Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Tisch bin ich in spätern Jahren gesprächiger
geworden, als ich es in frühern war, wo
ich oft kein Wort sprach und durch mein
Schweigen zu manchem falschen Urtheil über
mich Anlaß gab. Große Gesellschaften sind
mir beynah so zuwider, wie mir das wech-
selseitige Küssen der Männer unschicklich vor-
kommt. Schon hat mir das Küssen der
Weiberhände von je her lästig und übel an-
gebracht geschienen, weil ich den Kuß für
eine Besiegelung des freundschaftlich Gesag-
ten, oder für ein Mittel halte, Gefühle zu
bezeichnen, die man nicht auszudrücken ver-
mag. Es scheinet mir die Aeußerung einer
innern Exaltation und der Handkuß eine
hohe Dank- und Achtungsbezeugung zu
seyn.

Jch bin ein schlechterer Wirth als Gast,
in welcher letztern Qualität ich mich ver-
pflichtet halte, dem Wirth einen Ersatz für
die Aufnahmkosten durch meine Conversation
zu geben, wenigstens einen Beytrag dazu.
Die Wirthsrolle spiel ich nicht mit der ge-
hörigen Gewandheit, die ein Wirth haben
muß, wenn er ein wirklich zufriednes Tisch-
leben stiften und erhalten will, ob ich gleich
meinen Gästen mit dem frohsten Herzen

Z 2

Tiſch bin ich in ſpaͤtern Jahren geſpraͤchiger
geworden, als ich es in fruͤhern war, wo
ich oft kein Wort ſprach und durch mein
Schweigen zu manchem falſchen Urtheil uͤber
mich Anlaß gab. Große Geſellſchaften ſind
mir beynah ſo zuwider, wie mir das wech-
ſelſeitige Kuͤſſen der Maͤnner unſchicklich vor-
kommt. Schon hat mir das Kuͤſſen der
Weiberhaͤnde von je her laͤſtig und uͤbel an-
gebracht geſchienen, weil ich den Kuß fuͤr
eine Beſiegelung des freundſchaftlich Geſag-
ten, oder fuͤr ein Mittel halte, Gefuͤhle zu
bezeichnen, die man nicht auszudruͤcken ver-
mag. Es ſcheinet mir die Aeußerung einer
innern Exaltation und der Handkuß eine
hohe Dank- und Achtungsbezeugung zu
ſeyn.

Jch bin ein ſchlechterer Wirth als Gaſt,
in welcher letztern Qualitaͤt ich mich ver-
pflichtet halte, dem Wirth einen Erſatz fuͤr
die Aufnahmkoſten durch meine Converſation
zu geben, wenigſtens einen Beytrag dazu.
Die Wirthsrolle ſpiel ich nicht mit der ge-
hoͤrigen Gewandheit, die ein Wirth haben
muß, wenn er ein wirklich zufriednes Tiſch-
leben ſtiften und erhalten will, ob ich gleich
meinen Gaͤſten mit dem frohſten Herzen

Z 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0372" n="355"/>
Ti&#x017F;ch bin ich in &#x017F;pa&#x0364;tern Jahren ge&#x017F;pra&#x0364;chiger<lb/>
geworden, als ich es in fru&#x0364;hern war, wo<lb/>
ich oft kein Wort &#x017F;prach und durch mein<lb/>
Schweigen zu manchem fal&#x017F;chen Urtheil u&#x0364;ber<lb/>
mich Anlaß gab. Große Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften &#x017F;ind<lb/>
mir beynah &#x017F;o zuwider, wie mir das wech-<lb/>
&#x017F;el&#x017F;eitige Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en der Ma&#x0364;nner un&#x017F;chicklich vor-<lb/>
kommt. Schon hat mir das Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;en der<lb/>
Weiberha&#x0364;nde von je her la&#x0364;&#x017F;tig und u&#x0364;bel an-<lb/>
gebracht ge&#x017F;chienen, weil ich den Kuß fu&#x0364;r<lb/>
eine Be&#x017F;iegelung des freund&#x017F;chaftlich Ge&#x017F;ag-<lb/>
ten, oder fu&#x0364;r ein Mittel halte, Gefu&#x0364;hle zu<lb/>
bezeichnen, die man nicht auszudru&#x0364;cken ver-<lb/>
mag. Es &#x017F;cheinet mir die Aeußerung einer<lb/>
innern Exaltation und der Handkuß eine<lb/>
hohe Dank- und Achtungsbezeugung zu<lb/>
&#x017F;eyn.</p><lb/>
        <p>Jch bin ein &#x017F;chlechterer Wirth als Ga&#x017F;t,<lb/>
in welcher letztern Qualita&#x0364;t ich mich ver-<lb/>
pflichtet halte, dem Wirth einen Er&#x017F;atz fu&#x0364;r<lb/>
die Aufnahmko&#x017F;ten durch meine Conver&#x017F;ation<lb/>
zu geben, wenig&#x017F;tens einen Beytrag dazu.<lb/>
Die Wirthsrolle &#x017F;piel ich nicht mit der ge-<lb/>
ho&#x0364;rigen Gewandheit, die ein Wirth haben<lb/>
muß, wenn er ein wirklich zufriednes Ti&#x017F;ch-<lb/>
leben &#x017F;tiften und erhalten will, ob ich gleich<lb/>
meinen Ga&#x0364;&#x017F;ten mit dem froh&#x017F;ten Herzen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Z 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[355/0372] Tiſch bin ich in ſpaͤtern Jahren geſpraͤchiger geworden, als ich es in fruͤhern war, wo ich oft kein Wort ſprach und durch mein Schweigen zu manchem falſchen Urtheil uͤber mich Anlaß gab. Große Geſellſchaften ſind mir beynah ſo zuwider, wie mir das wech- ſelſeitige Kuͤſſen der Maͤnner unſchicklich vor- kommt. Schon hat mir das Kuͤſſen der Weiberhaͤnde von je her laͤſtig und uͤbel an- gebracht geſchienen, weil ich den Kuß fuͤr eine Beſiegelung des freundſchaftlich Geſag- ten, oder fuͤr ein Mittel halte, Gefuͤhle zu bezeichnen, die man nicht auszudruͤcken ver- mag. Es ſcheinet mir die Aeußerung einer innern Exaltation und der Handkuß eine hohe Dank- und Achtungsbezeugung zu ſeyn. Jch bin ein ſchlechterer Wirth als Gaſt, in welcher letztern Qualitaͤt ich mich ver- pflichtet halte, dem Wirth einen Erſatz fuͤr die Aufnahmkoſten durch meine Converſation zu geben, wenigſtens einen Beytrag dazu. Die Wirthsrolle ſpiel ich nicht mit der ge- hoͤrigen Gewandheit, die ein Wirth haben muß, wenn er ein wirklich zufriednes Tiſch- leben ſtiften und erhalten will, ob ich gleich meinen Gaͤſten mit dem frohſten Herzen Z 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/372
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/372>, abgerufen am 21.05.2024.