Sie faßte die Halme in der Rechten zusammen und reichte sie an- muthig den Andern zum Ziehen. Ekkehard's Augen hafteten unver- rückt auf der Rose am Stirnband, wie er vor sie trat. Sie mußte ihn zweimal auffordern bis er zog.
Mord und Brand und Weltende! wollte Herr Spazzo heraus- fahren; er hatte den kürzesten Halm gegriffen. Aber er wußte, daß keine Ausrede ihn loswinden könne, und schaute betrüblich über die steile Felswand hinunter in's Thal, als ob sich von dort ein Ausweg aufthun müsse. Praxedis hatte die Laute gestimmt und spielte ein Präludium, das klang lieblich zum Rauschen der alten Ahornwipfel.
Unser Herr Kämmerer hat keine Strafen zu fürchten wie der Klosterzögling, wenn er uns etwas Schönes bringt, sprach die Her- zogin. Nun denn!
Da neigte sich Herr Spazzo vorwärts, stellte sein Schwert mit dem breiten Griff vor sich, so daß er seine Arme drauf stemmen konnte, strich seinen Bart und hub an:
Wiewohl ich an alten Geschichten keine absonderliche Freude ge- wonnen und es lieber höre, wenn zwei Schwerter aufeinander klirren oder ein Hahnen in's volle Faß geschlagen wird, so hab' ich doch ein- mal eine schöne Mähr aufgelesen. Mußte dereinst in jungen Tagen in's Welschland hinunter reiten, da ging mein Weg durch's Tirol und über den Brennerberg, und war ein rauher steiniger Saumpfad, der über Kluft und Gefelse zog, also, daß mein Roß ein Hufeisen ein- büßte. Und war Abend worden, so kam ich an ein Dörflein, heißt Gothensaß oder Gloggensachsen, so aus den Zeiten Herrn Dietrich's von Bern dort inmitten alter Lerchenwälder wie im Versteck steht. An Rücken des Berges gelehnt war zu äußerst ein burgartig Haus, davor lagen viel Eisenschlacken und sprühte ein Feuer drinnen und ward stark gehämmert. Da rief ich den Schmied herfür, daß er mein Roß beschlage, und wie sich Niemand rührte, that ich einen Lanzenstoß nach der Thür, daß sie sperrweit auffuhr, und that dazu einen starken Fluch mit Mord und Brand und allem Bösen: so stund plötzlich ein Mann vor mir mit zottigem Haar und schwarzem Schurzfell, und war ich sein kaum ansichtig, so war auch schon meine Lanze niederge- schlagen, daß sie zersplitterte wie sprödes Glas und eine Eisenstange über meinem Haupt geschwungen, und an des Mannes nackten Armen
Sie faßte die Halme in der Rechten zuſammen und reichte ſie an- muthig den Andern zum Ziehen. Ekkehard's Augen hafteten unver- rückt auf der Roſe am Stirnband, wie er vor ſie trat. Sie mußte ihn zweimal auffordern bis er zog.
Mord und Brand und Weltende! wollte Herr Spazzo heraus- fahren; er hatte den kürzeſten Halm gegriffen. Aber er wußte, daß keine Ausrede ihn loswinden könne, und ſchaute betrüblich über die ſteile Felswand hinunter in's Thal, als ob ſich von dort ein Ausweg aufthun müſſe. Praxedis hatte die Laute geſtimmt und ſpielte ein Präludium, das klang lieblich zum Rauſchen der alten Ahornwipfel.
Unſer Herr Kämmerer hat keine Strafen zu fürchten wie der Kloſterzögling, wenn er uns etwas Schönes bringt, ſprach die Her- zogin. Nun denn!
