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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Singweisen erdacht, jetzt war er verdüstert und ging in der Stille der
Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen; in der Krypta des
heiligen Gallus hatte er jüngst den Teufel erreicht und so darnieder-
geschlagen, daß er mit lautem Auwehschrei in einen Winkel sich barg;
und seine Neider sagten, auch sein schwermüthiges Lied media vita
sei unheimlichen Ursprungs und vom bösen Feind geoffenbart als Löse-
geld, da er ihn in seiner Zelle siegreich zusammengetreten unter star-
kem Fuße festhielt.

Aber neben ihm lächelte ein gutmüthig ehrenfest Gesicht aus eis-
grauem Bart herfür; der starke Tutilo war's, der saß am liebsten
vor der Schnitzbank und schnitzte die wunderfeinen Bildwerke in Elfen-
bein, noch gibt das Diptychon mit Maria's Himmelfahrt und dem
Bären des heiligen Gallus Zeugniß von seiner Kunst. Aber wenn
ihm der Rücken sich krümmen wollte von der Arbeit Last, zog er sin-
gend hinab auf die Wolfsjagd oder suchte einen ehrlichen Faustkampf
zur Erholung, er focht lieber mit bösen Menschen als mit nächtlichem
Spuck und sagte oft im Vertrauen zu seinem Freund Notker: Wer so
Manchem in Christenheit und Heidenschaft ein blaues Denkzeichen ver-
abreicht, wie ich, kann der Dämonomachia entbehren.

Auch Ratpert kam herzu, der lang erprobte Lehrer der Schule,
der immer unwillig auffuhr, wenn ihn das Kapitelglöcklein von seinen
Geschichtsbüchern abrief. In vornehmer Haltung trug er das Haupt;
er und die beiden Andern waren ein Herz und eine Seele, ein drei-
blättriger Klosterklee, so verschieden auch ihr Wesen.21) Weil er un-
ter den letzten in Saal trat, kam Ratpert neben seinen Widersacher
zu stehen, den bösen Sindolt, der that, als sähe er ihn nicht und
flüsterte seinem Nachbar Etwas zu, der war ein klein Männlein mit
einem Gesicht wie eine Spitzmaus und kniff den Mund zusammen,
denn Sindolt hatte ihm so eben zugeraunt, im großen Wörterbuch
des Bischof Salomo22) sei zu der Glosse: "Rabulista bedeutet Einen
der über jeglich Ding der Welt disputiren will," von unbekannter
Hand zugeschrieben worden: "wie Radolt, unser Denkmann."

Aus dem Dunkel im Saalesgrund ragte Sintram hervor, der un-
ermüdliche Schönschreiber, dessen Schriftzüge die ganze cisalpinische
Welt bewunderte;23) die größten von Sanct Gallus Jüngern an Maaß
der Körpers waren die Schotten, die am Eingang ihren Stand nahmen,

Singweiſen erdacht, jetzt war er verdüſtert und ging in der Stille der
Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen; in der Krypta des
heiligen Gallus hatte er jüngſt den Teufel erreicht und ſo darnieder-
geſchlagen, daß er mit lautem Auwehſchrei in einen Winkel ſich barg;
und ſeine Neider ſagten, auch ſein ſchwermüthiges Lied media vita
ſei unheimlichen Urſprungs und vom böſen Feind geoffenbart als Löſe-
geld, da er ihn in ſeiner Zelle ſiegreich zuſammengetreten unter ſtar-
kem Fuße feſthielt.

Aber neben ihm lächelte ein gutmüthig ehrenfeſt Geſicht aus eis-
grauem Bart herfür; der ſtarke Tutilo war's, der ſaß am liebſten
vor der Schnitzbank und ſchnitzte die wunderfeinen Bildwerke in Elfen-
bein, noch gibt das Diptychon mit Maria's Himmelfahrt und dem
Bären des heiligen Gallus Zeugniß von ſeiner Kunſt. Aber wenn
ihm der Rücken ſich krümmen wollte von der Arbeit Laſt, zog er ſin-
gend hinab auf die Wolfsjagd oder ſuchte einen ehrlichen Fauſtkampf
zur Erholung, er focht lieber mit böſen Menſchen als mit nächtlichem
Spuck und ſagte oft im Vertrauen zu ſeinem Freund Notker: Wer ſo
Manchem in Chriſtenheit und Heidenſchaft ein blaues Denkzeichen ver-
abreicht, wie ich, kann der Dämonomachia entbehren.

