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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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dem: den Tod nicht fürchten, und: den Tod
sich wünschen; das Erste besinne ich mich nie
gethan zu haben, ob mich gleich der Solda-
tenstand und manche Krankheit ziemlich auf
die Lebenswippe stellten; während meiner
Jünglingsschaft schwärmt ich zuweilen über
den Tod bis zum Wunsche nach ihm; spä-
terhin verging und vergeht auch noch kein
Tag, an dem ich nicht ans Sterben gedacht
hätte oder noch denke. Jn meiner vorletz-
ten Wohnung erinnerten mich die um meine
Grabstätte gepflanzten Pappeln, die aber
wohl nach meiner Wohn sitzveränderung nicht
meine Asche beschatten werden, bey jedem
Ausgang an meinen letzten Ausgang, allein
diese Memento mori haben mich zu einer
Art von Familiarität mit dem Tode gebracht,
die ich beim Montaigne wahrnehme, und
die mich eben so leicht zum Schwätzer über
das Sterben machen könnte. Worüber man
viel und oft gedacht, und immer gefunden
hat, es lasse sich darüber eigentlich nichts
Gewisses denken oder herausbringen, das
wird einem zuletzt beynah gleichgültig, und
ich halte eine solche Gleichgültigkeit in arti-
culo mortis
für ein so behagliches Kissen,
daß ich wünsche, es möge keine schmerzhafte

dem: den Tod nicht fuͤrchten, und: den Tod
ſich wuͤnſchen; das Erſte beſinne ich mich nie
gethan zu haben, ob mich gleich der Solda-
tenſtand und manche Krankheit ziemlich auf
die Lebenswippe ſtellten; waͤhrend meiner
Juͤnglingsſchaft ſchwaͤrmt ich zuweilen uͤber
den Tod bis zum Wunſche nach ihm; ſpaͤ-
terhin verging und vergeht auch noch kein
Tag, an dem ich nicht ans Sterben gedacht
haͤtte oder noch denke. Jn meiner vorletz-
ten Wohnung erinnerten mich die um meine
Grabſtaͤtte gepflanzten Pappeln, die aber
wohl nach meiner Wohn ſitzveraͤnderung nicht
meine Aſche beſchatten werden, bey jedem
Ausgang an meinen letzten Ausgang, allein
dieſe Memento mori haben mich zu einer
Art von Familiaritaͤt mit dem Tode gebracht,
die ich beim Montaigne wahrnehme, und
die mich eben ſo leicht zum Schwaͤtzer uͤber
das Sterben machen koͤnnte. Woruͤber man
viel und oft gedacht, und immer gefunden
hat, es laſſe ſich daruͤber eigentlich nichts
Gewiſſes denken oder herausbringen, das
wird einem zuletzt beynah gleichguͤltig, und
ich halte eine ſolche Gleichguͤltigkeit in arti-
culo mortis
fuͤr ein ſo behagliches Kiſſen,
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[379/0396] dem: den Tod nicht fuͤrchten, und: den Tod ſich wuͤnſchen; das Erſte beſinne ich mich nie gethan zu haben, ob mich gleich der Solda- tenſtand und manche Krankheit ziemlich auf die Lebenswippe ſtellten; waͤhrend meiner Juͤnglingsſchaft ſchwaͤrmt ich zuweilen uͤber den Tod bis zum Wunſche nach ihm; ſpaͤ- terhin verging und vergeht auch noch kein Tag, an dem ich nicht ans Sterben gedacht haͤtte oder noch denke. Jn meiner vorletz- ten Wohnung erinnerten mich die um meine Grabſtaͤtte gepflanzten Pappeln, die aber wohl nach meiner Wohn ſitzveraͤnderung nicht meine Aſche beſchatten werden, bey jedem Ausgang an meinen letzten Ausgang, allein dieſe Memento mori haben mich zu einer Art von Familiaritaͤt mit dem Tode gebracht, die ich beim Montaigne wahrnehme, und die mich eben ſo leicht zum Schwaͤtzer uͤber das Sterben machen koͤnnte. Woruͤber man viel und oft gedacht, und immer gefunden hat, es laſſe ſich daruͤber eigentlich nichts Gewiſſes denken oder herausbringen, das wird einem zuletzt beynah gleichguͤltig, und ich halte eine ſolche Gleichguͤltigkeit in arti- culo mortis fuͤr ein ſo behagliches Kiſſen, daß ich wuͤnſche, es moͤge keine ſchmerzhafte

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/396>, abgerufen am 21.05.2024.