Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie hoffnungsgrün und beseligt ist der Mensch, der in jungen
Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegen zieht,
-- die weite Welt vor sich, der Himmel blau und das Herz frisch,
als müßt' sein Wanderstab überall, wo er ihn ins Erdreich einstößt,
Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in seinen
Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirst einstmals
müden Fußes im Staub der Heerstraße einher schleichen, und dein
Stab ist ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen
mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo ist der goldene
Apfel? ...

Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu singen, war
für einen Mann geistlichen Standes nicht üblich, aber der Gesang Davids,
den er jetzt anstimmte: "Jehova ist mein Herr, mir mangelt Nichts.
Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu stillen Gewässern führt
er mich" -- mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienstes
verzeichnet worden sein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü-
ler und wandernder Gesellen Lieder einzutragen pflegen.

Durch Wiesen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn sein
Pfad. Lang und niedrig streckte sich im See eine Insel, die Reiche-
nau; Thurm und Mauern des Klosters spiegelten sich im ruhigen Ge-
wässer; Rebhügel, Matten und Obstgärten wiesen dem Auge den Fleiß
der Bewohner.

Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüst und leer gestan-
den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und bösen Schlan-
gen. Der austrafische Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden
Bischof Pirminius hinüber, der sprach einen schweren Segen über das
Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen
aus, die Tausendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione,
Lurche und was sonst kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und
Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten sie nicht
bestehen, zum Gestade, wo später die Burg Schopfeln gebaut ward,
wälzte sich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth -- und
der Fisch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ...

Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzstätte klöster-
licher Zucht von gutem Klang in deutschen Landen.

Wie hoffnungsgrün und beſeligt iſt der Menſch, der in jungen
Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegen zieht,
— die weite Welt vor ſich, der Himmel blau und das Herz friſch,
als müßt' ſein Wanderſtab überall, wo er ihn ins Erdreich einſtößt,
Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in ſeinen
Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirſt einſtmals
müden Fußes im Staub der Heerſtraße einher ſchleichen, und dein
Stab iſt ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen
mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo iſt der goldene
Apfel? ...

Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu ſingen, war
für einen Mann geiſtlichen Standes nicht üblich, aber der Geſang Davids,
den er jetzt anſtimmte: „Jehova iſt mein Herr, mir mangelt Nichts.
Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu ſtillen Gewäſſern führt
er mich“ — mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienſtes
verzeichnet worden ſein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü-
ler und wandernder Geſellen Lieder einzutragen pflegen.

Durch Wieſen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn ſein
Pfad. Lang und niedrig ſtreckte ſich im See eine Inſel, die Reiche-
nau; Thurm und Mauern des Kloſters ſpiegelten ſich im ruhigen Ge-
wäſſer; Rebhügel, Matten und Obſtgärten wieſen dem Auge den Fleiß
der Bewohner.

Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüſt und leer geſtan-
den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und böſen Schlan-
gen. Der auſtrafiſche Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden
Biſchof Pirminius hinüber, der ſprach einen ſchweren Segen über das
Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen
aus, die Tauſendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione,
Lurche und was ſonſt kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und
Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten ſie nicht
beſtehen, zum Geſtade, wo ſpäter die Burg Schopfeln gebaut ward,
wälzte ſich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth — und
der Fiſch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ...

Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzſtätte klöſter-
licher Zucht von gutem Klang in deutſchen Landen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0082" n="60"/>
        <p>Wie hoffnungsgrün und be&#x017F;eligt i&#x017F;t der Men&#x017F;ch, der in jungen<lb/>
Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegen zieht,<lb/>
&#x2014; die weite Welt vor &#x017F;ich, der Himmel blau und das Herz fri&#x017F;ch,<lb/>
als müßt' &#x017F;ein Wander&#x017F;tab überall, wo er ihn ins Erdreich ein&#x017F;tößt,<lb/>
Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in &#x017F;einen<lb/>
Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wir&#x017F;t ein&#x017F;tmals<lb/>
müden Fußes im Staub der Heer&#x017F;traße einher &#x017F;chleichen, und dein<lb/>
Stab i&#x017F;t ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen<lb/>
mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo i&#x017F;t der goldene<lb/>
Apfel? ...</p><lb/>
        <p>Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu &#x017F;ingen, war<lb/>
für einen Mann gei&#x017F;tlichen Standes nicht üblich, aber der Ge&#x017F;ang Davids,<lb/>
den er jetzt an&#x017F;timmte: &#x201E;Jehova i&#x017F;t mein Herr, mir mangelt Nichts.<lb/>
Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu &#x017F;tillen Gewä&#x017F;&#x017F;ern führt<lb/>
er mich&#x201C; &#x2014; mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdien&#x017F;tes<lb/>
verzeichnet worden &#x017F;ein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü-<lb/>
ler und wandernder Ge&#x017F;ellen Lieder einzutragen pflegen.</p><lb/>
        <p>Durch Wie&#x017F;en und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn &#x017F;ein<lb/>
Pfad. Lang und niedrig &#x017F;treckte &#x017F;ich im See eine In&#x017F;el, die Reiche-<lb/>
nau; Thurm und Mauern des Klo&#x017F;ters &#x017F;piegelten &#x017F;ich im ruhigen Ge-<lb/>&#x017F;&#x017F;er; Rebhügel, Matten und Ob&#x017F;tgärten wie&#x017F;en dem Auge den Fleiß<lb/>
der Bewohner.</p><lb/>
        <p>Vor zweihundert Jahren war die Au noch wü&#x017F;t und leer ge&#x017F;tan-<lb/>
den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und bö&#x017F;en Schlan-<lb/>
gen. Der au&#x017F;trafi&#x017F;che Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden<lb/>
Bi&#x017F;chof Pirminius hinüber, der &#x017F;prach einen &#x017F;chweren Segen über das<lb/>
Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen<lb/>
aus, die Tau&#x017F;endfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione,<lb/>
Lurche und was &#x017F;on&#x017F;t kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und<lb/>
Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten &#x017F;ie nicht<lb/>
be&#x017F;tehen, zum Ge&#x017F;tade, wo &#x017F;päter die Burg Schopfeln gebaut ward,<lb/>
wälzte &#x017F;ich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth &#x2014; und<lb/>
der Fi&#x017F;ch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ...</p><lb/>
        <p>Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanz&#x017F;tätte klö&#x017F;ter-<lb/>
licher Zucht von gutem Klang in deut&#x017F;chen Landen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[60/0082] Wie hoffnungsgrün und beſeligt iſt der Menſch, der in jungen Tagen auf unbekannten Pfaden unbekannter Zukunft entgegen zieht, — die weite Welt vor ſich, der Himmel blau und das Herz friſch, als müßt' ſein Wanderſtab überall, wo er ihn ins Erdreich einſtößt, Laub und Blüthen treiben und das Glück als goldnen Apfel in ſeinen Zweigen tragen. Wandre nur immer zu! Auch du wirſt einſtmals müden Fußes im Staub der Heerſtraße einher ſchleichen, und dein Stab iſt ein dürrer Stecken, dein Antlitz welk und die Kinder zeigen mit Fingern auf dich und lachen und fragen: wo iſt der goldene Apfel? ... Ekkehard war in der That vergnügt. Wanderlieder zu ſingen, war für einen Mann geiſtlichen Standes nicht üblich, aber der Geſang Davids, den er jetzt anſtimmte: „Jehova iſt mein Herr, mir mangelt Nichts. Auf grünen Triften läßt er mich lagern, zu ſtillen Gewäſſern führt er mich“ — mag ihm im Himmel in das gleiche Buch des Verdienſtes verzeichnet worden ſein, in das die Engel der Jugend fahrender Schü- ler und wandernder Geſellen Lieder einzutragen pflegen. Durch Wieſen und an hohem Schilfgelände vorüber führte ihn ſein Pfad. Lang und niedrig ſtreckte ſich im See eine Inſel, die Reiche- nau; Thurm und Mauern des Kloſters ſpiegelten ſich im ruhigen Ge- wäſſer; Rebhügel, Matten und Obſtgärten wieſen dem Auge den Fleiß der Bewohner. Vor zweihundert Jahren war die Au noch wüſt und leer geſtan- den, in feuchtem Grunde die Herberge von Gewürm und böſen Schlan- gen. Der auſtrafiſche Landvogt Sintlaz aber wies den wandernden Biſchof Pirminius hinüber, der ſprach einen ſchweren Segen über das Eiland, da zogen Schlangen und Würmer in vollem Heereshaufen aus, die Tauſendfüßler im Plänklerzug voran, Ohrklemmer, Scorpione, Lurche und was ſonſt kreucht in geordneten Säulen mit, Kröten und Salamander in der Nachhut: des Pirminius Spruch konnten ſie nicht beſtehen, zum Geſtade, wo ſpäter die Burg Schopfeln gebaut ward, wälzte ſich der Schwarm, dann hinab in die grüne Seefluth — und der Fiſch weitum hat damals einen guten Tag gehabt ... Seither war des Pirminius Stift aufgeblüht, eine Pflanzſtätte klöſter- licher Zucht von gutem Klang in deutſchen Landen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/82
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/82>, abgerufen am 04.05.2024.