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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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es möglich, daß vernünftige Menschen jah-
relang eine so alberne Sitte beybehalten
konnten, die einen nöthigte, einen andern
bey Stand und Namen aufzurufen, um einem
zuzusehen, wenn er trinkt!

Eine wichtigere Zeitkürzung in dieser Zeit
schaffte mir aber der fast tägliche Besuch des
untermittelmäßigen Schauspiels und der Um-
stand, daß ich auch zu andern Arbeiten und
Vorträgen gezogen wurde, ob der Präsident
gleich fortfuhr, nicht begreifen zu wollen, oder
mir wenigstens nicht eingestand, daß die
Pflicht eines Rathes mit darin bestehe, dem
Präsidenten nicht seine Meinung aus den
Augen zu lesen und die seinige diesem An-
genresponso nach zu buchstabieren. Jch ar-
beitete stets nach meinem besten Wissen und
Gewissen, überließ es aber meinen Vorge-
setzten geduldig, meine Meinung nicht anzu-
nehmen, wobey sie sich aber bisweilen sehr
schlecht befanden.

Jm April 1771. ward ich ganz in die
königsbergsche Kammer versetzt, um neben
einem neuen steuerräthlichen Kreise auch die
Sachen der sämmtlichen Ostpreußischen klei-
nen Städte zu bearbeiten, so daß ich also
zwey sonst von einander geschiedne Aemter,

doch

es moͤglich, daß vernuͤnftige Menſchen jah-
relang eine ſo alberne Sitte beybehalten
konnten, die einen noͤthigte, einen andern
bey Stand und Namen aufzurufen, um einem
zuzuſehen, wenn er trinkt!

Eine wichtigere Zeitkuͤrzung in dieſer Zeit
ſchaffte mir aber der faſt taͤgliche Beſuch des
untermittelmaͤßigen Schauſpiels und der Um-
ſtand, daß ich auch zu andern Arbeiten und
Vortraͤgen gezogen wurde, ob der Praͤſident
gleich fortfuhr, nicht begreifen zu wollen, oder
mir wenigſtens nicht eingeſtand, daß die
Pflicht eines Rathes mit darin beſtehe, dem
Praͤſidenten nicht ſeine Meinung aus den
Augen zu leſen und die ſeinige dieſem An-
genreſponſo nach zu buchſtabieren. Jch ar-
beitete ſtets nach meinem beſten Wiſſen und
Gewiſſen, uͤberließ es aber meinen Vorge-
ſetzten geduldig, meine Meinung nicht anzu-
nehmen, wobey ſie ſich aber bisweilen ſehr
ſchlecht befanden.

Jm April 1771. ward ich ganz in die
koͤnigsbergſche Kammer verſetzt, um neben
einem neuen ſteuerraͤthlichen Kreiſe auch die
Sachen der ſaͤmmtlichen Oſtpreußiſchen klei-
nen Staͤdte zu bearbeiten, ſo daß ich alſo
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[144/0161] es moͤglich, daß vernuͤnftige Menſchen jah- relang eine ſo alberne Sitte beybehalten konnten, die einen noͤthigte, einen andern bey Stand und Namen aufzurufen, um einem zuzuſehen, wenn er trinkt! Eine wichtigere Zeitkuͤrzung in dieſer Zeit ſchaffte mir aber der faſt taͤgliche Beſuch des untermittelmaͤßigen Schauſpiels und der Um- ſtand, daß ich auch zu andern Arbeiten und Vortraͤgen gezogen wurde, ob der Praͤſident gleich fortfuhr, nicht begreifen zu wollen, oder mir wenigſtens nicht eingeſtand, daß die Pflicht eines Rathes mit darin beſtehe, dem Praͤſidenten nicht ſeine Meinung aus den Augen zu leſen und die ſeinige dieſem An- genreſponſo nach zu buchſtabieren. Jch ar- beitete ſtets nach meinem beſten Wiſſen und Gewiſſen, uͤberließ es aber meinen Vorge- ſetzten geduldig, meine Meinung nicht anzu- nehmen, wobey ſie ſich aber bisweilen ſehr ſchlecht befanden. Jm April 1771. ward ich ganz in die koͤnigsbergſche Kammer verſetzt, um neben einem neuen ſteuerraͤthlichen Kreiſe auch die Sachen der ſaͤmmtlichen Oſtpreußiſchen klei- nen Staͤdte zu bearbeiten, ſo daß ich alſo zwey ſonſt von einander geſchiedne Aemter, doch

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/161>, abgerufen am 24.11.2024.