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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Oberfläche eine gemeine March? Da las der seinen griechischen Text,
aber die Bewegung in den Schulbänken ward stärker, es summte und
brummte wie ferne Sturmglocken, zur Uebersetzung kam's nicht mehr,
plötzlich stürmten die Zöglinge Ratpert's lärmend vor, sie stürmten
auf die Herzogin ein, rissen sie von des Abts und ihres Kämmerers
Seite: gefangen! gefangen! schrie die holde Jugend und begann sich
mit den Schulbänken zu verschanzen: gefangen! wir haben die Herzogin
in Schwaben gefangen. Was soll ihr Lösegeld sein?

Frau Hadwig hatte sich schon in mancherlei Lebenslagen befunden.
Daß sie als Gefangene unter Schulknaben fallen könne, war ihr noch
nicht zu Sinn gekommen. Weil die Sache neu war, hatte sie Reiz
für sie; sie fügte sich.

Ratpert der Lehrmeister holte aus seinem Holzverschlag eine mäch-
tige Ruthe hervor, schwang sie dräuend zur Umkehr und rief, ein
zweiter Neptunus, die virgilischen Verse in's Getümmel:

"So weit hat das Vertrauen auf euer Geschlecht euch verleitet?
Himmel und Erde sogar, ohn' alles Geheiß von mir selber
Wagt ihr zu mischen, ihr Winde, und solchen Tumult zu erheben?!
Quos ego!!"

Erneuter Hallohruf war die Antwort. Schon war der Saal durch
Schulbänke und Schemel abgesperrt. Herr Spazzo überlegte den Ge-
danken eines Sturms und kräftiger Faustschläge an die Haupträdels-
führer. Der Abt war sprachlos, die Keckheit war ihm lähmend in
die Glieder gefahren.

Die hohe Gefangene stand am andern Ende des Hörsaals in einer
Fensternische, umringt von ihren fünfzehnjährigen Entführern.

Was soll das Alles, ihr schlimmen Knaben? frug sie lächelnd.

Da trat Einer der Aufrührer vor, beugte sein Knie und sprach
demüthig: Wer als Fremder kommt, ist sonder Schutz und Friede,
und friedlose Leute hält man gefangen, bis sie sich der Unfreiheit lösen.63)

Lernt ihr das auch aus euren griechischen Büchern?

Nein, Herrin, das ist deutscher Brauch.

So will ich mich denn auslösen, lachte Frau Hadwig, erfaßte den
rothwangigen Logiker und zog ihn zu sich heran, ihn zu küssen; der
aber riß sich von ihr los, sprang in den Kreis der lärmenden Ge-
nossen und rief:

Oberfläche eine gemeine March? Da las der ſeinen griechiſchen Text,
aber die Bewegung in den Schulbänken ward ſtärker, es ſummte und
brummte wie ferne Sturmglocken, zur Ueberſetzung kam's nicht mehr,
plötzlich ſtürmten die Zöglinge Ratpert's lärmend vor, ſie ſtürmten
auf die Herzogin ein, riſſen ſie von des Abts und ihres Kämmerers
Seite: gefangen! gefangen! ſchrie die holde Jugend und begann ſich
mit den Schulbänken zu verſchanzen: gefangen! wir haben die Herzogin
in Schwaben gefangen. Was ſoll ihr Löſegeld ſein?

Frau Hadwig hatte ſich ſchon in mancherlei Lebenslagen befunden.
Daß ſie als Gefangene unter Schulknaben fallen könne, war ihr noch
nicht zu Sinn gekommen. Weil die Sache neu war, hatte ſie Reiz
für ſie; ſie fügte ſich.

Ratpert der Lehrmeiſter holte aus ſeinem Holzverſchlag eine mäch-
tige Ruthe hervor, ſchwang ſie dräuend zur Umkehr und rief, ein
zweiter Neptunus, die virgiliſchen Verſe in's Getümmel:

„So weit hat das Vertrauen auf euer Geſchlecht euch verleitet?
Himmel und Erde ſogar, ohn' alles Geheiß von mir ſelber
Wagt ihr zu miſchen, ihr Winde, und ſolchen Tumult zu erheben?!
Quos ego!!“

Erneuter Hallohruf war die Antwort. Schon war der Saal durch
Schulbänke und Schemel abgeſperrt. Herr Spazzo überlegte den Ge-
danken eines Sturms und kräftiger Fauſtſchläge an die Haupträdels-
führer. Der Abt war ſprachlos, die Keckheit war ihm lähmend in
die Glieder gefahren.

