Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

den könne, als durch das Neue, ob solches
gleich, besonders in den Evangelisten, gewiß
mehr für Geist und Gemüth anwendbares
enthält.



Etwa in meinem achten Jahre ward ich
dem ersten Hofmeister überliefert, der ein
ziemlich guter junger Mann war und mir
etwas Latein, Geschichte und Geographie,
worin er im Collegio Fridericiano auf einer
untern Classe unterrichtete, beybrachte. Das
Summum seiner Disciplin bestand in Ohr-
zupfen, und das längere Läppchen meines
rechten Ohres hab ich ihm 40 Jahre später
noch als ein Memento seiner Unterrichts-
methode vorgezeigt. Als dieser ad altiora
einer adlichen Hofmeisterey schritt, empfahl
er meinen Eltern einen seiner Freunde, den
er schon manchmal seinen Platz bey mir
hatte vertreten lassen, und dem ich, ungeach-
tet meines Respects für das de mortuis nil
nisi bene,
nachsagen muß, daß er ein Mei-
ster in der Kunst war, Kindern das Lernen
schwer und verhaßt zu machen, welches bey
mir auch richtig eintraf. Was sein Kopf
nicht vermochte, ersetzte er durch die Hände,

den koͤnne, als durch das Neue, ob ſolches
gleich, beſonders in den Evangeliſten, gewiß
mehr fuͤr Geiſt und Gemuͤth anwendbares
enthaͤlt.



Etwa in meinem achten Jahre ward ich
dem erſten Hofmeiſter uͤberliefert, der ein
ziemlich guter junger Mann war und mir
etwas Latein, Geſchichte und Geographie,
worin er im Collegio Fridericiano auf einer
untern Claſſe unterrichtete, beybrachte. Das
Summum ſeiner Disciplin beſtand in Ohr-
zupfen, und das laͤngere Laͤppchen meines
rechten Ohres hab ich ihm 40 Jahre ſpaͤter
noch als ein Memento ſeiner Unterrichts-
methode vorgezeigt. Als dieſer ad altiora
einer adlichen Hofmeiſterey ſchritt, empfahl
er meinen Eltern einen ſeiner Freunde, den
er ſchon manchmal ſeinen Platz bey mir
hatte vertreten laſſen, und dem ich, ungeach-
tet meines Reſpects fuͤr das de mortuis nil
niſi bene,
nachſagen muß, daß er ein Mei-
ſter in der Kunſt war, Kindern das Lernen
ſchwer und verhaßt zu machen, welches bey
mir auch richtig eintraf. Was ſein Kopf
nicht vermochte, erſetzte er durch die Haͤnde,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="12"/>
den ko&#x0364;nne, als durch das Neue, ob &#x017F;olches<lb/>
gleich, be&#x017F;onders in den Evangeli&#x017F;ten, gewiß<lb/>
mehr fu&#x0364;r Gei&#x017F;t und Gemu&#x0364;th anwendbares<lb/>
entha&#x0364;lt.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p>Etwa in meinem achten Jahre ward ich<lb/>
dem er&#x017F;ten Hofmei&#x017F;ter u&#x0364;berliefert, der ein<lb/>
ziemlich guter junger Mann war und mir<lb/>
etwas Latein, Ge&#x017F;chichte und Geographie,<lb/>
worin er im Collegio Fridericiano auf einer<lb/>
untern Cla&#x017F;&#x017F;e unterrichtete, beybrachte. Das<lb/>
Summum &#x017F;einer Disciplin be&#x017F;tand in Ohr-<lb/>
zupfen, und das la&#x0364;ngere La&#x0364;ppchen meines<lb/>
rechten Ohres hab ich ihm 40 Jahre &#x017F;pa&#x0364;ter<lb/>
noch als ein Memento &#x017F;einer Unterrichts-<lb/>
methode vorgezeigt. Als die&#x017F;er <hi rendition="#aq">ad altiora</hi><lb/>
einer adlichen Hofmei&#x017F;terey &#x017F;chritt, empfahl<lb/>
er meinen Eltern einen &#x017F;einer Freunde, den<lb/>
er &#x017F;chon manchmal &#x017F;einen Platz bey mir<lb/>
hatte vertreten la&#x017F;&#x017F;en, und dem ich, ungeach-<lb/>
tet meines Re&#x017F;pects fu&#x0364;r das <hi rendition="#aq">de mortuis nil<lb/>
ni&#x017F;i bene,</hi> nach&#x017F;agen muß, daß er ein Mei-<lb/>
&#x017F;ter in der Kun&#x017F;t war, Kindern das Lernen<lb/>
&#x017F;chwer und verhaßt zu machen, welches bey<lb/>
mir auch richtig eintraf. Was &#x017F;ein Kopf<lb/>
nicht vermochte, er&#x017F;etzte er durch die Ha&#x0364;nde,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[12/0029] den koͤnne, als durch das Neue, ob ſolches gleich, beſonders in den Evangeliſten, gewiß mehr fuͤr Geiſt und Gemuͤth anwendbares enthaͤlt. Etwa in meinem achten Jahre ward ich dem erſten Hofmeiſter uͤberliefert, der ein ziemlich guter junger Mann war und mir etwas Latein, Geſchichte und Geographie, worin er im Collegio Fridericiano auf einer untern Claſſe unterrichtete, beybrachte. Das Summum ſeiner Disciplin beſtand in Ohr- zupfen, und das laͤngere Laͤppchen meines rechten Ohres hab ich ihm 40 Jahre ſpaͤter noch als ein Memento ſeiner Unterrichts- methode vorgezeigt. Als dieſer ad altiora einer adlichen Hofmeiſterey ſchritt, empfahl er meinen Eltern einen ſeiner Freunde, den er ſchon manchmal ſeinen Platz bey mir hatte vertreten laſſen, und dem ich, ungeach- tet meines Reſpects fuͤr das de mortuis nil niſi bene, nachſagen muß, daß er ein Mei- ſter in der Kunſt war, Kindern das Lernen ſchwer und verhaßt zu machen, welches bey mir auch richtig eintraf. Was ſein Kopf nicht vermochte, erſetzte er durch die Haͤnde,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/29
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/29>, abgerufen am 25.04.2024.