nen war an einen meiner wärmsten Freun- de, der damals in der Religion etwas lava- terisirte, verheirathet und ist nebst zwey andern Schwestern bereits gestorben. Der ärgste Wei- berfeind hätte um dieser edlen weiblichen We- sen willen, sich mit ihrem Geschlecht ver- söhnen müssen, und unvergeßlich bleiben mir die Tage, die ich mit diesem Vierblättchen, ihren Männern und ihrem Vater, dem Kam- merherrn von W --, den wir den Patriar- chen von O -- nannten, verlebte. Wohl mir, wegen des guten Andenkens, in dem ich bey den von ihnen noch lebenden stehe, wohl uns allen, daß unser Lehr-, Lern,-Ernst- und Scherzverkehr nicht ohne gute Früchte für uns und andre geblieben ist.
Wie sehr aber das Alter das Herz gegen Freudengefühle abstumpft, bemerkte ich nur zu deutlich, als die Prinzessin von H --, eine Tochter jenes Freundes, im Jahr 1808. nach Königsberg kam und im folgenden Jahr von ihrer Tante besucht wurde. Sehr gern hätt' ich die Freude, die beyde über mein Wiedersehn so herzlich äußerten, ihnen ganz erwiedert, allein es war unmöglich, die Er- innerungskohlen so aufglühen zu machen, daß sie das Schmelzen des Gefühls hätten
nen war an einen meiner waͤrmſten Freun- de, der damals in der Religion etwas lava- teriſirte, verheirathet und iſt nebſt zwey andern Schweſtern bereits geſtorben. Der aͤrgſte Wei- berfeind haͤtte um dieſer edlen weiblichen We- ſen willen, ſich mit ihrem Geſchlecht ver- ſoͤhnen muͤſſen, und unvergeßlich bleiben mir die Tage, die ich mit dieſem Vierblaͤttchen, ihren Maͤnnern und ihrem Vater, dem Kam- merherrn von W —, den wir den Patriar- chen von O — nannten, verlebte. Wohl mir, wegen des guten Andenkens, in dem ich bey den von ihnen noch lebenden ſtehe, wohl uns allen, daß unſer Lehr-, Lern,-Ernſt- und Scherzverkehr nicht ohne gute Fruͤchte fuͤr uns und andre geblieben iſt.
Wie ſehr aber das Alter das Herz gegen Freudengefuͤhle abſtumpft, bemerkte ich nur zu deutlich, als die Prinzeſſin von H —, eine Tochter jenes Freundes, im Jahr 1808. nach Koͤnigsberg kam und im folgenden Jahr von ihrer Tante beſucht wurde. Sehr gern haͤtt’ ich die Freude, die beyde uͤber mein Wiederſehn ſo herzlich aͤußerten, ihnen ganz erwiedert, allein es war unmoͤglich, die Er- innerungskohlen ſo aufgluͤhen zu machen, daß ſie das Schmelzen des Gefuͤhls haͤtten
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0216"n="199"/>
nen war an einen meiner waͤrmſten Freun-<lb/>
de, der damals in der Religion etwas lava-<lb/>
teriſirte, verheirathet und iſt nebſt zwey andern<lb/>
Schweſtern bereits geſtorben. Der aͤrgſte Wei-<lb/>
berfeind haͤtte um dieſer edlen weiblichen We-<lb/>ſen willen, ſich mit ihrem Geſchlecht ver-<lb/>ſoͤhnen muͤſſen, und unvergeßlich bleiben mir<lb/>
die Tage, die ich mit dieſem Vierblaͤttchen,<lb/>
ihren Maͤnnern und ihrem Vater, dem Kam-<lb/>
merherrn von W —, den wir den Patriar-<lb/>
chen von O — nannten, verlebte. Wohl<lb/>
mir, wegen des guten Andenkens, in dem ich<lb/>
bey den von ihnen noch lebenden ſtehe, wohl<lb/>
uns allen, daß unſer Lehr-, Lern,-Ernſt-<lb/>
und Scherzverkehr nicht ohne gute Fruͤchte<lb/>
fuͤr uns und andre geblieben iſt.</p><lb/><p>Wie ſehr aber das Alter das Herz gegen<lb/>
Freudengefuͤhle abſtumpft, bemerkte ich nur<lb/>
zu deutlich, als die Prinzeſſin von H —, eine<lb/>
Tochter jenes Freundes, im Jahr 1808. nach<lb/>
Koͤnigsberg kam und im folgenden Jahr<lb/>
von ihrer Tante beſucht wurde. Sehr gern<lb/>
haͤtt’ ich die Freude, die beyde uͤber mein<lb/>
Wiederſehn ſo herzlich aͤußerten, ihnen ganz<lb/>
erwiedert, allein es war unmoͤglich, die Er-<lb/>
innerungskohlen ſo aufgluͤhen zu machen,<lb/>
daß ſie das Schmelzen des Gefuͤhls haͤtten<lb/></p></div></body></text></TEI>
[199/0216]
nen war an einen meiner waͤrmſten Freun-
de, der damals in der Religion etwas lava-
teriſirte, verheirathet und iſt nebſt zwey andern
Schweſtern bereits geſtorben. Der aͤrgſte Wei-
berfeind haͤtte um dieſer edlen weiblichen We-
ſen willen, ſich mit ihrem Geſchlecht ver-
ſoͤhnen muͤſſen, und unvergeßlich bleiben mir
die Tage, die ich mit dieſem Vierblaͤttchen,
ihren Maͤnnern und ihrem Vater, dem Kam-
merherrn von W —, den wir den Patriar-
chen von O — nannten, verlebte. Wohl
mir, wegen des guten Andenkens, in dem ich
bey den von ihnen noch lebenden ſtehe, wohl
uns allen, daß unſer Lehr-, Lern,-Ernſt-
und Scherzverkehr nicht ohne gute Fruͤchte
fuͤr uns und andre geblieben iſt.
Wie ſehr aber das Alter das Herz gegen
Freudengefuͤhle abſtumpft, bemerkte ich nur
zu deutlich, als die Prinzeſſin von H —, eine
Tochter jenes Freundes, im Jahr 1808. nach
Koͤnigsberg kam und im folgenden Jahr
von ihrer Tante beſucht wurde. Sehr gern
haͤtt’ ich die Freude, die beyde uͤber mein
Wiederſehn ſo herzlich aͤußerten, ihnen ganz
erwiedert, allein es war unmoͤglich, die Er-
innerungskohlen ſo aufgluͤhen zu machen,
daß ſie das Schmelzen des Gefuͤhls haͤtten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/216>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.