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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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des Hofmeisters zu bezweifeln. -- Die El-
tern sollten aber billig mit letzterm immer
im Denkverkehr stehen und über ihn, doch
ohne daß es die Kinder merken, ein wach-
sames Auge haben.

Dieser liebe Oheim starb, und ich
konnte in den ersten 24 Stunden weder
essen noch schlafen. Mein Vater befand sich
weit entfernt auf dem Lande, ich war daher
der Hauptleidtragende bey seinem Begräb-
niß, und jetzt noch hör ich den ersten Schau-
felwurf auf seinen tönenden Sarg, *) ja
ich hätte mich gern mit ihm begraben lassen,
so herzlich ich auch meine Eltern und Schwe-
stern liebte.

War es die erste Erschütterung, die meine
Seele erfuhr, war es wie bey der Aloe oder
andern Spätpflanzen der endlich erschienene
Moment des Blüthenausbruchs -- Kunstwir-
kung meines Lehrers war es sicher nicht, daß
ein ganz andrer neuer Lerngeist in mich fuhr,

*) Als ich am 28. Februar 1804. dicht an Kants
Gruft, traurig gexührt stand, und die hartgefrorne
Erdscholle hinabgeworfen wurde, erinnerte ich mich
so lebhaft meines auf eben diesem Kirchhofe be-
grabnen Oheims, daß mir ein Schauer durch die
Glieder und Thränen über die Wangen liefen.

des Hofmeiſters zu bezweifeln. — Die El-
tern ſollten aber billig mit letzterm immer
im Denkverkehr ſtehen und uͤber ihn, doch
ohne daß es die Kinder merken, ein wach-
ſames Auge haben.

Dieſer liebe Oheim ſtarb, und ich
konnte in den erſten 24 Stunden weder
eſſen noch ſchlafen. Mein Vater befand ſich
weit entfernt auf dem Lande, ich war daher
der Hauptleidtragende bey ſeinem Begraͤb-
niß, und jetzt noch hoͤr ich den erſten Schau-
felwurf auf ſeinen toͤnenden Sarg, *) ja
ich haͤtte mich gern mit ihm begraben laſſen,
ſo herzlich ich auch meine Eltern und Schwe-
ſtern liebte.

War es die erſte Erſchuͤtterung, die meine
Seele erfuhr, war es wie bey der Aloe oder
andern Spaͤtpflanzen der endlich erſchienene
Moment des Bluͤthenausbruchs — Kunſtwir-
kung meines Lehrers war es ſicher nicht, daß
ein ganz andrer neuer Lerngeiſt in mich fuhr,

*) Als ich am 28. Februar 1804. dicht an Kants
Gruft, traurig gexuͤhrt ſtand, und die hartgefrorne
Erdſcholle hinabgeworfen wurde, erinnerte ich mich
ſo lebhaft meines auf eben dieſem Kirchhofe be-
grabnen Oheims, daß mir ein Schauer durch die
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[18/0035] des Hofmeiſters zu bezweifeln. — Die El- tern ſollten aber billig mit letzterm immer im Denkverkehr ſtehen und uͤber ihn, doch ohne daß es die Kinder merken, ein wach- ſames Auge haben. Dieſer liebe Oheim ſtarb, und ich konnte in den erſten 24 Stunden weder eſſen noch ſchlafen. Mein Vater befand ſich weit entfernt auf dem Lande, ich war daher der Hauptleidtragende bey ſeinem Begraͤb- niß, und jetzt noch hoͤr ich den erſten Schau- felwurf auf ſeinen toͤnenden Sarg, *) ja ich haͤtte mich gern mit ihm begraben laſſen, ſo herzlich ich auch meine Eltern und Schwe- ſtern liebte. War es die erſte Erſchuͤtterung, die meine Seele erfuhr, war es wie bey der Aloe oder andern Spaͤtpflanzen der endlich erſchienene Moment des Bluͤthenausbruchs — Kunſtwir- kung meines Lehrers war es ſicher nicht, daß ein ganz andrer neuer Lerngeiſt in mich fuhr, *) Als ich am 28. Februar 1804. dicht an Kants Gruft, traurig gexuͤhrt ſtand, und die hartgefrorne Erdſcholle hinabgeworfen wurde, erinnerte ich mich ſo lebhaft meines auf eben dieſem Kirchhofe be- grabnen Oheims, daß mir ein Schauer durch die Glieder und Thraͤnen uͤber die Wangen liefen.

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/35>, abgerufen am 29.03.2024.