Die Sonne stund über dem Kronberg und neigte sich zum Un- tergang, und sprühte ein glühgolden Feuer an Himmel und schoß lustig ihre Strahlen in den Nebel über dem Bodensee. Itzt riß die weiße Umhüllung, in leiser ahnungsvoller Bläue lag der Untersee vor Ekkehard's Blick; sein Auge schärfte sich am Glanz des Abends, er sah einen verschwimmenden dunkeln Punkt, das war die Reichenau, er sah einen Berg, kaum hob er sich am Himmelsgrund, aber er kannte ihn -- es war der hohe Twiel.
Und der Kuhreigen tönte in's Heerdengeläut und wärmer und wärmer färbte sich Alles auf der Alp, goldbraungrün leuchteten die Matten, leiser Abglanz der Röthe warf sich auf die grauen Kalk- steinwände des Kamor, da hub sich auch in Ekkehard's Seele ein Leuchten und Glänzen, -- die Gedanken flogen hinüber in's ferne Hegau und weiter, es war ihm als säße er wieder bei Frau Hadwig auf dem Hohenstoffeln wie damals als sie des Hunnen Cappan Hoch- zeit feierten, als käme Audifax mit Hadumoth aus der Hunnennoth heimgeritten, als säh' er das Glück in Gestalt jener Zwei verkörpert, und aus dem Schutt vergangener Zeit tauchte auf, was der sinnige Conrad von Alzey ihm dereinst von Waltari und Hiltgunde erzählt, mit Sang und Klang zog der Geist der Dichtung bei ihm ein, er sprang auf und that einen Satz in die Luft, daß der Säntis seine Freude an ihm haben mochte: im Bild der Dichtung soll das arme Herz sich dessen freuen, was ihm das Leben nimmer bieten kann, an Reckenkampf und Minnelohn, -- ich will das Lied vom Waltari von Aquitanien singen! rief er der scheidenden Sonne zu und es war ihm als stünde drüben in der Gemsenlucke zwischen Sigelsalp und Maar- wies glanzumwallt der Freund seiner Jugend, der Meister Conrad, und winke ihm mild lächelnd herüber und spreche: Thu's!
Und Ekkehard ging fröhlich an's Werk. Was bei uns geschieht, muß recht geschehen oder gar nicht, sonst lachen uns die Berge aus -- so hatte der Senn eines Tages zu ihm gesprochen und er hatte beifällig dazu genickt. Der Handbub ward in's Thal geschickt, Eier und Honig zu holen, da bat ihn Ekkehard für einen Tag bei seinem Meister frei und gab ihm einen Brief nach Sanct Gallen an seinen Neffen. Er schrieb ihn in damals üblicher dort wohlbekannter Stabrunenschrift,269) damit ihn kein Unberufener lese. Darin aber stand:
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Die Sonne ſtund über dem Kronberg und neigte ſich zum Un- tergang, und ſprühte ein glühgolden Feuer an Himmel und ſchoß luſtig ihre Strahlen in den Nebel über dem Bodenſee. Itzt riß die weiße Umhüllung, in leiſer ahnungsvoller Bläue lag der Unterſee vor Ekkehard's Blick; ſein Auge ſchärfte ſich am Glanz des Abends, er ſah einen verſchwimmenden dunkeln Punkt, das war die Reichenau, er ſah einen Berg, kaum hob er ſich am Himmelsgrund, aber er kannte ihn — es war der hohe Twiel.
Und der Kuhreigen tönte in's Heerdengeläut und wärmer und wärmer färbte ſich Alles auf der Alp, goldbraungrün leuchteten die Matten, leiſer Abglanz der Röthe warf ſich auf die grauen Kalk- ſteinwände des Kamor, da hub ſich auch in Ekkehard's Seele ein Leuchten und Glänzen, — die Gedanken flogen hinüber in's ferne Hegau und weiter, es war ihm als ſäße er wieder bei Frau Hadwig auf dem Hohenſtoffeln wie damals als ſie des Hunnen Cappan Hoch- zeit feierten, als käme Audifax mit Hadumoth aus der Hunnennoth heimgeritten, als ſäh' er das Glück in Geſtalt jener Zwei verkörpert, und aus dem Schutt vergangener Zeit tauchte auf, was der ſinnige Conrad von Alzey ihm dereinſt von Waltari und Hiltgunde erzählt, mit Sang und Klang zog der Geiſt der Dichtung bei ihm ein, er ſprang auf und that einen Satz in die Luft, daß der Säntis ſeine Freude an ihm haben mochte: im Bild der Dichtung ſoll das arme Herz ſich deſſen freuen, was ihm das Leben nimmer bieten kann, an Reckenkampf und Minnelohn, — ich will das Lied vom Waltari von Aquitanien ſingen! rief er der ſcheidenden Sonne zu und es war ihm als ſtünde drüben in der Gemſenlucke zwiſchen Sigelsalp und Maar- wies glanzumwallt der Freund ſeiner Jugend, der Meiſter Conrad, und winke ihm mild lächelnd herüber und ſpreche: Thu's!
