. Jetzt<lb/>
half mir die Gleichmuͤthigkeit des hohen Al-<lb/>
ters, die den leidigen Vortheil hat zu den-<lb/>
ken, alles ſchon erlebt zu haben, oder we-<lb/>
gen der Naheit des Todes nicht mehr erle-<lb/>
ben zu duͤrfen.</p><lb/><p>Der Staatsrath <hirendition="#g">Nicolovius</hi> hatte<lb/>
mir noch unterm 20ſten Juny geſchrieben:<lb/><cit><quote>„M. Schr. hat ihnen wohl ſchon geſchrieben,<lb/>„oder thut es in kurzem. Jhre Geſundheit<lb/>„haben wir neulich an einem ſehr vergnuͤg-<lb/>„ten Mittage in balſamiſchem Rheinwein<lb/>„von 1811, aus hellklingenden engliſchen<lb/>„Glaͤſern getrunken; kann er von Jhnen,<lb/>„von <hirendition="#g">Hippel</hi> und von <hirendition="#g">Kant</hi> erzaͤhlen,<lb/>„ſo leuchtet ſein Geſicht —“</quote></cit> und nun iſt auch<lb/>
dieſer mein vieljaͤhriger Herzensfreund, den<lb/>
ich wahrlich nicht zu uͤberleben gedachte,<lb/>
nicht mehr unter den Lebenden, denen er<lb/>
unzaͤhlige große und kleine gute Dienſte ge-<lb/>
than, deren Nichtanerkennung und Nicht-<lb/>
benutzung ihn oft wuͤrden tiefperſoͤnlich ge-<lb/>
kraͤnkt haben, haͤtte er uͤber dieſen Punkt<lb/>
nicht eine ihm ganz eigne Faſſung gehabt,<lb/>
die ihm durch die Erfahrung, daß das kluge<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[482/0499]
der Landhofmeiſter von Auerswald die
Nachricht, der Miniſter ſey den 30. Juny
geſtorben, und ich moͤchte zu ſeinem Bru-
der, dem hieſigen Canzler von Sch. gehen.
Einige Jahre fruͤher haͤtt’ ich dieſen
Auftrag gewiß nicht uͤbernommen, noch we-
niger ihn leidlich ausfuͤhren koͤnnen. Jetzt
half mir die Gleichmuͤthigkeit des hohen Al-
ters, die den leidigen Vortheil hat zu den-
ken, alles ſchon erlebt zu haben, oder we-
gen der Naheit des Todes nicht mehr erle-
ben zu duͤrfen.
Der Staatsrath Nicolovius hatte
mir noch unterm 20ſten Juny geſchrieben:
„M. Schr. hat ihnen wohl ſchon geſchrieben,
„oder thut es in kurzem. Jhre Geſundheit
„haben wir neulich an einem ſehr vergnuͤg-
„ten Mittage in balſamiſchem Rheinwein
„von 1811, aus hellklingenden engliſchen
„Glaͤſern getrunken; kann er von Jhnen,
„von Hippel und von Kant erzaͤhlen,
„ſo leuchtet ſein Geſicht —“ und nun iſt auch
dieſer mein vieljaͤhriger Herzensfreund, den
ich wahrlich nicht zu uͤberleben gedachte,
nicht mehr unter den Lebenden, denen er
unzaͤhlige große und kleine gute Dienſte ge-
than, deren Nichtanerkennung und Nicht-
benutzung ihn oft wuͤrden tiefperſoͤnlich ge-
kraͤnkt haben, haͤtte er uͤber dieſen Punkt
nicht eine ihm ganz eigne Faſſung gehabt,
die ihm durch die Erfahrung, daß das kluge
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/499>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.