Da neigte ſich Herr Spazzo vorwärts, ſtellte ſein Schwert mit dem breiten Griff vor ſich, ſo daß er ſeine Arme drauf ſtemmen konnte, ſtrich ſeinen Bart und hub an:
Wiewohl ich an alten Geſchichten keine abſonderliche Freude ge- wonnen und es lieber höre, wenn zwei Schwerter aufeinander klirren oder ein Hahnen in's volle Faß geſchlagen wird, ſo hab' ich doch ein- mal eine ſchöne Mähr aufgeleſen. Mußte dereinſt in jungen Tagen in's Welſchland hinunter reiten, da ging mein Weg durch's Tirol und über den Brennerberg, und war ein rauher ſteiniger Saumpfad, der über Kluft und Gefelſe zog, alſo, daß mein Roß ein Hufeiſen ein- büßte. Und war Abend worden, ſo kam ich an ein Dörflein, heißt Gothenſaß oder Gloggenſachſen, ſo aus den Zeiten Herrn Dietrich's von Bern dort inmitten alter Lerchenwälder wie im Verſteck ſteht. An Rücken des Berges gelehnt war zu äußerſt ein burgartig Haus, davor lagen viel Eiſenſchlacken und ſprühte ein Feuer drinnen und ward ſtark gehämmert. Da rief ich den Schmied herfür, daß er mein Roß beſchlage, und wie ſich Niemand rührte, that ich einen Lanzenſtoß nach der Thür, daß ſie ſperrweit auffuhr, und that dazu einen ſtarken Fluch mit Mord und Brand und allem Böſen: ſo ſtund plötzlich ein Mann vor mir mit zottigem Haar und ſchwarzem Schurzfell, und war ich ſein kaum anſichtig, ſo war auch ſchon meine Lanze niederge- ſchlagen, daß ſie zerſplitterte wie ſprödes Glas und eine Eiſenſtange über meinem Haupt geſchwungen, und an des Mannes nackten Armen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0309"n="287"/><p>Sie faßte die Halme in der Rechten zuſammen und reichte ſie an-<lb/>
muthig den Andern zum Ziehen. Ekkehard's Augen hafteten unver-<lb/>
rückt auf der Roſe am Stirnband, wie er vor ſie trat. Sie mußte<lb/>
ihn zweimal auffordern bis er zog.</p><lb/><p>Mord und Brand und Weltende! wollte Herr Spazzo heraus-<lb/>
fahren; er hatte den kürzeſten Halm gegriffen. Aber er wußte, daß<lb/>
keine Ausrede ihn loswinden könne, und ſchaute betrüblich über die<lb/>ſteile Felswand hinunter in's Thal, als ob ſich von dort ein Ausweg<lb/>
aufthun müſſe. Praxedis hatte die Laute geſtimmt und ſpielte ein<lb/>
Präludium, das klang lieblich zum Rauſchen der alten Ahornwipfel.</p><lb/><p>Unſer Herr Kämmerer hat keine Strafen zu fürchten wie der<lb/>
Kloſterzögling, wenn er uns etwas Schönes bringt, ſprach die Her-<lb/>
zogin. Nun denn!</p><lb/><p>Da neigte ſich Herr Spazzo vorwärts, ſtellte ſein Schwert mit dem<lb/>
breiten Griff vor ſich, ſo daß er ſeine Arme drauf ſtemmen konnte,<lb/>ſtrich ſeinen Bart und hub an:</p><lb/><p>Wiewohl ich an alten Geſchichten keine abſonderliche Freude ge-<lb/>
wonnen und es lieber höre, wenn zwei Schwerter aufeinander klirren<lb/>
oder ein Hahnen in's volle Faß geſchlagen wird, ſo hab' ich doch ein-<lb/>
mal eine ſchöne Mähr aufgeleſen. Mußte dereinſt in jungen Tagen<lb/>
in's Welſchland hinunter reiten, da ging mein Weg durch's Tirol und<lb/>
über den Brennerberg, und war ein rauher ſteiniger Saumpfad, der<lb/>
über Kluft und Gefelſe zog, alſo, daß mein Roß ein Hufeiſen ein-<lb/>
büßte. Und war Abend worden, ſo kam ich an ein Dörflein, heißt<lb/>
Gothenſaß oder Gloggenſachſen, ſo aus den Zeiten Herrn Dietrich's von<lb/>
