wenden, und keins zu einem Paar Schuh übrig behalten sieht? ihn hernach aber kla- gen hört, daß er nicht auf die Straße gehen könne?
Doch was hilft es, sich dem Nachdenken über die Zeitströmungen hinzugeben, und an die Fluth des öffentlichen Elendes zu erin- nern, so lange nichts geschieht, das eine sichre Bürgschaft für eine tröstende Ebbe ein- legt? Als mir eines Tages die Schnur meines Fensterrouleaus entschlüpfte, und es plötzlich finster in der Stube ward, dacht ich an die Regierungsfäden, die den europäi- schen Fürsten entschlüpft und allein Napo- leons Händen überlassen zu seyn scheinen. Wird es noch einmal Tag, und wie viel Tag wird es in den Rathsstuben und Ca- binetten werden -- transeat cum reliquis erroribus -- *).
Mein Freund L'Estocq war zur Anfüh- rung der preußischen Armeebrocken aus Neu- ostpreußen abgerufen, und seine Gattin kam mit ihren beyden Töchtern, von denen die älteste einige Monate nachher starb, nebst
*) Nun danket alle Gott, für den nach solcher Schreckensnacht erlebten Morgen, möchte ihm doch auch ein guter Tag folgen! 1814.
wenden, und keins zu einem Paar Schuh uͤbrig behalten ſieht? ihn hernach aber kla- gen hoͤrt, daß er nicht auf die Straße gehen koͤnne?
Doch was hilft es, ſich dem Nachdenken uͤber die Zeitſtroͤmungen hinzugeben, und an die Fluth des oͤffentlichen Elendes zu erin- nern, ſo lange nichts geſchieht, das eine ſichre Buͤrgſchaft fuͤr eine troͤſtende Ebbe ein- legt? Als mir eines Tages die Schnur meines Fenſterrouleaus entſchluͤpfte, und es ploͤtzlich finſter in der Stube ward, dacht ich an die Regierungsfaͤden, die den europaͤi- ſchen Fuͤrſten entſchluͤpft und allein Napo- leons Haͤnden uͤberlaſſen zu ſeyn ſcheinen. Wird es noch einmal Tag, und wie viel Tag wird es in den Rathsſtuben und Ca- binetten werden — transeat cum reliquis erroribus — *).
Mein Freund L’Eſtocq war zur Anfuͤh- rung der preußiſchen Armeebrocken aus Neu- oſtpreußen abgerufen, und ſeine Gattin kam mit ihren beyden Toͤchtern, von denen die aͤlteſte einige Monate nachher ſtarb, nebſt
*) Nun danket alle Gott, fuͤr den nach ſolcher Schreckensnacht erlebten Morgen, moͤchte ihm doch auch ein guter Tag folgen! 1814.
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wenden, und keins zu einem Paar Schuh
uͤbrig behalten ſieht? ihn hernach aber kla-
gen hoͤrt, daß er nicht auf die Straße gehen
koͤnne?
Doch was hilft es, ſich dem Nachdenken
uͤber die Zeitſtroͤmungen hinzugeben, und an
die Fluth des oͤffentlichen Elendes zu erin-
nern, ſo lange nichts geſchieht, das eine
ſichre Buͤrgſchaft fuͤr eine troͤſtende Ebbe ein-
legt? Als mir eines Tages die Schnur
meines Fenſterrouleaus entſchluͤpfte, und es
ploͤtzlich finſter in der Stube ward, dacht
ich an die Regierungsfaͤden, die den europaͤi-
ſchen Fuͤrſten entſchluͤpft und allein Napo-
leons Haͤnden uͤberlaſſen zu ſeyn ſcheinen.
Wird es noch einmal Tag, und wie viel
Tag wird es in den Rathsſtuben und Ca-
binetten werden — transeat cum reliquis
erroribus — *).
Mein Freund L’Eſtocq war zur Anfuͤh-
rung der preußiſchen Armeebrocken aus Neu-
oſtpreußen abgerufen, und ſeine Gattin kam
mit ihren beyden Toͤchtern, von denen die
aͤlteſte einige Monate nachher ſtarb, nebſt
*) Nun danket alle Gott, fuͤr den nach ſolcher
Schreckensnacht erlebten Morgen, moͤchte ihm doch
auch ein guter Tag folgen! 1814.
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/278>, abgerufen am 27.11.2024.
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