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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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Meßgutes aß er nicht, sondern fraß, laut
seinem eignen Ausdruck, und klagte dann
bitterlich über Kopfindigestionen. Einst be-
suchte er mich auf dem Lande, wir sprachen
von einer Ausgabe seiner vielen kleinen
Schriften, und ich erbot mich in selbigen
die Stellen anzustreichen, die mir unver-
ständlich wären, damit er sie durch kleine
Noten verdeutlichen könnte, seine Antwort
war, daß dieses ihm unmöglich sey, weil er
selbst vieles, worauf er beym Niederschrei-
ben Rücksicht genommen, vergesseu habe. Er
war Willens gewesen drey Tage bey mir zu
bleiben, als ihn aber bey einem Spazier-
gange mit mir ein Hofhund anbellte, so war
es unmöglich, ihn von der Rückkehr am zwey-
ten Tage abzubringen. Die Westphälische
Reise, die er wider den Rath aller seiner
Freunde zu Leuten unternahm, von denen
die mehresten seinem Genie so wenig zu-
sprachen, als er ihre Erwartungen zu be-
friedigen geeignet war, zog ihm vermuthlich
den Tod im fremden Lande zu. Von seinen
Briefen besitze ich eine große Anzahl, so wie
auch den größten Theil seiner gedruckten
Schriften mit kleinen eigenhändigen Noten,
welche erstere ich dem Staatsrath Nicolo-

Meßgutes aß er nicht, ſondern fraß, laut
ſeinem eignen Ausdruck, und klagte dann
bitterlich uͤber Kopfindigeſtionen. Einſt be-
ſuchte er mich auf dem Lande, wir ſprachen
von einer Ausgabe ſeiner vielen kleinen
Schriften, und ich erbot mich in ſelbigen
die Stellen anzuſtreichen, die mir unver-
ſtaͤndlich waͤren, damit er ſie durch kleine
Noten verdeutlichen koͤnnte, ſeine Antwort
war, daß dieſes ihm unmoͤglich ſey, weil er
ſelbſt vieles, worauf er beym Niederſchrei-
ben Ruͤckſicht genommen, vergeſſeu habe. Er
war Willens geweſen drey Tage bey mir zu
bleiben, als ihn aber bey einem Spazier-
gange mit mir ein Hofhund anbellte, ſo war
es unmoͤglich, ihn von der Ruͤckkehr am zwey-
ten Tage abzubringen. Die Weſtphaͤliſche
Reiſe, die er wider den Rath aller ſeiner
Freunde zu Leuten unternahm, von denen
die mehreſten ſeinem Genie ſo wenig zu-
ſprachen, als er ihre Erwartungen zu be-
friedigen geeignet war, zog ihm vermuthlich
den Tod im fremden Lande zu. Von ſeinen
Briefen beſitze ich eine große Anzahl, ſo wie
auch den groͤßten Theil ſeiner gedruckten
Schriften mit kleinen eigenhaͤndigen Noten,
welche erſtere ich dem Staatsrath Nicolo-

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[207/0224] Meßgutes aß er nicht, ſondern fraß, laut ſeinem eignen Ausdruck, und klagte dann bitterlich uͤber Kopfindigeſtionen. Einſt be- ſuchte er mich auf dem Lande, wir ſprachen von einer Ausgabe ſeiner vielen kleinen Schriften, und ich erbot mich in ſelbigen die Stellen anzuſtreichen, die mir unver- ſtaͤndlich waͤren, damit er ſie durch kleine Noten verdeutlichen koͤnnte, ſeine Antwort war, daß dieſes ihm unmoͤglich ſey, weil er ſelbſt vieles, worauf er beym Niederſchrei- ben Ruͤckſicht genommen, vergeſſeu habe. Er war Willens geweſen drey Tage bey mir zu bleiben, als ihn aber bey einem Spazier- gange mit mir ein Hofhund anbellte, ſo war es unmoͤglich, ihn von der Ruͤckkehr am zwey- ten Tage abzubringen. Die Weſtphaͤliſche Reiſe, die er wider den Rath aller ſeiner Freunde zu Leuten unternahm, von denen die mehreſten ſeinem Genie ſo wenig zu- ſprachen, als er ihre Erwartungen zu be- friedigen geeignet war, zog ihm vermuthlich den Tod im fremden Lande zu. Von ſeinen Briefen beſitze ich eine große Anzahl, ſo wie auch den groͤßten Theil ſeiner gedruckten Schriften mit kleinen eigenhaͤndigen Noten, welche erſtere ich dem Staatsrath Nicolo-

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/224>, abgerufen am 01.05.2024.