Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

Bey dem damaligen Kammerjustitiarid,
der ein großer Rechtstheoretiker war und
sehr emphatisch und weitläuftig vortrug,
stand ich in schlechten Gnaden, theils weil
ich mit meinen Jusresten ihm bisweilen un-
vermuthet in den Weg trat, theils ihm
manchmal sein Biegen um die Ecke nach ei-
nem Nebengäschen abmerkte und ihn dann
durch treffende Erinnerungen in die rechte
große Straße zurückrief, wodurch aber oft
sein schön ausgearbeitetes Votum der andern
Ueberzeugung des Collegii aufgeopfert wer-
den mußte.

Als 1770. das Geschrey von einer Pest
in Podolien die Einrichtung eines Cordons
und verschiedener Quarantänestätten veran-
laßte, ward ich zur Mitbearbeitung dieses
Geschäftes nach Königsberg deputirt, wo
mir zu viel Zeit übrig geblieben wäre, wenn
mir nicht der Tisch des Präsidenten, zu dem
ich täglich in guter Gesellschaft eingela-
den
wurde, beynah drey Stunden gekostet
hätte, obgleich ich meinen Wein oft unge-
trunken stehen lassen mußte, um nicht einen
Lebensartschnitzer bey dem nach Stand und
Würden jedesmal vorzunehmenden fatalen
Gesundheittrinken zu begehen. Wie war

Bey dem damaligen Kammerjuſtitiarid,
der ein großer Rechtstheoretiker war und
ſehr emphatiſch und weitlaͤuftig vortrug,
ſtand ich in ſchlechten Gnaden, theils weil
ich mit meinen Jusreſten ihm bisweilen un-
vermuthet in den Weg trat, theils ihm
manchmal ſein Biegen um die Ecke nach ei-
nem Nebengaͤschen abmerkte und ihn dann
durch treffende Erinnerungen in die rechte
große Straße zuruͤckrief, wodurch aber oft
ſein ſchoͤn ausgearbeitetes Votum der andern
Ueberzeugung des Collegii aufgeopfert wer-
den mußte.

Als 1770. das Geſchrey von einer Peſt
in Podolien die Einrichtung eines Cordons
und verſchiedener Quarantaͤneſtaͤtten veran-
laßte, ward ich zur Mitbearbeitung dieſes
Geſchaͤftes nach Koͤnigsberg deputirt, wo
mir zu viel Zeit uͤbrig geblieben waͤre, wenn
mir nicht der Tiſch des Praͤſidenten, zu dem
ich taͤglich in guter Geſellſchaft eingela-
den
wurde, beynah drey Stunden gekoſtet
haͤtte, obgleich ich meinen Wein oft unge-
trunken ſtehen laſſen mußte, um nicht einen
Lebensartſchnitzer bey dem nach Stand und
Wuͤrden jedesmal vorzunehmenden fatalen
Geſundheittrinken zu begehen. Wie war

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0160" n="143"/>
        <p>Bey dem damaligen Kammerju&#x017F;titiarid,<lb/>
der ein großer Rechtstheoretiker war und<lb/>
&#x017F;ehr emphati&#x017F;ch und weitla&#x0364;uftig vortrug,<lb/>
&#x017F;tand ich in &#x017F;chlechten Gnaden, theils weil<lb/>
ich mit meinen Jusre&#x017F;ten ihm bisweilen un-<lb/>
vermuthet in den Weg trat, theils ihm<lb/>
manchmal &#x017F;ein Biegen um die Ecke nach ei-<lb/>
nem Nebenga&#x0364;schen abmerkte und ihn dann<lb/>
durch treffende Erinnerungen in die rechte<lb/>
große Straße zuru&#x0364;ckrief, wodurch aber oft<lb/>
&#x017F;ein &#x017F;cho&#x0364;n ausgearbeitetes Votum der andern<lb/>
Ueberzeugung des Collegii aufgeopfert wer-<lb/>
den mußte.</p><lb/>
        <p>Als 1770. das Ge&#x017F;chrey von einer Pe&#x017F;t<lb/>
in Podolien die Einrichtung eines Cordons<lb/>
und ver&#x017F;chiedener Quaranta&#x0364;ne&#x017F;ta&#x0364;tten veran-<lb/>
laßte, ward ich zur Mitbearbeitung die&#x017F;es<lb/>
Ge&#x017F;cha&#x0364;ftes nach Ko&#x0364;nigsberg deputirt, wo<lb/>
mir zu viel Zeit u&#x0364;brig geblieben wa&#x0364;re, wenn<lb/>
mir nicht der Ti&#x017F;ch des Pra&#x0364;&#x017F;identen, zu dem<lb/>
ich ta&#x0364;glich in guter Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft <hi rendition="#g">eingela-<lb/>
den</hi> wurde, beynah drey Stunden geko&#x017F;tet<lb/>
ha&#x0364;tte, obgleich ich meinen Wein oft unge-<lb/>
trunken &#x017F;tehen la&#x017F;&#x017F;en mußte, um nicht einen<lb/>
Lebensart&#x017F;chnitzer bey dem nach Stand und<lb/>
Wu&#x0364;rden jedesmal vorzunehmenden fatalen<lb/>
Ge&#x017F;undheittrinken zu begehen. Wie war<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[143/0160] Bey dem damaligen Kammerjuſtitiarid, der ein großer Rechtstheoretiker war und ſehr emphatiſch und weitlaͤuftig vortrug, ſtand ich in ſchlechten Gnaden, theils weil ich mit meinen Jusreſten ihm bisweilen un- vermuthet in den Weg trat, theils ihm manchmal ſein Biegen um die Ecke nach ei- nem Nebengaͤschen abmerkte und ihn dann durch treffende Erinnerungen in die rechte große Straße zuruͤckrief, wodurch aber oft ſein ſchoͤn ausgearbeitetes Votum der andern Ueberzeugung des Collegii aufgeopfert wer- den mußte. Als 1770. das Geſchrey von einer Peſt in Podolien die Einrichtung eines Cordons und verſchiedener Quarantaͤneſtaͤtten veran- laßte, ward ich zur Mitbearbeitung dieſes Geſchaͤftes nach Koͤnigsberg deputirt, wo mir zu viel Zeit uͤbrig geblieben waͤre, wenn mir nicht der Tiſch des Praͤſidenten, zu dem ich taͤglich in guter Geſellſchaft eingela- den wurde, beynah drey Stunden gekoſtet haͤtte, obgleich ich meinen Wein oft unge- trunken ſtehen laſſen mußte, um nicht einen Lebensartſchnitzer bey dem nach Stand und Wuͤrden jedesmal vorzunehmenden fatalen Geſundheittrinken zu begehen. Wie war

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/160
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/160>, abgerufen am 03.05.2024.