Kaum war das letzte Wort gesprochen, so ward der Klosterschüler auf der Leiter sichtbar, er kletterte die Sprossen bis zur Hälfte nieder, dann sprang er mit gleichen Füßen auf das Tuch und stand vor Praxedis.
Setzt Euch, sprach er, ich will mich gern wieder strafen lassen. Ich hab' heut Nacht geträumt, Ihr hättet mir alle Haare ausge- rauft und ich wär' mit einem Kahlkopf in die Schule gekommen und es hätt' mich gar nicht gereut.
Praxedis schlug ihm leicht auf das Haupt.
Werd' nicht zu üppig in den Ferien, Männlein, sonst wird dein Rücken ein Tanzboden für die Ruthe, wenn du wieder im Kloster bist.
Aber der Klosterschüler dachte nicht an den kühlen Schatten seiner Hörsäle. Er stund unbeweglich vor Praxedis.
Nun? sprach sie, was gibt's noch? Was begehrt man?
Einen Kuß! antwortete der Zögling der freien Künste.
Hört mir den Zaunkönig an! scherzte Praxedis. Was hat Eure Weisheit für Gründe zu solchem Begehr?
Die Frau Herzogin hat's auch gethan, sagte Burkard, und Ihr habt mich schon über ein Dutzendmal aufgefordert, ich soll Euch die Geschichte erzählen, wie ich mit meinem alten Freund Romeias vor den Hunnen geflohen und wie er als ein tapferer Held gestritten hat. Das erzähl' ich Euch aber nur um einen Kuß.
Höre, sprach die Griechin mit ernst verzogener Miene, ich muß dir etwas sehr Merkwürdiges mittheilen.
Was? frug der Knabe hastig.
Du bist der thörichtste Schlingel, der je seinen Fuß über eine Klosterschulschwelle gesetzt! sprach sie, verstrickte ihn schnell in ihre weißen Arme und küßte ihn derb auf die Nase.
Wohl bekomm's! rief eine tiefe Baßstimme von der Gartenpforte her, wie sie den Knaben schalkhaft von sich stieß. Es war Herr Spazzo.
Schönen Dank! sprach Praxedis unbetrübt. Ihr kommt gerade recht, Herr Kämmerer, um bei Aufrichtung des Zelttuchs zu helfen. Mit dem thörichten Knaben bring' ich's heut nicht mehr zu Stand.
So scheint es! sprach Herr Spazzo mit einem dreischneidigen Blick auf den Klosterschüler. Der hatte Angst vor des Kämmerers grimm gestrichenem Schnurrbart und drehte sich einem Rosengebüsch
Kaum war das letzte Wort geſprochen, ſo ward der Kloſterſchüler auf der Leiter ſichtbar, er kletterte die Sproſſen bis zur Hälfte nieder, dann ſprang er mit gleichen Füßen auf das Tuch und ſtand vor Praxedis.
Setzt Euch, ſprach er, ich will mich gern wieder ſtrafen laſſen. Ich hab' heut Nacht geträumt, Ihr hättet mir alle Haare ausge- rauft und ich wär' mit einem Kahlkopf in die Schule gekommen und es hätt' mich gar nicht gereut.
Praxedis ſchlug ihm leicht auf das Haupt.
Werd' nicht zu üppig in den Ferien, Männlein, ſonſt wird dein Rücken ein Tanzboden für die Ruthe, wenn du wieder im Kloſter biſt.
Aber der Kloſterſchüler dachte nicht an den kühlen Schatten ſeiner Hörſäle. Er ſtund unbeweglich vor Praxedis.
Nun? ſprach ſie, was gibt's noch? Was begehrt man?
Einen Kuß! antwortete der Zögling der freien Künſte.
Hört mir den Zaunkönig an! ſcherzte Praxedis. Was hat Eure Weisheit für Gründe zu ſolchem Begehr?
Die Frau Herzogin hat's auch gethan, ſagte Burkard, und Ihr habt mich ſchon über ein Dutzendmal aufgefordert, ich ſoll Euch die Geſchichte erzählen, wie ich mit meinem alten Freund Romeias vor den Hunnen geflohen und wie er als ein tapferer Held geſtritten hat. Das erzähl' ich Euch aber nur um einen Kuß.
