"Der du ein Augenzeuge von deines Oheims Leid gewesen, wisse zu schweigen. Und wo er weilet, frage nicht -- Gottes Hand reicht weit. Du hast im Procopius270) gelesen vom Vandalenkönig Gelimer; da er im numidischen Gebirg eingeschlossen saß und sein Elend groß war, heischte er von den Belagerern eine Harfe, seinen Schmerz zu versingen. Gedenke dabei deines Ohms und wolle dem Ueberbringer eine eurer kleinen Harfen mitgeben und etliche Bogen reinen Perga- mentes sammt Farbe und Rohrfeder, denn mein Herz ist wohlgemu- thet zu singen in der Einsamkeit. Verbrenne das Blatt. Die Gnade Gottes sei mit dir! Leb' wohl!"
Mußt schlau und fürsichtig sein als wenn du eines Adlers Nest beschleichen wolltest, um die Jungen auszuheben, sprach Ekkehard zum Handbuben. Erkunde den Klosterschüler, der mit dem Wächter Ro- meias war, da die Hunnen kamen: dem entbiete den Brief. Sonst soll Niemand drum wissen.
Der Handbub legte den Zeigefinger auf die Lippen: Bei uns wird nichts verplaudert! sprach er, Bergluft macht still.
Nach zwei Tagen kam er wieder bergan gestiegen. Er packte den Inhalt seines Tragkorbes vor Ekkehard's Höhle aus. Eine kleine Harfe war unter grünen Eichzweigen verborgen, dreieckig, der Gestalt des griechischen Delta nachgebildet, mit zehn Saiten besaitet, Farbe und Schreibgeräth dabei und viel Blätter saubern weichen Perga- mentes, sorgsam waren die Linien drein punctirt, daß die Buchstaben gerade und eben drauf zu stehen kämen.
Aber der Handbub sah finster und trotzig drein.
Hast's brav gemacht, sagte Ekkehard.
Ein zweitesmal laß ich mich nicht mehr dort hinunterschicken, murrte der Bub und ballte die junge Faust.
Warum?
Weil dort keine Luft geht für unser Eins. Im Stüblein der Wandersleut' hab' ich mir den Schüler erkundet, und hab' den Auf- trag bestellt. Hernach aber wollt' ich erschauen, was das für eine heilige junge Zunft sei, die dort in Kutten zur Schule geht; und bin in Klostergarten gegangen, dort haben die jungen Herren mit Wür- feln gespielt und Wein getrunken, es war ein Ergötzungstag.271)
„Dem Kloſterſchüler Burkard Heil und Segen.
„Der du ein Augenzeuge von deines Oheims Leid geweſen, wiſſe zu ſchweigen. Und wo er weilet, frage nicht — Gottes Hand reicht weit. Du haſt im Procopius270) geleſen vom Vandalenkönig Gelimer; da er im numidiſchen Gebirg eingeſchloſſen ſaß und ſein Elend groß war, heiſchte er von den Belagerern eine Harfe, ſeinen Schmerz zu verſingen. Gedenke dabei deines Ohms und wolle dem Ueberbringer eine eurer kleinen Harfen mitgeben und etliche Bogen reinen Perga- mentes ſammt Farbe und Rohrfeder, denn mein Herz iſt wohlgemu- thet zu ſingen in der Einſamkeit. Verbrenne das Blatt. Die Gnade Gottes ſei mit dir! Leb' wohl!“
Mußt ſchlau und fürſichtig ſein als wenn du eines Adlers Neſt beſchleichen wollteſt, um die Jungen auszuheben, ſprach Ekkehard zum Handbuben. Erkunde den Kloſterſchüler, der mit dem Wächter Ro- meias war, da die Hunnen kamen: dem entbiete den Brief. Sonſt ſoll Niemand drum wiſſen.
Der Handbub legte den Zeigefinger auf die Lippen: Bei uns wird nichts verplaudert! ſprach er, Bergluft macht ſtill.
