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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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"Die alten Lieder d[a]s Maro mögen mit lieblichem Sang die sky-
thischen Sitten besänften", heißt's im Sidonius. Es ist nicht Euer
Wunsch ...

Ekkehard schlug die Augen nieder, seine Wangen rötheten sich --

Aber den Mächtigen der Erde dürfen wir keinen Anstoß geben.
Morgen reiset Ihr ab. Ich verliere Euch ungern; Ihr waret der
brävsten und würdigsten Einer. Der heilige Gallus wird Euch den
Dienst gedenken, den Ihr seinem Stift leistet. Vergeßt auch nicht, aus
dem Virgilius das Titelblatt weg zu schneiden mit der Verwünschung
gegen den, der das Buch dem Kloster verschleppt ... 86)

Was des Menschen Herzenswunsch ist, dazu läßt er sich gern
befehligen.

Des Gehorsams Gelübde, sprach Ekkehard, heißt mich des Vorge-
setzten Willen sonder Zagen und Aufschub, sonder Lauheit und Mur-
ren vollziehen.

Er beugte sein Knie vor dem Abte.

Dann ging er nach seiner Zelle. Es war ihm als hätte er ge-
träumt. Seit gestern war ihm fast zu Vieles begegnet. Es geht
noch Andern ebenso: lang einförmig schleicht das Leben, -- wenn des
Schicksals Wendungen kommen, folgt Schlag auf Schlag. Er rüstete
sich zur Reise. "Was du begonnen, laß unvollendet zurück, zieh ab
deine Hand vom Geschäft darin sie thätig war, zeuch aus im Schritt
des Gehorsames", es war ihm kaum Noth, sich diesen Satz seiner Re-
gel vorzuhalten.

Auf seiner Zelle lagen die Pergamente des Psalmenbuchs, 87) das
Folkard mit Meisterhand geschrieben und mit seinen Bildwerken verziert
hatte. Ekkehard war beauftragt, mit der werthvollen Goldfarbe, die
der Abt jüngst von venetianischen Handelsleuten erkauft hatte, die An-
fangsbuchstaben auszumalen, und den Figuren durch leisen Goldstrich
an Krone, Scepter, Schwert und Mantelsaum die letzte Vollendung
zu geben.

Er nahm Pergamente und Farben und trug's seinem Gefährten
hinüber, daß der statt seiner die letzte Hand an's Begonnene lege;
Folkard war gerade daran, ein neues Bild zu entwerfen, wie David
vor der Bundeslade tanzt und Laute spielt, -- er schaute nicht auf.
Schweigend verließ Ekkehard seine Künstlerstube.

„Die alten Lieder d[a]s Maro mögen mit lieblichem Sang die ſky-
thiſchen Sitten beſänften“, heißt's im Sidonius. Es iſt nicht Euer
Wunſch ...

Ekkehard ſchlug die Augen nieder, ſeine Wangen rötheten ſich —

Aber den Mächtigen der Erde dürfen wir keinen Anſtoß geben.
Morgen reiſet Ihr ab. Ich verliere Euch ungern; Ihr waret der
brävſten und würdigſten Einer. Der heilige Gallus wird Euch den
Dienſt gedenken, den Ihr ſeinem Stift leiſtet. Vergeßt auch nicht, aus
dem Virgilius das Titelblatt weg zu ſchneiden mit der Verwünſchung
gegen den, der das Buch dem Kloſter verſchleppt ... 86)

Was des Menſchen Herzenswunſch iſt, dazu läßt er ſich gern
befehligen.

Des Gehorſams Gelübde, ſprach Ekkehard, heißt mich des Vorge-
ſetzten Willen ſonder Zagen und Aufſchub, ſonder Lauheit und Mur-
ren vollziehen.

Er beugte ſein Knie vor dem Abte.

