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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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herrschen solcher, aus vorgefaßten Meinun-
gen und Nebenumständen herrührender Ur-
theile, theils die Menschenkenntniß sehr er-
schwert, theils dem, der sie benutzt, Gele-
genheit giebt, andre zu falschen Urtheilen zu
verleiten.

Während dieses Aufenthalts im Busolt-
schen Garten ließ mich, der zu den hohen
Herrschaften nicht anders als auf Special-
befehl ging, die Königin rufen, und ich
hatte mit ihr manche Unterredung über die
historischen Vorlesungen des jetzigen Staats-
raths Süvern, von denen ich ihr eine Ab-
schrift hatte besorgen müssen, über die ge-
hörig einzurichtende Erziehung eines Kron-
prinzen, in der selbst Friedrich II. fehlge-
griffen hatte, und die um so mehr Sorg-
falt verdiente, als der Kronprinz gewiß viele
Fähigkeiten und eigne Fertigkeiten besitzt,
von welchen letztern ich ein Paar anführen
will: seine Gabe, nach angehörten Erzäh-
lungen oder selbst gelesenen Stellen, sehr
charakteristische richtige Zeichnungen zu ent-
werfen, ich erinnre mich des Gemäldes vom
Varus nach der verlornen Schlacht -- von
Carl dem Großen, der seinen Hofleuten den
Müller vorstellt und über ihre Erbärmlich-

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herrſchen ſolcher, aus vorgefaßten Meinun-
gen und Nebenumſtaͤnden herruͤhrender Ur-
theile, theils die Menſchenkenntniß ſehr er-
ſchwert, theils dem, der ſie benutzt, Gele-
genheit giebt, andre zu falſchen Urtheilen zu
verleiten.

Waͤhrend dieſes Aufenthalts im Buſolt-
ſchen Garten ließ mich, der zu den hohen
Herrſchaften nicht anders als auf Special-
befehl ging, die Koͤnigin rufen, und ich
hatte mit ihr manche Unterredung uͤber die
hiſtoriſchen Vorleſungen des jetzigen Staats-
raths Suͤvern, von denen ich ihr eine Ab-
ſchrift hatte beſorgen muͤſſen, uͤber die ge-
hoͤrig einzurichtende Erziehung eines Kron-
prinzen, in der ſelbſt Friedrich II. fehlge-
griffen hatte, und die um ſo mehr Sorg-
falt verdiente, als der Kronprinz gewiß viele
Faͤhigkeiten und eigne Fertigkeiten beſitzt,
von welchen letztern ich ein Paar anfuͤhren
will: ſeine Gabe, nach angehoͤrten Erzaͤh-
lungen oder ſelbſt geleſenen Stellen, ſehr
charakteriſtiſche richtige Zeichnungen zu ent-
werfen, ich erinnre mich des Gemaͤldes vom
Varus nach der verlornen Schlacht — von
Carl dem Großen, der ſeinen Hofleuten den
Muͤller vorſtellt und uͤber ihre Erbaͤrmlich-

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[291/0308] herrſchen ſolcher, aus vorgefaßten Meinun- gen und Nebenumſtaͤnden herruͤhrender Ur- theile, theils die Menſchenkenntniß ſehr er- ſchwert, theils dem, der ſie benutzt, Gele- genheit giebt, andre zu falſchen Urtheilen zu verleiten. Waͤhrend dieſes Aufenthalts im Buſolt- ſchen Garten ließ mich, der zu den hohen Herrſchaften nicht anders als auf Special- befehl ging, die Koͤnigin rufen, und ich hatte mit ihr manche Unterredung uͤber die hiſtoriſchen Vorleſungen des jetzigen Staats- raths Suͤvern, von denen ich ihr eine Ab- ſchrift hatte beſorgen muͤſſen, uͤber die ge- hoͤrig einzurichtende Erziehung eines Kron- prinzen, in der ſelbſt Friedrich II. fehlge- griffen hatte, und die um ſo mehr Sorg- falt verdiente, als der Kronprinz gewiß viele Faͤhigkeiten und eigne Fertigkeiten beſitzt, von welchen letztern ich ein Paar anfuͤhren will: ſeine Gabe, nach angehoͤrten Erzaͤh- lungen oder ſelbſt geleſenen Stellen, ſehr charakteriſtiſche richtige Zeichnungen zu ent- werfen, ich erinnre mich des Gemaͤldes vom Varus nach der verlornen Schlacht — von Carl dem Großen, der ſeinen Hofleuten den Muͤller vorſtellt und uͤber ihre Erbaͤrmlich- T 2

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/308>, abgerufen am 21.05.2024.