muthete einst unserer Vorväter Gesang an wie das Geschrei wilder Vögel, aber seither haben wir's gelernt. Klingt's Euch nicht lieblicher als Sang der Schwanen?82)
Lieblicher -- als Sang der Schwanen -- -- wiederholte der Fremde wie im Traum. Dann erhob er sich und schlich leise von dannen. Es hat's Keiner im Kloster zu lesen bekommen, was er in jener Nacht noch in's Tagebuch seiner Reise eintrug:
Diese Männer diesseits der Alpen, schrieb er, wenn sie auch den Donner ihrer Stimmen hoch gen Himmel erdröhnen lassen, können sich doch nimmer zur Süße einer gehobenen Modulation erschwingen. Wahrhaft barbarisch ist die Rauheit solch abgetrunkener Kehlen; wenn sie durch Beugung und Wiederaufrichtung des Tons einen sanf- ten Gesang zu ermöglichen suchen, schauert die Natur und es klingt wie das Fahren eines Wagens, der in Winterszeit über gefrorenes Pflaster dahin knarrt ...83)
Herr Spazzo gedachte, was löblich begonnen, auch löblich zu enden, er schlich sich fort über den Hof in das Gebäude wo Praxedis und die Dienerinnen waren und sprach: ihr sollet zur Herzogin kommen, und zwar gleich -- sie lachten erst ob seiner Kutte, folgten ihm aber zum Saal, und war Keiner der sie von der Schwelle zurückhielt. Und wie die Mägdlein an des Refectoriums Eingang sichtbar wurden, entstand ein Gemurmel und ein Kopfwenden im Saal, als sollte jetzo ein Tanzen und Springen anheben, wie es diese Wände noch nicht erschaut.
Herr Cralo der Abt aber wandte sich an die Herzogin und sprach: Frau Base?! -- und sprach's mit so duldender Wehmuth, daß sie aus ihren Gedanken auffuhr. Und sie sah auf einmal ihren Käm- merer und sich selber in der Mönchskutte mit andern Augen an, denn zuvor, und schaute die Reihen trinkender Männer, den entferntesten verdeckte der Capuze vorstehender Rand das Antlitz, daß es aussah, als werde der Wein in leeren Gewandes Abgrund geschüttet, und die Musik klang ihr gellend in die Ohren, als würde hier ein Mummen- schanz gefeiert, der schon allzulang gedauert ...
Da sprach sie: Es ist Zeit schlafen zu gehen! und ging mit ihrem Gefolg nach dem Schulhaus hinüber, wo ihr Nachtlager sein sollte.
muthete einſt unſerer Vorväter Geſang an wie das Geſchrei wilder Vögel, aber ſeither haben wir's gelernt. Klingt's Euch nicht lieblicher als Sang der Schwanen?82)
Lieblicher — als Sang der Schwanen — — wiederholte der Fremde wie im Traum. Dann erhob er ſich und ſchlich leiſe von dannen. Es hat's Keiner im Kloſter zu leſen bekommen, was er in jener Nacht noch in's Tagebuch ſeiner Reiſe eintrug:
Dieſe Männer dieſſeits der Alpen, ſchrieb er, wenn ſie auch den Donner ihrer Stimmen hoch gen Himmel erdröhnen laſſen, können ſich doch nimmer zur Süße einer gehobenen Modulation erſchwingen. Wahrhaft barbariſch iſt die Rauheit ſolch abgetrunkener Kehlen; wenn ſie durch Beugung und Wiederaufrichtung des Tons einen ſanf- ten Geſang zu ermöglichen ſuchen, ſchauert die Natur und es klingt wie das Fahren eines Wagens, der in Winterszeit über gefrorenes Pflaſter dahin knarrt ...83)
Herr Spazzo gedachte, was löblich begonnen, auch löblich zu enden, er ſchlich ſich fort über den Hof in das Gebäude wo Praxedis und die Dienerinnen waren und ſprach: ihr ſollet zur Herzogin kommen, und zwar gleich — ſie lachten erſt ob ſeiner Kutte, folgten ihm aber zum Saal, und war Keiner der ſie von der Schwelle zurückhielt. Und wie die Mägdlein an des Refectoriums Eingang ſichtbar wurden, entſtand ein Gemurmel und ein Kopfwenden im Saal, als ſollte jetzo ein Tanzen und Springen anheben, wie es dieſe Wände noch nicht erſchaut.