Dann ging er nach ſeiner Zelle. Es war ihm als hätte er ge-
träumt. Seit geſtern war ihm faſt zu Vieles begegnet. Es geht
noch Andern ebenſo: lang einförmig ſchleicht das Leben, — wenn des
Schickſals Wendungen kommen, folgt Schlag auf Schlag. Er rüſtete
ſich zur Reiſe. „Was du begonnen, laß unvollendet zurück, zieh ab
deine Hand vom Geſchäft darin ſie thätig war, zeuch aus im Schritt
des Gehorſames“, es war ihm kaum Noth, ſich dieſen Satz ſeiner Re-
gel vorzuhalten.

Auf ſeiner Zelle lagen die Pergamente des Pſalmenbuchs, 87) das
Folkard mit Meiſterhand geſchrieben und mit ſeinen Bildwerken verziert
hatte. Ekkehard war beauftragt, mit der werthvollen Goldfarbe, die
der Abt jüngſt von venetianiſchen Handelsleuten erkauft hatte, die An-
fangsbuchſtaben auszumalen, und den Figuren durch leiſen Goldſtrich
an Krone, Scepter, Schwert und Mantelſaum die letzte Vollendung
zu geben.

Er nahm Pergamente und Farben und trug's ſeinem Gefährten
hinüber, daß der ſtatt ſeiner die letzte Hand an's Begonnene lege;
Folkard war gerade daran, ein neues Bild zu entwerfen, wie David
vor der Bundeslade tanzt und Laute ſpielt, — er ſchaute nicht auf.
Schweigend verließ Ekkehard ſeine Künſtlerſtube.

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[55/0077] „Die alten Lieder das Maro mögen mit lieblichem Sang die ſky- thiſchen Sitten beſänften“, heißt's im Sidonius. Es iſt nicht Euer Wunſch ... Ekkehard ſchlug die Augen nieder, ſeine Wangen rötheten ſich — Aber den Mächtigen der Erde dürfen wir keinen Anſtoß geben. Morgen reiſet Ihr ab. Ich verliere Euch ungern; Ihr waret der brävſten und würdigſten Einer. Der heilige Gallus wird Euch den Dienſt gedenken, den Ihr ſeinem Stift leiſtet. Vergeßt auch nicht, aus dem Virgilius das Titelblatt weg zu ſchneiden mit der Verwünſchung gegen den, der das Buch dem Kloſter verſchleppt ... ⁸⁶⁾ Was des Menſchen Herzenswunſch iſt, dazu läßt er ſich gern befehligen. Des Gehorſams Gelübde, ſprach Ekkehard, heißt mich des Vorge- ſetzten Willen ſonder Zagen und Aufſchub, ſonder Lauheit und Mur- ren vollziehen. Er beugte ſein Knie vor dem Abte. Dann ging er nach ſeiner Zelle. Es war ihm als hätte er ge- träumt. Seit geſtern war ihm faſt zu Vieles begegnet. Es geht noch Andern ebenſo: lang einförmig ſchleicht das Leben, — wenn des Schickſals Wendungen kommen, folgt Schlag auf Schlag. Er rüſtete ſich zur Reiſe. „Was du begonnen, laß unvollendet zurück, zieh ab deine Hand vom Geſchäft darin ſie thätig war, zeuch aus im Schritt des Gehorſames“, es war ihm kaum Noth, ſich dieſen Satz ſeiner Re- gel vorzuhalten. Auf ſeiner Zelle lagen die Pergamente des Pſalmenbuchs, ⁸⁷⁾ das Folkard mit Meiſterhand geſchrieben und mit ſeinen Bildwerken verziert hatte. Ekkehard war beauftragt, mit der werthvollen Goldfarbe, die der Abt jüngſt von venetianiſchen Handelsleuten erkauft hatte, die An- fangsbuchſtaben auszumalen, und den Figuren durch leiſen Goldſtrich an Krone, Scepter, Schwert und Mantelſaum die letzte Vollendung zu geben. Er nahm Pergamente und Farben und trug's ſeinem Gefährten hinüber, daß der ſtatt ſeiner die letzte Hand an's Begonnene lege; Folkard war gerade daran, ein neues Bild zu entwerfen, wie David vor der Bundeslade tanzt und Laute ſpielt, — er ſchaute nicht auf. Schweigend verließ Ekkehard ſeine Künſtlerſtube.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/77>, abgerufen am 03.05.2024.