Auch Ratpert kam herzu, der lang erprobte Lehrer der Schule,
der immer unwillig auffuhr, wenn ihn das Kapitelglöcklein von ſeinen
Geſchichtsbüchern abrief. In vornehmer Haltung trug er das Haupt;
er und die beiden Andern waren ein Herz und eine Seele, ein drei-
blättriger Kloſterklee, ſo verſchieden auch ihr Weſen.21) Weil er un-
ter den letzten in Saal trat, kam Ratpert neben ſeinen Widerſacher
zu ſtehen, den böſen Sindolt, der that, als ſähe er ihn nicht und
flüſterte ſeinem Nachbar Etwas zu, der war ein klein Männlein mit
einem Geſicht wie eine Spitzmaus und kniff den Mund zuſammen,
denn Sindolt hatte ihm ſo eben zugeraunt, im großen Wörterbuch
des Biſchof Salomo22) ſei zu der Gloſſe: „Rabuliſta bedeutet Einen
der über jeglich Ding der Welt disputiren will,“ von unbekannter
Hand zugeſchrieben worden: „wie Radolt, unſer Denkmann.“

Aus dem Dunkel im Saalesgrund ragte Sintram hervor, der un-
ermüdliche Schönſchreiber, deſſen Schriftzüge die ganze cisalpiniſche
Welt bewunderte;23) die größten von Sanct Gallus Jüngern an Maaß
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[16/0038] Singweiſen erdacht, jetzt war er verdüſtert und ging in der Stille der Nacht den Dämonen nach, mit ihnen zu kämpfen; in der Krypta des heiligen Gallus hatte er jüngſt den Teufel erreicht und ſo darnieder- geſchlagen, daß er mit lautem Auwehſchrei in einen Winkel ſich barg; und ſeine Neider ſagten, auch ſein ſchwermüthiges Lied media vita ſei unheimlichen Urſprungs und vom böſen Feind geoffenbart als Löſe- geld, da er ihn in ſeiner Zelle ſiegreich zuſammengetreten unter ſtar- kem Fuße feſthielt. Aber neben ihm lächelte ein gutmüthig ehrenfeſt Geſicht aus eis- grauem Bart herfür; der ſtarke Tutilo war's, der ſaß am liebſten vor der Schnitzbank und ſchnitzte die wunderfeinen Bildwerke in Elfen- bein, noch gibt das Diptychon mit Maria's Himmelfahrt und dem Bären des heiligen Gallus Zeugniß von ſeiner Kunſt. Aber wenn ihm der Rücken ſich krümmen wollte von der Arbeit Laſt, zog er ſin- gend hinab auf die Wolfsjagd oder ſuchte einen ehrlichen Fauſtkampf zur Erholung, er focht lieber mit böſen Menſchen als mit nächtlichem Spuck und ſagte oft im Vertrauen zu ſeinem Freund Notker: Wer ſo Manchem in Chriſtenheit und Heidenſchaft ein blaues Denkzeichen ver- abreicht, wie ich, kann der Dämonomachia entbehren. Auch Ratpert kam herzu, der lang erprobte Lehrer der Schule, der immer unwillig auffuhr, wenn ihn das Kapitelglöcklein von ſeinen Geſchichtsbüchern abrief. In vornehmer Haltung trug er das Haupt; er und die beiden Andern waren ein Herz und eine Seele, ein drei- blättriger Kloſterklee, ſo verſchieden auch ihr Weſen. ²¹⁾ Weil er un- ter den letzten in Saal trat, kam Ratpert neben ſeinen Widerſacher zu ſtehen, den böſen Sindolt, der that, als ſähe er ihn nicht und flüſterte ſeinem Nachbar Etwas zu, der war ein klein Männlein mit einem Geſicht wie eine Spitzmaus und kniff den Mund zuſammen, denn Sindolt hatte ihm ſo eben zugeraunt, im großen Wörterbuch des Biſchof Salomo ²²⁾ ſei zu der Gloſſe: „Rabuliſta bedeutet Einen der über jeglich Ding der Welt disputiren will,“ von unbekannter Hand zugeſchrieben worden: „wie Radolt, unſer Denkmann.“ Aus dem Dunkel im Saalesgrund ragte Sintram hervor, der un- ermüdliche Schönſchreiber, deſſen Schriftzüge die ganze cisalpiniſche Welt bewunderte; ²³⁾ die größten von Sanct Gallus Jüngern an Maaß der Körpers waren die Schotten, die am Eingang ihren Stand nahmen,

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/38>, abgerufen am 21.11.2024.