Allen solche Herbigkeit anerschaffen, so hätte Eva nimmermehr vom Apfel gekostet, sprach sie mit sauersüßem Lächeln.
Wiborad war beleidigt. Gut! erwiederte sie, daß du der Eva Angedenken nicht erlöschen lässest. Die hat denselben Geschmack ge- habt wie du, drum ist auch die Sünde in die Welt gekommen.46)
Die Griechin blickte nach dem Himmel. Aber nicht aus Rührung. Ein Falke kreiste einsam über Wiborad's Zelle. O könnt' ich mit dir über den Bodensee fliegen, dachte sie. Dann wiegte sie schalkhaft ihr Haupt.
Wie muß ich's anfangen, fragte sie, daß ich vollkommen werde, wie Ihr?
Der Welt gründlich entsagen, antwortete Wiborad, ist eine Gnade von oben; der Mensch kann sich's nicht geben. Fasten, Quellwasser trinken, das Fleisch abtödten, Psalmen beten, das all sind nur Vor- bereitungen. Das Wichtigste ist ein guter Schutzheiliger. Wir Frauen sind ein zerbrechlich Volk, aber eindringlich Gebet ruft die Streiter Gottes an unsere Seite, die helfen. Schau her an's kleine Fenster, da steht er oft in nächtlicher Stille, der Erlesene meiner Gedanken, der tapfere Bischof Martinus, und hält Schild und Lanze wider die anstürmenden Teufel; ein blauer Strahlenkranz geht von seinem Haupte aus, es zuckt durch's Dunkel wie Wetterleuchten, wenn er naht und grunzend entfliehn die Dämonen. Und wenn der Kampf geendet, dann pflegt er gar traulichen Zwiespruch; ich klag ihm, was das Herz bedrängt, all die Noth, die ich mit den Nachbarinnen habe und alles Leid, das mir die Klosterleute zufügen, und der Heilige nickt und schüttelt die wallenden Locken und nimmt Alles mit sich himmelauf[-] wärts und theilt es seinem Freund, dem Erzengel Michael, mit, der hat jeden Montag die Wache am Thron Gott Vaters,47) so kommt's an den rechten Ort und Wiborad, die Letzte der Letzten im Dienst des Hochthronenden, ist nicht vergessen ...
Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron erwählen, sprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborad's Lobspruch nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eifersüchtigen Blick auf die rothen Wangen der Griechin: Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung, sprach sie mit gefalteten Händen; -- glaubt Ihr, das ist mit einem leichtfertigen Wort und mit einem glatten Gesichte gethan? Unerhört!
Allen ſolche Herbigkeit anerſchaffen, ſo hätte Eva nimmermehr vom Apfel gekoſtet, ſprach ſie mit ſauerſüßem Lächeln.
Wiborad war beleidigt. Gut! erwiederte ſie, daß du der Eva Angedenken nicht erlöſchen läſſeſt. Die hat denſelben Geſchmack ge- habt wie du, drum iſt auch die Sünde in die Welt gekommen.46)
Die Griechin blickte nach dem Himmel. Aber nicht aus Rührung. Ein Falke kreiste einſam über Wiborad's Zelle. O könnt' ich mit dir über den Bodenſee fliegen, dachte ſie. Dann wiegte ſie ſchalkhaft ihr Haupt.
Wie muß ich's anfangen, fragte ſie, daß ich vollkommen werde, wie Ihr?