Und Ekkehard ging fröhlich an's Werk. Was bei uns geſchieht, muß recht geſchehen oder gar nicht, ſonſt lachen uns die Berge aus — ſo hatte der Senn eines Tages zu ihm geſprochen und er hatte beifällig dazu genickt. Der Handbub ward in's Thal geſchickt, Eier und Honig zu holen, da bat ihn Ekkehard für einen Tag bei ſeinem Meiſter frei und gab ihm einen Brief nach Sanct Gallen an ſeinen Neffen. Er ſchrieb ihn in damals üblicher dort wohlbekannter Stabrunenſchrift,269) damit ihn kein Unberufener leſe. Darin aber ſtand:
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Die Sonne ſtund über dem Kronberg und neigte ſich zum Un-
tergang, und ſprühte ein glühgolden Feuer an Himmel und ſchoß
luſtig ihre Strahlen in den Nebel über dem Bodenſee. Itzt riß die
weiße Umhüllung, in leiſer ahnungsvoller Bläue lag der Unterſee
vor Ekkehard's Blick; ſein Auge ſchärfte ſich am Glanz des Abends,
er ſah einen verſchwimmenden dunkeln Punkt, das war die Reichenau,
er ſah einen Berg, kaum hob er ſich am Himmelsgrund, aber er
kannte ihn — es war der hohe Twiel.
Und der Kuhreigen tönte in's Heerdengeläut und wärmer und
wärmer färbte ſich Alles auf der Alp, goldbraungrün leuchteten die
Matten, leiſer Abglanz der Röthe warf ſich auf die grauen Kalk-
ſteinwände des Kamor, da hub ſich auch in Ekkehard's Seele ein
Leuchten und Glänzen, — die Gedanken flogen hinüber in's ferne
Hegau und weiter, es war ihm als ſäße er wieder bei Frau Hadwig
auf dem Hohenſtoffeln wie damals als ſie des Hunnen Cappan Hoch-
zeit feierten, als käme Audifax mit Hadumoth aus der Hunnennoth
heimgeritten, als ſäh' er das Glück in Geſtalt jener Zwei verkörpert,
und aus dem Schutt vergangener Zeit tauchte auf, was der ſinnige
Conrad von Alzey ihm dereinſt von Waltari und Hiltgunde erzählt,
mit Sang und Klang zog der Geiſt der Dichtung bei ihm ein, er
ſprang auf und that einen Satz in die Luft, daß der Säntis ſeine
Freude an ihm haben mochte: im Bild der Dichtung ſoll das arme
Herz ſich deſſen freuen, was ihm das Leben nimmer bieten kann, an
Reckenkampf und Minnelohn, — ich will das Lied vom Waltari von
Aquitanien ſingen! rief er der ſcheidenden Sonne zu und es war ihm
als ſtünde drüben in der Gemſenlucke zwiſchen Sigelsalp und Maar-
wies glanzumwallt der Freund ſeiner Jugend, der Meiſter Conrad,
und winke ihm mild lächelnd herüber und ſpreche: Thu's!
Und Ekkehard ging fröhlich an's Werk. Was bei uns geſchieht,
muß recht geſchehen oder gar nicht, ſonſt lachen uns die Berge aus
— ſo hatte der Senn eines Tages zu ihm geſprochen und er hatte
beifällig dazu genickt. Der Handbub ward in's Thal geſchickt, Eier
und Honig zu holen, da bat ihn Ekkehard für einen Tag bei ſeinem
Meiſter frei und gab ihm einen Brief nach Sanct Gallen an ſeinen
Neffen. Er ſchrieb ihn in damals üblicher dort wohlbekannter
Stabrunenſchrift,
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damit ihn kein Unberufener leſe. Darin aber ſtand:
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/361>, abgerufen am 23.11.2024.
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