Herr Cralo der Abt aber wandte ſich an die Herzogin und ſprach: Frau Baſe?! — und ſprach's mit ſo duldender Wehmuth, daß ſie aus ihren Gedanken auffuhr. Und ſie ſah auf einmal ihren Käm- merer und ſich ſelber in der Mönchskutte mit andern Augen an, denn zuvor, und ſchaute die Reihen trinkender Männer, den entfernteſten verdeckte der Capuze vorſtehender Rand das Antlitz, daß es ausſah, als werde der Wein in leeren Gewandes Abgrund geſchüttet, und die Muſik klang ihr gellend in die Ohren, als würde hier ein Mummen- ſchanz gefeiert, der ſchon allzulang gedauert ...
Da ſprach ſie: Es iſt Zeit ſchlafen zu gehen! und ging mit ihrem Gefolg nach dem Schulhaus hinüber, wo ihr Nachtlager ſein ſollte.
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muthete einſt unſerer Vorväter Geſang an wie das Geſchrei wilder
Vögel, aber ſeither haben wir's gelernt. Klingt's Euch nicht lieblicher
als Sang der Schwanen?
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Lieblicher — als Sang der Schwanen — — wiederholte der
Fremde wie im Traum. Dann erhob er ſich und ſchlich leiſe von
dannen. Es hat's Keiner im Kloſter zu leſen bekommen, was er in
jener Nacht noch in's Tagebuch ſeiner Reiſe eintrug:
Dieſe Männer dieſſeits der Alpen, ſchrieb er, wenn ſie auch den
Donner ihrer Stimmen hoch gen Himmel erdröhnen laſſen, können ſich
doch nimmer zur Süße einer gehobenen Modulation erſchwingen.
Wahrhaft barbariſch iſt die Rauheit ſolch abgetrunkener Kehlen; wenn
ſie durch Beugung und Wiederaufrichtung des Tons einen ſanf-
ten Geſang zu ermöglichen ſuchen, ſchauert die Natur und es klingt
wie das Fahren eines Wagens, der in Winterszeit über gefrorenes
Pflaſter dahin knarrt ...
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Herr Spazzo gedachte, was löblich begonnen, auch löblich zu enden,
er ſchlich ſich fort über den Hof in das Gebäude wo Praxedis und
die Dienerinnen waren und ſprach: ihr ſollet zur Herzogin kommen,
und zwar gleich — ſie lachten erſt ob ſeiner Kutte, folgten ihm aber
zum Saal, und war Keiner der ſie von der Schwelle zurückhielt.
Und wie die Mägdlein an des Refectoriums Eingang ſichtbar wurden,
entſtand ein Gemurmel und ein Kopfwenden im Saal, als ſollte jetzo
ein Tanzen und Springen anheben, wie es dieſe Wände noch nicht
erſchaut.
Herr Cralo der Abt aber wandte ſich an die Herzogin und ſprach:
Frau Baſe?! — und ſprach's mit ſo duldender Wehmuth, daß ſie
aus ihren Gedanken auffuhr. Und ſie ſah auf einmal ihren Käm-
merer und ſich ſelber in der Mönchskutte mit andern Augen an, denn
zuvor, und ſchaute die Reihen trinkender Männer, den entfernteſten
verdeckte der Capuze vorſtehender Rand das Antlitz, daß es ausſah,
als werde der Wein in leeren Gewandes Abgrund geſchüttet, und die
Muſik klang ihr gellend in die Ohren, als würde hier ein Mummen-
ſchanz gefeiert, der ſchon allzulang gedauert ...
Da ſprach ſie: Es iſt Zeit ſchlafen zu gehen! und ging mit ihrem
Gefolg nach dem Schulhaus hinüber, wo ihr Nachtlager ſein ſollte.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/74>, abgerufen am 24.11.2024.
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