Nach zwei Tagen kam er wieder bergan geſtiegen. Er packte den Inhalt ſeines Tragkorbes vor Ekkehard's Höhle aus. Eine kleine Harfe war unter grünen Eichzweigen verborgen, dreieckig, der Geſtalt des griechiſchen Delta nachgebildet, mit zehn Saiten beſaitet, Farbe und Schreibgeräth dabei und viel Blätter ſaubern weichen Perga- mentes, ſorgſam waren die Linien drein punctirt, daß die Buchſtaben gerade und eben drauf zu ſtehen kämen.
Aber der Handbub ſah finſter und trotzig drein.
Haſt's brav gemacht, ſagte Ekkehard.
Ein zweitesmal laß ich mich nicht mehr dort hinunterſchicken, murrte der Bub und ballte die junge Fauſt.
Warum?
Weil dort keine Luft geht für unſer Eins. Im Stüblein der Wandersleut' hab' ich mir den Schüler erkundet, und hab' den Auf- trag beſtellt. Hernach aber wollt' ich erſchauen, was das für eine heilige junge Zunft ſei, die dort in Kutten zur Schule geht; und bin in Kloſtergarten gegangen, dort haben die jungen Herren mit Wür- feln geſpielt und Wein getrunken, es war ein Ergötzungstag.271)
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„Dem Kloſterſchüler Burkard Heil und Segen.
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zu ſchweigen. Und wo er weilet, frage nicht — Gottes Hand reicht
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geleſen vom Vandalenkönig Gelimer;
da er im numidiſchen Gebirg eingeſchloſſen ſaß und ſein Elend groß
war, heiſchte er von den Belagerern eine Harfe, ſeinen Schmerz zu
verſingen. Gedenke dabei deines Ohms und wolle dem Ueberbringer
eine eurer kleinen Harfen mitgeben und etliche Bogen reinen Perga-
mentes ſammt Farbe und Rohrfeder, denn mein Herz iſt wohlgemu-
thet zu ſingen in der Einſamkeit. Verbrenne das Blatt. Die Gnade
Gottes ſei mit dir! Leb' wohl!“
Mußt ſchlau und fürſichtig ſein als wenn du eines Adlers Neſt
beſchleichen wollteſt, um die Jungen auszuheben, ſprach Ekkehard zum
Handbuben. Erkunde den Kloſterſchüler, der mit dem Wächter Ro-
meias war, da die Hunnen kamen: dem entbiete den Brief. Sonſt
ſoll Niemand drum wiſſen.
Der Handbub legte den Zeigefinger auf die Lippen: Bei uns wird
nichts verplaudert! ſprach er, Bergluft macht ſtill.
Nach zwei Tagen kam er wieder bergan geſtiegen. Er packte den
Inhalt ſeines Tragkorbes vor Ekkehard's Höhle aus. Eine kleine
Harfe war unter grünen Eichzweigen verborgen, dreieckig, der Geſtalt
des griechiſchen Delta nachgebildet, mit zehn Saiten beſaitet, Farbe
und Schreibgeräth dabei und viel Blätter ſaubern weichen Perga-
mentes, ſorgſam waren die Linien drein punctirt, daß die Buchſtaben
gerade und eben drauf zu ſtehen kämen.
Aber der Handbub ſah finſter und trotzig drein.
Haſt's brav gemacht, ſagte Ekkehard.
Ein zweitesmal laß ich mich nicht mehr dort hinunterſchicken,
murrte der Bub und ballte die junge Fauſt.
Warum?
Weil dort keine Luft geht für unſer Eins. Im Stüblein der
Wandersleut' hab' ich mir den Schüler erkundet, und hab' den Auf-
trag beſtellt. Hernach aber wollt' ich erſchauen, was das für eine
heilige junge Zunft ſei, die dort in Kutten zur Schule geht; und bin
in Kloſtergarten gegangen, dort haben die jungen Herren mit Wür-
feln geſpielt und Wein getrunken, es war ein Ergötzungstag.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/362>, abgerufen am 24.11.2024.
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