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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Ihr sollet mir aus des Klosters Bücherei einen Virgilius ver-
ehren!

Immer zu Scherz geneigt, sagte Herr Cralo, der eine gewichtigere
Forderung erwartet hatte: Was soll Euch der Virgilius, so Ihr der
Sprache nicht kundig seid?

Es versteht sich, daß Ihr mir den Lehrer dazu gebet, sprach die
Herzogin ernst.

Da schüttelte der Abt bedenklich das Haupt: Seit wann werden
die Jünger des heiligen Gall als Gastgeschenke vergeben?

Sie aber sprach: Ihr werdet mich verstanden haben. Der blonde
Pörtner wird mein Lehrer sein, und heut am dritten Tage längstens
wird der Virgilius und er sich bei mir einstellen! Gedenket, daß des
Klosters Streit um die Güter im Rheinthal und die Bestätigung sei-
ner Freiheiten in Schwaben in meiner Hand ruhet, und daß ich nicht
abgeneigt, auch auf dem twieler Felsen den Jüngern Sanct Benedicts
ein Klösterlein herzurichten ...

Lebet wohl, Herr Vetter!

Da winkte Herr Cralo betrübt dem dienenden Bruder: Traget den
Kelch in die Schatzkammer zurück. Frau Hadwig reichte ihm anmuthig
die Rechte, die Rosse stampften, Herr Spazzo schwang den Hut --
in leichtem Trab ritt der Zug aus des Klosters Bann heimwärts.

Von des Wächters Thurmstube ward ein mächtiger Strauß in die
Abreitenden geworfen, dran allein an Sonnenblumen die Hälfte eines
Dutzends prangte, der Astern nicht zu gedenken, aber Niemand fing
ihn auf und der Rosse Huf brauste drüben hin ...

Im trockenen Graben vor dem Thor hatten sich die Schüler der
innern Klosterschule versteckt: "Langes Leben der Frau Herzogin in
Schwaben! Heil ihr!... und sie soll die Felchen bald schicken! Heil!"
klang ihr Ruf gellend in der Scheidenden Ohr.

Wem für ein ungezogen Benehmen drei Feiertage und die besten
Seefische bewilligt sind, der hat gut schreien, sprach Herr Spazzo.

Langsam ging der Abt in's Kloster zurück; er ließ Ekkehard den
Pförtner zu sich rufen und sprach zu ihm: Es ist eine Fügung über
Euch ergangen. Ihr sollet der Herzogin Hadwig einen Virgilius über-
bringen und ihr Lehrer werden.

Ihr ſollet mir aus des Kloſters Bücherei einen Virgilius ver-
ehren!

Immer zu Scherz geneigt, ſagte Herr Cralo, der eine gewichtigere
Forderung erwartet hatte: Was ſoll Euch der Virgilius, ſo Ihr der
Sprache nicht kundig ſeid?

Es verſteht ſich, daß Ihr mir den Lehrer dazu gebet, ſprach die
Herzogin ernſt.

Da ſchüttelte der Abt bedenklich das Haupt: Seit wann werden
die Jünger des heiligen Gall als Gaſtgeſchenke vergeben?

Sie aber ſprach: Ihr werdet mich verſtanden haben. Der blonde
Pörtner wird mein Lehrer ſein, und heut am dritten Tage längſtens
wird der Virgilius und er ſich bei mir einſtellen! Gedenket, daß des
Kloſters Streit um die Güter im Rheinthal und die Beſtätigung ſei-
ner Freiheiten in Schwaben in meiner Hand ruhet, und daß ich nicht
abgeneigt, auch auf dem twieler Felſen den Jüngern Sanct Benedicts
ein Klöſterlein herzurichten ...

Lebet wohl, Herr Vetter!

Da winkte Herr Cralo betrübt dem dienenden Bruder: Traget den
Kelch in die Schatzkammer zurück. Frau Hadwig reichte ihm anmuthig
die Rechte, die Roſſe ſtampften, Herr Spazzo ſchwang den Hut —
in leichtem Trab ritt der Zug aus des Kloſters Bann heimwärts.

