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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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So sehr ich Freund der ländlichen Na-
tur bin, so kann ich doch nie blos spazie-
ren gehen, noch weniger einen vielbesuchten
Lustort besuchen, und kenne daher die der
Stadt nahgelegenen beynah alle nur den
Namen nach. Jch muß stets an einen ge-
wissen
Fleck, aus einer gewissen Ursa-
che hingehen und, um einen Spazierort zu
genießen, allein seyn. Jm Berlinschen
Thiergarten hatt' ich mir daher die entle-
gensten und einsamsten Plätze ausgewählt.
Auch kann ich in der freyen Natur nichts
ausarbeiten, meine Gedanken zerstreuen sich
gleich wie ein Rauch, und der Gegenstand
verschwindet mir aus dem Gesicht. Beym
Spazierengehen in Gesellschaft halt ich mich
gleich an die begleitenden Menschen und
kümmre mich weiter um nichts.

Gelacht hab ich gewiß über mehreres
und mehrere, als ich vielleicht hätte lachen
sollen, weil ich Lachen und Weinen für bey-
nah gleich kräftige Ableiter verdrüßlicher
Wetter des Lebensschachtes halte, zum er-
stern aber mehr Neigung hatte. Wenn ich
mich mit Hippel in Gesellschaft befand,
oder nur ein Dritter, wär' es auch nur
sein Aufwärter gewesen, zugegen war, so

So ſehr ich Freund der laͤndlichen Na-
tur bin, ſo kann ich doch nie blos ſpazie-
ren gehen, noch weniger einen vielbeſuchten
Luſtort beſuchen, und kenne daher die der
Stadt nahgelegenen beynah alle nur den
Namen nach. Jch muß ſtets an einen ge-
wiſſen
Fleck, aus einer gewiſſen Urſa-
che hingehen und, um einen Spazierort zu
genießen, allein ſeyn. Jm Berlinſchen
Thiergarten hatt’ ich mir daher die entle-
genſten und einſamſten Plaͤtze ausgewaͤhlt.
Auch kann ich in der freyen Natur nichts
ausarbeiten, meine Gedanken zerſtreuen ſich
gleich wie ein Rauch, und der Gegenſtand
verſchwindet mir aus dem Geſicht. Beym
Spazierengehen in Geſellſchaft halt ich mich
gleich an die begleitenden Menſchen und
kuͤmmre mich weiter um nichts.

Gelacht hab ich gewiß uͤber mehreres
und mehrere, als ich vielleicht haͤtte lachen
ſollen, weil ich Lachen und Weinen fuͤr bey-
nah gleich kraͤftige Ableiter verdruͤßlicher
Wetter des Lebensſchachtes halte, zum er-
ſtern aber mehr Neigung hatte. Wenn ich
mich mit Hippel in Geſellſchaft befand,
oder nur ein Dritter, waͤr’ es auch nur
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[351/0368] So ſehr ich Freund der laͤndlichen Na- tur bin, ſo kann ich doch nie blos ſpazie- ren gehen, noch weniger einen vielbeſuchten Luſtort beſuchen, und kenne daher die der Stadt nahgelegenen beynah alle nur den Namen nach. Jch muß ſtets an einen ge- wiſſen Fleck, aus einer gewiſſen Urſa- che hingehen und, um einen Spazierort zu genießen, allein ſeyn. Jm Berlinſchen Thiergarten hatt’ ich mir daher die entle- genſten und einſamſten Plaͤtze ausgewaͤhlt. Auch kann ich in der freyen Natur nichts ausarbeiten, meine Gedanken zerſtreuen ſich gleich wie ein Rauch, und der Gegenſtand verſchwindet mir aus dem Geſicht. Beym Spazierengehen in Geſellſchaft halt ich mich gleich an die begleitenden Menſchen und kuͤmmre mich weiter um nichts. Gelacht hab ich gewiß uͤber mehreres und mehrere, als ich vielleicht haͤtte lachen ſollen, weil ich Lachen und Weinen fuͤr bey- nah gleich kraͤftige Ableiter verdruͤßlicher Wetter des Lebensſchachtes halte, zum er- ſtern aber mehr Neigung hatte. Wenn ich mich mit Hippel in Geſellſchaft befand, oder nur ein Dritter, waͤr’ es auch nur ſein Aufwaͤrter geweſen, zugegen war, ſo

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/368>, abgerufen am 24.11.2024.