Die hohe Gefangene ſtand am andern Ende des Hörſaals in einer
Fenſterniſche, umringt von ihren fünfzehnjährigen Entführern.

Was ſoll das Alles, ihr ſchlimmen Knaben? frug ſie lächelnd.

Da trat Einer der Aufrührer vor, beugte ſein Knie und ſprach
demüthig: Wer als Fremder kommt, iſt ſonder Schutz und Friede,
und friedloſe Leute hält man gefangen, bis ſie ſich der Unfreiheit löſen.63)

Lernt ihr das auch aus euren griechiſchen Büchern?

Nein, Herrin, das iſt deutſcher Brauch.

So will ich mich denn auslöſen, lachte Frau Hadwig, erfaßte den
rothwangigen Logiker und zog ihn zu ſich heran, ihn zu küſſen; der
aber riß ſich von ihr los, ſprang in den Kreis der lärmenden Ge-
noſſen und rief:

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[41/0063] Oberfläche eine gemeine March? Da las der ſeinen griechiſchen Text, aber die Bewegung in den Schulbänken ward ſtärker, es ſummte und brummte wie ferne Sturmglocken, zur Ueberſetzung kam's nicht mehr, plötzlich ſtürmten die Zöglinge Ratpert's lärmend vor, ſie ſtürmten auf die Herzogin ein, riſſen ſie von des Abts und ihres Kämmerers Seite: gefangen! gefangen! ſchrie die holde Jugend und begann ſich mit den Schulbänken zu verſchanzen: gefangen! wir haben die Herzogin in Schwaben gefangen. Was ſoll ihr Löſegeld ſein? Frau Hadwig hatte ſich ſchon in mancherlei Lebenslagen befunden. Daß ſie als Gefangene unter Schulknaben fallen könne, war ihr noch nicht zu Sinn gekommen. Weil die Sache neu war, hatte ſie Reiz für ſie; ſie fügte ſich. Ratpert der Lehrmeiſter holte aus ſeinem Holzverſchlag eine mäch- tige Ruthe hervor, ſchwang ſie dräuend zur Umkehr und rief, ein zweiter Neptunus, die virgiliſchen Verſe in's Getümmel: „So weit hat das Vertrauen auf euer Geſchlecht euch verleitet? Himmel und Erde ſogar, ohn' alles Geheiß von mir ſelber Wagt ihr zu miſchen, ihr Winde, und ſolchen Tumult zu erheben?! Quos ego!!“ Erneuter Hallohruf war die Antwort. Schon war der Saal durch Schulbänke und Schemel abgeſperrt. Herr Spazzo überlegte den Ge- danken eines Sturms und kräftiger Fauſtſchläge an die Haupträdels- führer. Der Abt war ſprachlos, die Keckheit war ihm lähmend in die Glieder gefahren. Die hohe Gefangene ſtand am andern Ende des Hörſaals in einer Fenſterniſche, umringt von ihren fünfzehnjährigen Entführern. Was ſoll das Alles, ihr ſchlimmen Knaben? frug ſie lächelnd. Da trat Einer der Aufrührer vor, beugte ſein Knie und ſprach demüthig: Wer als Fremder kommt, iſt ſonder Schutz und Friede, und friedloſe Leute hält man gefangen, bis ſie ſich der Unfreiheit löſen. ⁶³⁾ Lernt ihr das auch aus euren griechiſchen Büchern? Nein, Herrin, das iſt deutſcher Brauch. So will ich mich denn auslöſen, lachte Frau Hadwig, erfaßte den rothwangigen Logiker und zog ihn zu ſich heran, ihn zu küſſen; der aber riß ſich von ihr los, ſprang in den Kreis der lärmenden Ge- noſſen und rief:

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/63>, abgerufen am 23.11.2024.