Mein Oheim muß krank sein, sprach Burkard. Er ist gestern Abend mit großen Schritten in seiner Thurmstube auf und niederge- gangen, und wie ich ihm die Sternbilder vor dem Fenster erklären wollt', den Bär und Orion und den mattschimmernden Fleck der Ple- jaden, hat er mir keine Antwort gegeben. Dann hat er sich ange- kleidet auf's Lager geworfen und im Schlaf gesprochen.
Was hat er gesprochen? fragte die Herzogin.
Meine Taube, hat er gesagt, die du in den Spalten der Felsen dich verbirgst und den Ritzen des Gesteines, zeig' mir dein Angesicht, laß deine Stimme klingen in meine Ohren, denn die Stimme ist süß, und dein Angesicht schön, und ein andermal hat er gesagt: Warum küßest du den Knaben vor meinen Augen? was hoff' ich und säum' noch in lybischen Landen?
Da schaut's gut aus, flüsterte Herr Spazzo der Griechin zu, habt Ihr das auf dem Gewissen?
Die Herzogin aber sprach zu Burkard: Du wirst selber geträumt haben. Spring' hinauf und such' deinen Ohm, daß er heruntersteige, wo wir seiner warten.
Sie ließ sich anmuthig auf dem thronartigen Sitz nieder. Da kam Ekkehard mit dem Klosterschüler in den Garten. Er sah blaß aus; sein Blick war unstet und trüb. Er neigte sich stumm und setzte sich an des Tisches entgegengesetzt Ende. Burkard wollte seinen Schemel zu Füßen der Herzogin rücken wie gestern, da sie Virgil lasen, aber Ekkehard stund auf und zog ihn an der Hand zu sich herüber. Hierher! sprach er. Die Herzogin ließ ihn gewähren.
Sie schaute in die Runde. Wir haben gestern behauptet, sprach sie, daß wir in unsern deutschen Sagen und Geschichten so viel schöne Gelegenheit zu Kurzweil besitzen als weiland die Römer in ihrem Heldenlied vom Aeneas. Und sicher weiß ein Jedes von uns Etwas von schneller Helden Fechten und fester Burgen Brechen, von treuer Liebsten Scheidung und reicher Könige Zergängniß; des Menschen Herz ist mannigfach geartet, was der Eine seitab liegen läßt, muthet den Andern an. Darum haben wir die heutige Tagfahrt geordnet, daß von Jedem unserer Getreuen, wie das Loos entscheidet, ein anmuthig Stück erzählt werde, und behalten uns vor, dem liebreizendsten einen
Er war nicht erſchienen.
Mein Oheim muß krank ſein, ſprach Burkard. Er iſt geſtern Abend mit großen Schritten in ſeiner Thurmſtube auf und niederge- gangen, und wie ich ihm die Sternbilder vor dem Fenſter erklären wollt', den Bär und Orion und den mattſchimmernden Fleck der Ple- jaden, hat er mir keine Antwort gegeben. Dann hat er ſich ange- kleidet auf's Lager geworfen und im Schlaf geſprochen.
Was hat er geſprochen? fragte die Herzogin.
Meine Taube, hat er geſagt, die du in den Spalten der Felſen dich verbirgſt und den Ritzen des Geſteines, zeig' mir dein Angeſicht, laß deine Stimme klingen in meine Ohren, denn die Stimme iſt ſüß, und dein Angeſicht ſchön, und ein andermal hat er geſagt: Warum küßeſt du den Knaben vor meinen Augen? was hoff' ich und ſäum' noch in lybiſchen Landen?
Da ſchaut's gut aus, flüſterte Herr Spazzo der Griechin zu, habt Ihr das auf dem Gewiſſen?
Die Herzogin aber ſprach zu Burkard: Du wirſt ſelber geträumt haben. Spring' hinauf und ſuch' deinen Ohm, daß er herunterſteige, wo wir ſeiner warten.