Von des Wächters Thurmſtube ward ein mächtiger Strauß in die
Abreitenden geworfen, dran allein an Sonnenblumen die Hälfte eines
Dutzends prangte, der Aſtern nicht zu gedenken, aber Niemand fing
ihn auf und der Roſſe Huf brauste drüben hin ...

Im trockenen Graben vor dem Thor hatten ſich die Schüler der
innern Kloſterſchule verſteckt: „Langes Leben der Frau Herzogin in
Schwaben! Heil ihr!... und ſie ſoll die Felchen bald ſchicken! Heil!“
klang ihr Ruf gellend in der Scheidenden Ohr.

Wem für ein ungezogen Benehmen drei Feiertage und die beſten
Seefiſche bewilligt ſind, der hat gut ſchreien, ſprach Herr Spazzo.

Langſam ging der Abt in's Kloſter zurück; er ließ Ekkehard den
Pförtner zu ſich rufen und ſprach zu ihm: Es iſt eine Fügung über
Euch ergangen. Ihr ſollet der Herzogin Hadwig einen Virgilius über-
bringen und ihr Lehrer werden.

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[54/0076] Ihr ſollet mir aus des Kloſters Bücherei einen Virgilius ver- ehren! Immer zu Scherz geneigt, ſagte Herr Cralo, der eine gewichtigere Forderung erwartet hatte: Was ſoll Euch der Virgilius, ſo Ihr der Sprache nicht kundig ſeid? Es verſteht ſich, daß Ihr mir den Lehrer dazu gebet, ſprach die Herzogin ernſt. Da ſchüttelte der Abt bedenklich das Haupt: Seit wann werden die Jünger des heiligen Gall als Gaſtgeſchenke vergeben? Sie aber ſprach: Ihr werdet mich verſtanden haben. Der blonde Pörtner wird mein Lehrer ſein, und heut am dritten Tage längſtens wird der Virgilius und er ſich bei mir einſtellen! Gedenket, daß des Kloſters Streit um die Güter im Rheinthal und die Beſtätigung ſei- ner Freiheiten in Schwaben in meiner Hand ruhet, und daß ich nicht abgeneigt, auch auf dem twieler Felſen den Jüngern Sanct Benedicts ein Klöſterlein herzurichten ... Lebet wohl, Herr Vetter! Da winkte Herr Cralo betrübt dem dienenden Bruder: Traget den Kelch in die Schatzkammer zurück. Frau Hadwig reichte ihm anmuthig die Rechte, die Roſſe ſtampften, Herr Spazzo ſchwang den Hut — in leichtem Trab ritt der Zug aus des Kloſters Bann heimwärts. Von des Wächters Thurmſtube ward ein mächtiger Strauß in die Abreitenden geworfen, dran allein an Sonnenblumen die Hälfte eines Dutzends prangte, der Aſtern nicht zu gedenken, aber Niemand fing ihn auf und der Roſſe Huf brauste drüben hin ... Im trockenen Graben vor dem Thor hatten ſich die Schüler der innern Kloſterſchule verſteckt: „Langes Leben der Frau Herzogin in Schwaben! Heil ihr!... und ſie ſoll die Felchen bald ſchicken! Heil!“ klang ihr Ruf gellend in der Scheidenden Ohr. Wem für ein ungezogen Benehmen drei Feiertage und die beſten Seefiſche bewilligt ſind, der hat gut ſchreien, ſprach Herr Spazzo. Langſam ging der Abt in's Kloſter zurück; er ließ Ekkehard den Pförtner zu ſich rufen und ſprach zu ihm: Es iſt eine Fügung über Euch ergangen. Ihr ſollet der Herzogin Hadwig einen Virgilius über- bringen und ihr Lehrer werden.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/76>, abgerufen am 24.11.2024.