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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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fühle, selbst des unbefangnen Anschauers
stört oder beleidigt. So würde ich auch
keinem rathen die Andachtsentzückung zu
mahlen, weil sie ohne Beyfügung einiger
frömmelnden Attribute sich schlecht von den
Entzündungen sehr profaner Liebe unter-
scheiden läßt. Jch berufe mich auf Gemälde
der heiligen Catharine und andre. Auch
sah ich dort die Bibliothek, wo die Dichter
in einem Zimmer sterben, dessen Aussicht
einen beynah mehr nach den Fenstern, als
nach den Schränken zieht; die Antiken; die
aus dem Nachlaß von Mengs gekaufte herr-
liche Sammlung von Gypsabgüssen; nur
zur Besichtigung der Prachtsachen des grü-
nen Gewölbes regte sich keine Lust in mir.
Am Tisch des preußischen Gesandten, Graf
Geslers, eines höchstgebildeten und in
mineralogischen Wissenschaften sehr unter-
richteten und erfahrnen Mannes, den ich
einige Jahre nachher auf seiner Rückreise
von Petersburg in Königsberg mehrmal
wiedersah, traf ich auch den Hofrath Ade-
lung,
der mir ziemlich stark mit grammati-
kalischem Schnee und Eise inkrustirt zu seyn
schien, und viel von dem künstlich Geknifnem
an sich hatte, das die Leipziger mir eben

fuͤhle, ſelbſt des unbefangnen Anſchauers
ſtoͤrt oder beleidigt. So wuͤrde ich auch
keinem rathen die Andachtsentzuͤckung zu
mahlen, weil ſie ohne Beyfuͤgung einiger
froͤmmelnden Attribute ſich ſchlecht von den
Entzuͤndungen ſehr profaner Liebe unter-
ſcheiden laͤßt. Jch berufe mich auf Gemaͤlde
der heiligen Catharine und andre. Auch
ſah ich dort die Bibliothek, wo die Dichter
in einem Zimmer ſterben, deſſen Ausſicht
einen beynah mehr nach den Fenſtern, als
nach den Schraͤnken zieht; die Antiken; die
aus dem Nachlaß von Mengs gekaufte herr-
liche Sammlung von Gypsabguͤſſen; nur
zur Beſichtigung der Prachtſachen des gruͤ-
nen Gewoͤlbes regte ſich keine Luſt in mir.
Am Tiſch des preußiſchen Geſandten, Graf
Geslers, eines hoͤchſtgebildeten und in
mineralogiſchen Wiſſenſchaften ſehr unter-
richteten und erfahrnen Mannes, den ich
einige Jahre nachher auf ſeiner Ruͤckreiſe
von Petersburg in Koͤnigsberg mehrmal
wiederſah, traf ich auch den Hofrath Ade-
lung,
der mir ziemlich ſtark mit grammati-
kaliſchem Schnee und Eiſe inkruſtirt zu ſeyn
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[231/0248] fuͤhle, ſelbſt des unbefangnen Anſchauers ſtoͤrt oder beleidigt. So wuͤrde ich auch keinem rathen die Andachtsentzuͤckung zu mahlen, weil ſie ohne Beyfuͤgung einiger froͤmmelnden Attribute ſich ſchlecht von den Entzuͤndungen ſehr profaner Liebe unter- ſcheiden laͤßt. Jch berufe mich auf Gemaͤlde der heiligen Catharine und andre. Auch ſah ich dort die Bibliothek, wo die Dichter in einem Zimmer ſterben, deſſen Ausſicht einen beynah mehr nach den Fenſtern, als nach den Schraͤnken zieht; die Antiken; die aus dem Nachlaß von Mengs gekaufte herr- liche Sammlung von Gypsabguͤſſen; nur zur Beſichtigung der Prachtſachen des gruͤ- nen Gewoͤlbes regte ſich keine Luſt in mir. Am Tiſch des preußiſchen Geſandten, Graf Geslers, eines hoͤchſtgebildeten und in mineralogiſchen Wiſſenſchaften ſehr unter- richteten und erfahrnen Mannes, den ich einige Jahre nachher auf ſeiner Ruͤckreiſe von Petersburg in Koͤnigsberg mehrmal wiederſah, traf ich auch den Hofrath Ade- lung, der mir ziemlich ſtark mit grammati- kaliſchem Schnee und Eiſe inkruſtirt zu ſeyn ſchien, und viel von dem kuͤnſtlich Geknifnem an ſich hatte, das die Leipziger mir eben

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/248>, abgerufen am 01.05.2024.