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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Unter den wenigen Hausfreunden mei-
nes Vaters war ein Officier, der sich mit
Versmachen befaßte, ob er gleich, wie ich
nachher gesehen, noch vieles andre vorher
und standesgemäß hätte lernen sollen. Dieser,
dem es nie an Reimwasser bey seiner Vers-
mühle gebrach, erkundigte sich einmal nach
meiner poetischen Leserey; da ich nun bey
ihm mit dem Horaz und Virgil, die er alte
Tröster nannte, nicht durchkam, so mußt ich
meine völlige Unbekanntschaft mit deutschen
Dichtern gestehen. Auf der Stelle scandirte
er mir nun Gellerts Betschwester vor,
und ich vermag nicht zu beschreiben, wie mir
dabey zu Muthe wurde. Etwas ähnliches
begegnete mir auf der Universität, als ich
vom Magister Lindner im Collegio stili ei-
nige Stellen aus Rabners Satyren vorlesen
hörte, die mir denn anch immer so lieb und
werth wie Gellerts Fabeln geblieben sind.
Der Vater wurde nun unabläßig gebeten,
mir Gellerts Fabeln zu kaufen, denen er ei-
nige Zeit nachher Neukirchs Uebersetzung des
Telemachs zugesellte, die von seinen jüngern
Jahren her in großem Ansehen bey ihm
stand, und den auch Göthe, so wie Kop-
pe's übersetzten Tasso einst gelesen hat, (s. deß.

Unter den wenigen Hausfreunden mei-
nes Vaters war ein Officier, der ſich mit
Versmachen befaßte, ob er gleich, wie ich
nachher geſehen, noch vieles andre vorher
und ſtandesgemaͤß haͤtte lernen ſollen. Dieſer,
dem es nie an Reimwaſſer bey ſeiner Vers-
muͤhle gebrach, erkundigte ſich einmal nach
meiner poetiſchen Leſerey; da ich nun bey
ihm mit dem Horaz und Virgil, die er alte
Troͤſter nannte, nicht durchkam, ſo mußt ich
meine voͤllige Unbekanntſchaft mit deutſchen
Dichtern geſtehen. Auf der Stelle ſcandirte
er mir nun Gellerts Betſchweſter vor,
und ich vermag nicht zu beſchreiben, wie mir
dabey zu Muthe wurde. Etwas aͤhnliches
begegnete mir auf der Univerſitaͤt, als ich
vom Magiſter Lindner im Collegio ſtili ei-
nige Stellen aus Rabners Satyren vorleſen
hoͤrte, die mir denn anch immer ſo lieb und
werth wie Gellerts Fabeln geblieben ſind.
Der Vater wurde nun unablaͤßig gebeten,
mir Gellerts Fabeln zu kaufen, denen er ei-
nige Zeit nachher Neukirchs Ueberſetzung des
Telemachs zugeſellte, die von ſeinen juͤngern
Jahren her in großem Anſehen bey ihm
ſtand, und den auch Goͤthe, ſo wie Kop-
pe’s uͤberſetzten Taſſo einſt geleſen hat, (ſ. deß.

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[28/0045] Unter den wenigen Hausfreunden mei- nes Vaters war ein Officier, der ſich mit Versmachen befaßte, ob er gleich, wie ich nachher geſehen, noch vieles andre vorher und ſtandesgemaͤß haͤtte lernen ſollen. Dieſer, dem es nie an Reimwaſſer bey ſeiner Vers- muͤhle gebrach, erkundigte ſich einmal nach meiner poetiſchen Leſerey; da ich nun bey ihm mit dem Horaz und Virgil, die er alte Troͤſter nannte, nicht durchkam, ſo mußt ich meine voͤllige Unbekanntſchaft mit deutſchen Dichtern geſtehen. Auf der Stelle ſcandirte er mir nun Gellerts Betſchweſter vor, und ich vermag nicht zu beſchreiben, wie mir dabey zu Muthe wurde. Etwas aͤhnliches begegnete mir auf der Univerſitaͤt, als ich vom Magiſter Lindner im Collegio ſtili ei- nige Stellen aus Rabners Satyren vorleſen hoͤrte, die mir denn anch immer ſo lieb und werth wie Gellerts Fabeln geblieben ſind. Der Vater wurde nun unablaͤßig gebeten, mir Gellerts Fabeln zu kaufen, denen er ei- nige Zeit nachher Neukirchs Ueberſetzung des Telemachs zugeſellte, die von ſeinen juͤngern Jahren her in großem Anſehen bey ihm ſtand, und den auch Goͤthe, ſo wie Kop- pe’s uͤberſetzten Taſſo einſt geleſen hat, (ſ. deß.

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/45>, abgerufen am 29.03.2024.