Sie ließ ſich anmuthig auf dem thronartigen Sitz nieder. Da kam Ekkehard mit dem Kloſterſchüler in den Garten. Er ſah blaß aus; ſein Blick war unſtet und trüb. Er neigte ſich ſtumm und ſetzte ſich an des Tiſches entgegengeſetzt Ende. Burkard wollte ſeinen Schemel zu Füßen der Herzogin rücken wie geſtern, da ſie Virgil laſen, aber Ekkehard ſtund auf und zog ihn an der Hand zu ſich herüber. Hierher! ſprach er. Die Herzogin ließ ihn gewähren.
Sie ſchaute in die Runde. Wir haben geſtern behauptet, ſprach ſie, daß wir in unſern deutſchen Sagen und Geſchichten ſo viel ſchöne Gelegenheit zu Kurzweil beſitzen als weiland die Römer in ihrem Heldenlied vom Aeneas. Und ſicher weiß ein Jedes von uns Etwas von ſchneller Helden Fechten und feſter Burgen Brechen, von treuer Liebſten Scheidung und reicher Könige Zergängniß; des Menſchen Herz iſt mannigfach geartet, was der Eine ſeitab liegen läßt, muthet den Andern an. Darum haben wir die heutige Tagfahrt geordnet, daß von Jedem unſerer Getreuen, wie das Loos entſcheidet, ein anmuthig Stück erzählt werde, und behalten uns vor, dem liebreizendſten einen
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0307"n="285"/><p>Er war nicht erſchienen.</p><lb/><p>Mein Oheim muß krank ſein, ſprach Burkard. Er iſt geſtern<lb/>
Abend mit großen Schritten in ſeiner Thurmſtube auf und niederge-<lb/>
gangen, und wie ich ihm die Sternbilder vor dem Fenſter erklären<lb/>
wollt', den Bär und Orion und den mattſchimmernden Fleck der Ple-<lb/>
jaden, hat er mir keine Antwort gegeben. Dann hat er ſich ange-<lb/>
kleidet auf's Lager geworfen und im Schlaf geſprochen.</p><lb/><p>Was hat er geſprochen? fragte die Herzogin.</p><lb/><p>Meine Taube, hat er geſagt, die du in den Spalten der Felſen<lb/>
dich verbirgſt und den Ritzen des Geſteines, zeig' mir dein Angeſicht,<lb/>
laß deine Stimme klingen in meine Ohren, denn die Stimme iſt ſüß,<lb/>
und dein Angeſicht ſchön, und ein andermal hat er geſagt: Warum<lb/>
küßeſt du den Knaben vor meinen Augen? was hoff' ich und ſäum'<lb/>
noch in lybiſchen Landen?</p><lb/><p>Da ſchaut's gut aus, flüſterte Herr Spazzo der Griechin zu, habt<lb/>
Ihr das auf dem Gewiſſen?</p><lb/><p>Die Herzogin aber ſprach zu Burkard: Du wirſt ſelber geträumt<lb/>
haben. Spring' hinauf und ſuch' deinen Ohm, daß er herunterſteige,<lb/>
wo wir ſeiner warten.</p><lb/><p>Sie ließ ſich anmuthig auf dem thronartigen Sitz nieder. Da<lb/>
kam Ekkehard mit dem Kloſterſchüler in den Garten. Er ſah blaß<lb/>
aus; ſein Blick war unſtet und trüb. Er neigte ſich ſtumm und<lb/>ſetzte ſich an des Tiſches entgegengeſetzt Ende. Burkard wollte ſeinen<lb/>
Schemel zu Füßen der Herzogin rücken wie geſtern, da ſie Virgil laſen,<lb/>
aber Ekkehard ſtund auf und zog ihn an der Hand zu ſich herüber.<lb/>
Hierher! ſprach er. Die Herzogin ließ ihn gewähren.</p><lb/><p>Sie ſchaute in die Runde. Wir haben geſtern behauptet, ſprach ſie,<lb/>
daß wir in unſern deutſchen Sagen und Geſchichten ſo viel ſchöne<lb/>
Gelegenheit zu Kurzweil beſitzen als weiland die Römer in ihrem<lb/>
Heldenlied vom Aeneas. Und ſicher weiß ein Jedes von uns Etwas<lb/>
von ſchneller Helden Fechten und feſter Burgen Brechen, von treuer<lb/>
Liebſten Scheidung und reicher Könige Zergängniß; des Menſchen Herz<lb/>
iſt mannigfach geartet, was der Eine ſeitab liegen läßt, muthet den<lb/>
Andern an. Darum haben wir die heutige Tagfahrt geordnet, daß<lb/>
von Jedem unſerer Getreuen, wie das Loos entſcheidet, ein anmuthig<lb/>
Stück erzählt werde, und behalten uns vor, dem liebreizendſten einen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[285/0307]
Er war nicht erſchienen.
