Wie hoffnungsgrün und beseligt ist der Mensch, der in jungen Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegen zieht, -- die weite Welt vor sich, der Himmel blau und das Herz frisch, als müßt' sein Wanderstab überall, wo er ihn ins Erdreich einstößt, Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in seinen Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirst einstmals müden Fußes im Staub der Heerstraße einher schleichen, und dein Stab ist ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo ist der goldene Apfel? ...
Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu singen, war für einen Mann geistlichen Standes nicht üblich, aber der Gesang Davids, den er jetzt anstimmte: "Jehova ist mein Herr, mir mangelt Nichts. Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu stillen Gewässern führt er mich" -- mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienstes verzeichnet worden sein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü- ler und wandernder Gesellen Lieder einzutragen pflegen.
Durch Wiesen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn sein Pfad. Lang und niedrig streckte sich im See eine Insel, die Reiche- nau; Thurm und Mauern des Klosters spiegelten sich im ruhigen Ge- wässer; Rebhügel, Matten und Obstgärten wiesen dem Auge den Fleiß der Bewohner.
Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüst und leer gestan- den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und bösen Schlan- gen. Der austrafische Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden Bischof Pirminius hinüber, der sprach einen schweren Segen über das Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen aus, die Tausendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione, Lurche und was sonst kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten sie nicht bestehen, zum Gestade, wo später die Burg Schopfeln gebaut ward, wälzte sich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth -- und der Fisch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ...
Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzstätte klöster- licher Zucht von gutem Klang in deutschen Landen.
Wie hoffnungsgrün und beſeligt iſt der Menſch, der in jungen Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegen zieht, — die weite Welt vor ſich, der Himmel blau und das Herz friſch, als müßt' ſein Wanderſtab überall, wo er ihn ins Erdreich einſtößt, Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in ſeinen Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirſt einſtmals müden Fußes im Staub der Heerſtraße einher ſchleichen, und dein Stab iſt ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo iſt der goldene Apfel? ...
Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu ſingen, war für einen Mann geiſtlichen Standes nicht üblich, aber der Geſang Davids, den er jetzt anſtimmte: „Jehova iſt mein Herr, mir mangelt Nichts. Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu ſtillen Gewäſſern führt er mich“ — mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienſtes verzeichnet worden ſein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü- ler und wandernder Geſellen Lieder einzutragen pflegen.
Durch Wieſen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn ſein Pfad. Lang und niedrig ſtreckte ſich im See eine Inſel, die Reiche- nau; Thurm und Mauern des Kloſters ſpiegelten ſich im ruhigen Ge- wäſſer; Rebhügel, Matten und Obſtgärten wieſen dem Auge den Fleiß der Bewohner.
Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüſt und leer geſtan- den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und böſen Schlan- gen. Der auſtrafiſche Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden Biſchof Pirminius hinüber, der ſprach einen ſchweren Segen über das Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen aus, die Tauſendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione, Lurche und was ſonſt kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten ſie nicht beſtehen, zum Geſtade, wo ſpäter die Burg Schopfeln gebaut ward, wälzte ſich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth — und der Fiſch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ...
Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzſtätte klöſter- licher Zucht von gutem Klang in deutſchen Landen.
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Wie hoffnungsgrün und beſeligt iſt der Menſch, der in jungen
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— die weite Welt vor ſich, der Himmel blau und das Herz friſch,
als müßt' ſein Wanderſtab überall, wo er ihn ins Erdreich einſtößt,
Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in ſeinen
Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirſt einſtmals
müden Fußes im Staub der Heerſtraße einher ſchleichen, und dein
Stab iſt ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen
mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo iſt der goldene
Apfel? ...
Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu ſingen, war
für einen Mann geiſtlichen Standes nicht üblich, aber der Geſang Davids,
den er jetzt anſtimmte: „Jehova iſt mein Herr, mir mangelt Nichts.
Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu ſtillen Gewäſſern führt
er mich“ — mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienſtes
verzeichnet worden ſein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü-
ler und wandernder Geſellen Lieder einzutragen pflegen.
Durch Wieſen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn ſein
Pfad. Lang und niedrig ſtreckte ſich im See eine Inſel, die Reiche-
nau; Thurm und Mauern des Kloſters ſpiegelten ſich im ruhigen Ge-
wäſſer; Rebhügel, Matten und Obſtgärten wieſen dem Auge den Fleiß
der Bewohner.
Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüſt und leer geſtan-
den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und böſen Schlan-
gen. Der auſtrafiſche Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden
Biſchof Pirminius hinüber, der ſprach einen ſchweren Segen über das
Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen
aus, die Tauſendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione,
Lurche und was ſonſt kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und
Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten ſie nicht
beſtehen, zum Geſtade, wo ſpäter die Burg Schopfeln gebaut ward,
wälzte ſich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth — und
der Fiſch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ...
Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzſtätte klöſter-
licher Zucht von gutem Klang in deutſchen Landen.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/82>, abgerufen am 23.11.2024.
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