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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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und doch konnt' ich mich zum Lernen nicht
entschließen, so gewiß ich wußte, daß auf
das Nichtlernen jedesmal harte körperliche
Züchtigung folgte. Es geht den Kindern wie
den Vögeln, die der bisherigen, jetzt falsch
befundenen Sage nach, ihren Tod im Ra-
chen der Klapperschlange voraussehen und
sich ihm doch nicht durchs Davonfliegen zu
entziehen suchen.

Meine Mutter bedauerte mich im Stillen
wegen meiner blauen Schultern, und meine
älteste Schwester lernte lateinische Vocabeln,
um sie mir beym hofmeisterlichen Verhör
soufliren zu können; allein mein Vater hielt
unabänderlich darauf, dem Hofmeister auch
nicht den kleinsten Eingriff in sein Regi-
ment zu thun. So merklich nun auch die
Spuren seines täglich zweystündigen Fleißes
auf allen meinen Gliedern zu erkennen wa-
ren, so blieb mein Kopf doch wüst und leer,
und Langens Colloquia, über die er nicht
hinausging, hatten gar nicht den Reiz für
mich, den ich darin fand, wenn ich meiner
Mutter in der Küche beyspringen, eine Gar-
tenarbeit besorgen, oder zum alten Mahler
Bayer *) in die Zeichenstunde gehen und

*) Sein Bruder war der durch seine historischen Ar-

und doch konnt’ ich mich zum Lernen nicht
entſchließen, ſo gewiß ich wußte, daß auf
das Nichtlernen jedesmal harte koͤrperliche
Zuͤchtigung folgte. Es geht den Kindern wie
den Voͤgeln, die der bisherigen, jetzt falſch
befundenen Sage nach, ihren Tod im Ra-
chen der Klapperſchlange vorausſehen und
ſich ihm doch nicht durchs Davonfliegen zu
entziehen ſuchen.

Meine Mutter bedauerte mich im Stillen
wegen meiner blauen Schultern, und meine
aͤlteſte Schweſter lernte lateiniſche Vocabeln,
um ſie mir beym hofmeiſterlichen Verhoͤr
ſoufliren zu koͤnnen; allein mein Vater hielt
unabaͤnderlich darauf, dem Hofmeiſter auch
nicht den kleinſten Eingriff in ſein Regi-
ment zu thun. So merklich nun auch die
Spuren ſeines taͤglich zweyſtuͤndigen Fleißes
auf allen meinen Gliedern zu erkennen wa-
ren, ſo blieb mein Kopf doch wuͤſt und leer,
und Langens Colloquia, uͤber die er nicht
hinausging, hatten gar nicht den Reiz fuͤr
mich, den ich darin fand, wenn ich meiner
Mutter in der Kuͤche beyſpringen, eine Gar-
tenarbeit beſorgen, oder zum alten Mahler
Bayer *) in die Zeichenſtunde gehen und

*) Sein Bruder war der durch ſeine hiſtoriſchen Ar-
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[13/0030] und doch konnt’ ich mich zum Lernen nicht entſchließen, ſo gewiß ich wußte, daß auf das Nichtlernen jedesmal harte koͤrperliche Zuͤchtigung folgte. Es geht den Kindern wie den Voͤgeln, die der bisherigen, jetzt falſch befundenen Sage nach, ihren Tod im Ra- chen der Klapperſchlange vorausſehen und ſich ihm doch nicht durchs Davonfliegen zu entziehen ſuchen. Meine Mutter bedauerte mich im Stillen wegen meiner blauen Schultern, und meine aͤlteſte Schweſter lernte lateiniſche Vocabeln, um ſie mir beym hofmeiſterlichen Verhoͤr ſoufliren zu koͤnnen; allein mein Vater hielt unabaͤnderlich darauf, dem Hofmeiſter auch nicht den kleinſten Eingriff in ſein Regi- ment zu thun. So merklich nun auch die Spuren ſeines taͤglich zweyſtuͤndigen Fleißes auf allen meinen Gliedern zu erkennen wa- ren, ſo blieb mein Kopf doch wuͤſt und leer, und Langens Colloquia, uͤber die er nicht hinausging, hatten gar nicht den Reiz fuͤr mich, den ich darin fand, wenn ich meiner Mutter in der Kuͤche beyſpringen, eine Gar- tenarbeit beſorgen, oder zum alten Mahler Bayer *) in die Zeichenſtunde gehen und *) Sein Bruder war der durch ſeine hiſtoriſchen Ar-

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/30>, abgerufen am 26.04.2024.