Höre, ſprach die Griechin mit ernſt verzogener Miene, ich muß dir etwas ſehr Merkwürdiges mittheilen.
Was? frug der Knabe haſtig.
Du biſt der thörichtſte Schlingel, der je ſeinen Fuß über eine Kloſterſchulſchwelle geſetzt! ſprach ſie, verſtrickte ihn ſchnell in ihre weißen Arme und küßte ihn derb auf die Naſe.
Wohl bekomm's! rief eine tiefe Baßſtimme von der Gartenpforte her, wie ſie den Knaben ſchalkhaft von ſich ſtieß. Es war Herr Spazzo.
Schönen Dank! ſprach Praxedis unbetrübt. Ihr kommt gerade recht, Herr Kämmerer, um bei Aufrichtung des Zelttuchs zu helfen. Mit dem thörichten Knaben bring' ich's heut nicht mehr zu Stand.
So ſcheint es! ſprach Herr Spazzo mit einem dreiſchneidigen Blick auf den Kloſterſchüler. Der hatte Angſt vor des Kämmerers grimm geſtrichenem Schnurrbart und drehte ſich einem Roſengebüſch
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Kaum war das letzte Wort geſprochen, ſo ward der Kloſterſchüler
auf der Leiter ſichtbar, er kletterte die Sproſſen bis zur Hälfte nieder,
dann ſprang er mit gleichen Füßen auf das Tuch und ſtand vor
Praxedis.
Setzt Euch, ſprach er, ich will mich gern wieder ſtrafen laſſen.
Ich hab' heut Nacht geträumt, Ihr hättet mir alle Haare ausge-
rauft und ich wär' mit einem Kahlkopf in die Schule gekommen und
es hätt' mich gar nicht gereut.
Praxedis ſchlug ihm leicht auf das Haupt.
Werd' nicht zu üppig in den Ferien, Männlein, ſonſt wird dein
Rücken ein Tanzboden für die Ruthe, wenn du wieder im Kloſter biſt.
Aber der Kloſterſchüler dachte nicht an den kühlen Schatten ſeiner
Hörſäle. Er ſtund unbeweglich vor Praxedis.
Nun? ſprach ſie, was gibt's noch? Was begehrt man?
Einen Kuß! antwortete der Zögling der freien Künſte.
Hört mir den Zaunkönig an! ſcherzte Praxedis. Was hat Eure
Weisheit für Gründe zu ſolchem Begehr?
Die Frau Herzogin hat's auch gethan, ſagte Burkard, und Ihr
habt mich ſchon über ein Dutzendmal aufgefordert, ich ſoll Euch die
Geſchichte erzählen, wie ich mit meinem alten Freund Romeias vor
den Hunnen geflohen und wie er als ein tapferer Held geſtritten hat.
Das erzähl' ich Euch aber nur um einen Kuß.
Höre, ſprach die Griechin mit ernſt verzogener Miene, ich muß
dir etwas ſehr Merkwürdiges mittheilen.
Was? frug der Knabe haſtig.
Du biſt der thörichtſte Schlingel, der je ſeinen Fuß über eine
Kloſterſchulſchwelle geſetzt! ſprach ſie, verſtrickte ihn ſchnell in ihre
weißen Arme und küßte ihn derb auf die Naſe.
Wohl bekomm's! rief eine tiefe Baßſtimme von der Gartenpforte
her, wie ſie den Knaben ſchalkhaft von ſich ſtieß. Es war Herr Spazzo.
Schönen Dank! ſprach Praxedis unbetrübt. Ihr kommt gerade
recht, Herr Kämmerer, um bei Aufrichtung des Zelttuchs zu helfen.
Mit dem thörichten Knaben bring' ich's heut nicht mehr zu Stand.
So ſcheint es! ſprach Herr Spazzo mit einem dreiſchneidigen
Blick auf den Kloſterſchüler. Der hatte Angſt vor des Kämmerers
grimm geſtrichenem Schnurrbart und drehte ſich einem Roſengebüſch
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/304>, abgerufen am 04.07.2024.
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