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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Anno 1800. wurde die in Königsberg
schon vor einigen Jahren angelegte, aber
ganz in Verfall gerathne Kunstschule durch
den geheimen Oberbaurath Eytelwein
revidirt, und man nahm auch mich zum Mit-
gliede des zu ihrer Beförderung eingerichte-
ter Senates an. Eigentlich ist sie nur für
Bauhandwerker gestiftet, deren Geschmacks-
berichtigung und Verfeinerung sie gewiß auch
merklich zu befördern anfängt. Möchte doch
der Misbrauch einer endlich eingeführten
Gewerbsfreyheit ihre Fortschritte nicht auf-
halten! -- Sollte die Obrigkeit, welche
Gewerbsfreyheit ertheilt, nicht auch darauf
sehen, daß jeder, der sie benutzen will, das,
was er zu treiben sich entschließt, gehörig zu

"niederschrieb, bevor er an das Versificiren ging;
"daß er letztres ruckweise, oft erst nach Jahren
"that, dieß mußte seine Diktion nothwendig fro-
"stig machen. Gesetzt sein prosaischer Dialog war
"auch schon halbe Poesie, wie etwa die Prose
"unsers Geßners, so bleibt es doch eine miß-
"liche Sache, solche Prose in Verse zu verwan-
"deln, wie Ramler selbst es mit wenigem Glück
"versucht hat. Poetische Jdeen müssen in der
"Sprache der Poesie empfangen werden und zur
"Welt kommen, oder man wird ihnen anmerken,
"daß sie im erborgten Gewande einherschreiten."

Anno 1800. wurde die in Koͤnigsberg
ſchon vor einigen Jahren angelegte, aber
ganz in Verfall gerathne Kunſtſchule durch
den geheimen Oberbaurath Eytelwein
revidirt, und man nahm auch mich zum Mit-
gliede des zu ihrer Befoͤrderung eingerichte-
ter Senates an. Eigentlich iſt ſie nur fuͤr
Bauhandwerker geſtiftet, deren Geſchmacks-
berichtigung und Verfeinerung ſie gewiß auch
merklich zu befoͤrdern anfaͤngt. Moͤchte doch
der Misbrauch einer endlich eingefuͤhrten
Gewerbsfreyheit ihre Fortſchritte nicht auf-
halten! — Sollte die Obrigkeit, welche
Gewerbsfreyheit ertheilt, nicht auch darauf
ſehen, daß jeder, der ſie benutzen will, das,
was er zu treiben ſich entſchließt, gehoͤrig zu

„niederſchrieb, bevor er an das Verſificiren ging;
„daß er letztres ruckweiſe, oft erſt nach Jahren
„that, dieß mußte ſeine Diktion nothwendig fro-
„ſtig machen. Geſetzt ſein proſaiſcher Dialog war
„auch ſchon halbe Poeſie, wie etwa die Proſe
„unſers Geßners, ſo bleibt es doch eine miß-
„liche Sache, ſolche Proſe in Verſe zu verwan-
„deln, wie Ramler ſelbſt es mit wenigem Gluͤck
„verſucht hat. Poetiſche Jdeen muͤſſen in der
„Sprache der Poeſie empfangen werden und zur
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[246/0263] Anno 1800. wurde die in Koͤnigsberg ſchon vor einigen Jahren angelegte, aber ganz in Verfall gerathne Kunſtſchule durch den geheimen Oberbaurath Eytelwein revidirt, und man nahm auch mich zum Mit- gliede des zu ihrer Befoͤrderung eingerichte- ter Senates an. Eigentlich iſt ſie nur fuͤr Bauhandwerker geſtiftet, deren Geſchmacks- berichtigung und Verfeinerung ſie gewiß auch merklich zu befoͤrdern anfaͤngt. Moͤchte doch der Misbrauch einer endlich eingefuͤhrten Gewerbsfreyheit ihre Fortſchritte nicht auf- halten! — Sollte die Obrigkeit, welche Gewerbsfreyheit ertheilt, nicht auch darauf ſehen, daß jeder, der ſie benutzen will, das, was er zu treiben ſich entſchließt, gehoͤrig zu *) *) „niederſchrieb, bevor er an das Verſificiren ging; „daß er letztres ruckweiſe, oft erſt nach Jahren „that, dieß mußte ſeine Diktion nothwendig fro- „ſtig machen. Geſetzt ſein proſaiſcher Dialog war „auch ſchon halbe Poeſie, wie etwa die Proſe „unſers Geßners, ſo bleibt es doch eine miß- „liche Sache, ſolche Proſe in Verſe zu verwan- „deln, wie Ramler ſelbſt es mit wenigem Gluͤck „verſucht hat. Poetiſche Jdeen muͤſſen in der „Sprache der Poeſie empfangen werden und zur „Welt kommen, oder man wird ihnen anmerken, „daß ſie im erborgten Gewande einherſchreiten.“

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/263>, abgerufen am 17.07.2024.