Mein Oheim muß krank ſein, ſprach Burkard. Er iſt geſtern
Abend mit großen Schritten in ſeiner Thurmſtube auf und niederge-
gangen, und wie ich ihm die Sternbilder vor dem Fenſter erklären
wollt', den Bär und Orion und den mattſchimmernden Fleck der Ple-
jaden, hat er mir keine Antwort gegeben. Dann hat er ſich ange-
kleidet auf's Lager geworfen und im Schlaf geſprochen.
Was hat er geſprochen? fragte die Herzogin.
Meine Taube, hat er geſagt, die du in den Spalten der Felſen
dich verbirgſt und den Ritzen des Geſteines, zeig' mir dein Angeſicht,
laß deine Stimme klingen in meine Ohren, denn die Stimme iſt ſüß,
und dein Angeſicht ſchön, und ein andermal hat er geſagt: Warum
küßeſt du den Knaben vor meinen Augen? was hoff' ich und ſäum'
noch in lybiſchen Landen?
Da ſchaut's gut aus, flüſterte Herr Spazzo der Griechin zu, habt
Ihr das auf dem Gewiſſen?
Die Herzogin aber ſprach zu Burkard: Du wirſt ſelber geträumt
haben. Spring' hinauf und ſuch' deinen Ohm, daß er herunterſteige,
wo wir ſeiner warten.
Sie ließ ſich anmuthig auf dem thronartigen Sitz nieder. Da
kam Ekkehard mit dem Kloſterſchüler in den Garten. Er ſah blaß
aus; ſein Blick war unſtet und trüb. Er neigte ſich ſtumm und
ſetzte ſich an des Tiſches entgegengeſetzt Ende. Burkard wollte ſeinen
Schemel zu Füßen der Herzogin rücken wie geſtern, da ſie Virgil laſen,
aber Ekkehard ſtund auf und zog ihn an der Hand zu ſich herüber.
Hierher! ſprach er. Die Herzogin ließ ihn gewähren.
Sie ſchaute in die Runde. Wir haben geſtern behauptet, ſprach ſie,
daß wir in unſern deutſchen Sagen und Geſchichten ſo viel ſchöne
Gelegenheit zu Kurzweil beſitzen als weiland die Römer in ihrem
Heldenlied vom Aeneas. Und ſicher weiß ein Jedes von uns Etwas
von ſchneller Helden Fechten und feſter Burgen Brechen, von treuer
Liebſten Scheidung und reicher Könige Zergängniß; des Menſchen Herz
iſt mannigfach geartet, was der Eine ſeitab liegen läßt, muthet den
Andern an. Darum haben wir die heutige Tagfahrt geordnet, daß
von Jedem unſerer Getreuen, wie das Loos entſcheidet, ein anmuthig
Stück erzählt werde, und behalten uns vor, dem liebreizendſten einen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/307>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.