Bern dort inmitten alter Lerchenwälder wie im Verſteck ſteht. An<lb/>
Rücken des Berges gelehnt war zu äußerſt ein burgartig Haus, davor<lb/>
lagen viel Eiſenſchlacken und ſprühte ein Feuer drinnen und ward<lb/>ſtark gehämmert. Da rief ich den Schmied herfür, daß er mein Roß<lb/>
beſchlage, und wie ſich Niemand rührte, that ich einen Lanzenſtoß nach<lb/>
der Thür, daß ſie ſperrweit auffuhr, und that dazu einen ſtarken<lb/>
Fluch mit Mord und Brand und allem Böſen: ſo ſtund plötzlich ein<lb/>
Mann vor mir mit zottigem Haar und ſchwarzem Schurzfell, und<lb/>
war ich ſein kaum anſichtig, ſo war auch ſchon meine Lanze niederge-<lb/>ſchlagen, daß ſie zerſplitterte wie ſprödes Glas und eine Eiſenſtange<lb/>
über meinem Haupt geſchwungen, und an des Mannes nackten Armen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[287/0309]
Sie faßte die Halme in der Rechten zuſammen und reichte ſie an-
muthig den Andern zum Ziehen. Ekkehard's Augen hafteten unver-
rückt auf der Roſe am Stirnband, wie er vor ſie trat. Sie mußte
ihn zweimal auffordern bis er zog.
Mord und Brand und Weltende! wollte Herr Spazzo heraus-
fahren; er hatte den kürzeſten Halm gegriffen. Aber er wußte, daß
keine Ausrede ihn loswinden könne, und ſchaute betrüblich über die
ſteile Felswand hinunter in's Thal, als ob ſich von dort ein Ausweg
aufthun müſſe. Praxedis hatte die Laute geſtimmt und ſpielte ein
Präludium, das klang lieblich zum Rauſchen der alten Ahornwipfel.
Unſer Herr Kämmerer hat keine Strafen zu fürchten wie der
Kloſterzögling, wenn er uns etwas Schönes bringt, ſprach die Her-
zogin. Nun denn!
Da neigte ſich Herr Spazzo vorwärts, ſtellte ſein Schwert mit dem
breiten Griff vor ſich, ſo daß er ſeine Arme drauf ſtemmen konnte,
ſtrich ſeinen Bart und hub an:
Wiewohl ich an alten Geſchichten keine abſonderliche Freude ge-
wonnen und es lieber höre, wenn zwei Schwerter aufeinander klirren
oder ein Hahnen in's volle Faß geſchlagen wird, ſo hab' ich doch ein-
mal eine ſchöne Mähr aufgeleſen. Mußte dereinſt in jungen Tagen
in's Welſchland hinunter reiten, da ging mein Weg durch's Tirol und
über den Brennerberg, und war ein rauher ſteiniger Saumpfad, der
über Kluft und Gefelſe zog, alſo, daß mein Roß ein Hufeiſen ein-
büßte. Und war Abend worden, ſo kam ich an ein Dörflein, heißt
Gothenſaß oder Gloggenſachſen, ſo aus den Zeiten Herrn Dietrich's von
Bern dort inmitten alter Lerchenwälder wie im Verſteck ſteht. An
Rücken des Berges gelehnt war zu äußerſt ein burgartig Haus, davor
lagen viel Eiſenſchlacken und ſprühte ein Feuer drinnen und ward
ſtark gehämmert. Da rief ich den Schmied herfür, daß er mein Roß
beſchlage, und wie ſich Niemand rührte, that ich einen Lanzenſtoß nach
der Thür, daß ſie ſperrweit auffuhr, und that dazu einen ſtarken
Fluch mit Mord und Brand und allem Böſen: ſo ſtund plötzlich ein
Mann vor mir mit zottigem Haar und ſchwarzem Schurzfell, und
war ich ſein kaum anſichtig, ſo war auch ſchon meine Lanze niederge-
ſchlagen, daß ſie zerſplitterte wie ſprödes Glas und eine Eiſenſtange
über meinem Haupt geſchwungen, und an des Mannes nackten Armen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/309>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.