Der Welt gründlich entſagen, antwortete Wiborad, iſt eine Gnade von oben; der Menſch kann ſich's nicht geben. Faſten, Quellwaſſer trinken, das Fleiſch abtödten, Pſalmen beten, das all ſind nur Vor- bereitungen. Das Wichtigſte iſt ein guter Schutzheiliger. Wir Frauen ſind ein zerbrechlich Volk, aber eindringlich Gebet ruft die Streiter Gottes an unſere Seite, die helfen. Schau her an's kleine Fenſter, da ſteht er oft in nächtlicher Stille, der Erleſene meiner Gedanken, der tapfere Biſchof Martinus, und hält Schild und Lanze wider die anſtürmenden Teufel; ein blauer Strahlenkranz geht von ſeinem Haupte aus, es zuckt durch's Dunkel wie Wetterleuchten, wenn er naht und grunzend entfliehn die Dämonen. Und wenn der Kampf geendet, dann pflegt er gar traulichen Zwieſpruch; ich klag ihm, was das Herz bedrängt, all die Noth, die ich mit den Nachbarinnen habe und alles Leid, das mir die Kloſterleute zufügen, und der Heilige nickt und ſchüttelt die wallenden Locken und nimmt Alles mit ſich himmelauf[-] wärts und theilt es ſeinem Freund, dem Erzengel Michael, mit, der hat jeden Montag die Wache am Thron Gott Vaters,47) ſo kommt's an den rechten Ort und Wiborad, die Letzte der Letzten im Dienſt des Hochthronenden, iſt nicht vergeſſen ...
Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron erwählen, ſprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborad's Lobſpruch nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eiferſüchtigen Blick auf die rothen Wangen der Griechin: Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung, ſprach ſie mit gefalteten Händen; — glaubt Ihr, das iſt mit einem leichtfertigen Wort und mit einem glatten Geſichte gethan? Unerhört!
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Allen ſolche Herbigkeit anerſchaffen, ſo hätte Eva nimmermehr vom
Apfel gekoſtet, ſprach ſie mit ſauerſüßem Lächeln.
Wiborad war beleidigt. Gut! erwiederte ſie, daß du der Eva
Angedenken nicht erlöſchen läſſeſt. Die hat denſelben Geſchmack ge-
habt wie du, drum iſt auch die Sünde in die Welt gekommen.
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Die Griechin blickte nach dem Himmel. Aber nicht aus Rührung.
Ein Falke kreiste einſam über Wiborad's Zelle. O könnt' ich mit
dir über den Bodenſee fliegen, dachte ſie. Dann wiegte ſie ſchalkhaft
ihr Haupt.
Wie muß ich's anfangen, fragte ſie, daß ich vollkommen werde,
wie Ihr?
Der Welt gründlich entſagen, antwortete Wiborad, iſt eine Gnade
von oben; der Menſch kann ſich's nicht geben. Faſten, Quellwaſſer
trinken, das Fleiſch abtödten, Pſalmen beten, das all ſind nur Vor-
bereitungen. Das Wichtigſte iſt ein guter Schutzheiliger. Wir Frauen
ſind ein zerbrechlich Volk, aber eindringlich Gebet ruft die Streiter
Gottes an unſere Seite, die helfen. Schau her an's kleine Fenſter,
da ſteht er oft in nächtlicher Stille, der Erleſene meiner Gedanken,
der tapfere Biſchof Martinus, und hält Schild und Lanze wider die
anſtürmenden Teufel; ein blauer Strahlenkranz geht von ſeinem Haupte
aus, es zuckt durch's Dunkel wie Wetterleuchten, wenn er naht und
grunzend entfliehn die Dämonen. Und wenn der Kampf geendet,
dann pflegt er gar traulichen Zwieſpruch; ich klag ihm, was das Herz
bedrängt, all die Noth, die ich mit den Nachbarinnen habe und alles
Leid, das mir die Kloſterleute zufügen, und der Heilige nickt und
ſchüttelt die wallenden Locken und nimmt Alles mit ſich himmelauf-
wärts und theilt es ſeinem Freund, dem Erzengel Michael, mit, der
hat jeden Montag die Wache am Thron Gott Vaters,
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ſo kommt's
an den rechten Ort und Wiborad, die Letzte der Letzten im Dienſt
des Hochthronenden, iſt nicht vergeſſen ...
Da will ich den heiligen Martinus auch zu meinem Schutzpatron
erwählen, ſprach Praxedis. Aber darauf hatte Wiborad's Lobſpruch
nicht gezielt. Sie warf einen verächtlich eiferſüchtigen Blick auf die
rothen Wangen der Griechin: Der Herr verzeih Euch Eure Anmaßung,
ſprach ſie mit gefalteten Händen; — glaubt Ihr, das iſt mit einem
leichtfertigen Wort und mit einem glatten Geſichte gethan? Unerhört!
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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