Ueber der Rosse Rücken hatten die Hauptmänner köstlich gewirkte Decken hangen, auch Meßgewänder, ein lebendig Zeugniß, daß sie schon anderwärts Klosterbesuch abgestattet. In etlichen Wägen wurde die Kriegsbeute mit geführt; großer Troß schloß den Zug.
Auf maulthiergezogenem Gefährt bei den kupfernen Feldkesseln und anderweitem Küchengeräth saß ein alt runzlig Weib. Sie hielt die Hand über die Augen und schaute gegen die Sonne, dort ragten die Bergkegel des Hegau herüber, sie kannte ihre Kuppen ... das Weib war die Waldfrau. Ausgetrieben von Ekkehard war sie in die Fremde gezogen, Rache der Gedanke, mit dem sie des Morgens vom Schlafe erwachte und des Abends sich niederlegte, so kam sie unstät wandernd vor Augsburg, am Fuß des Berges, drauf einst die Schwabengöttin Zisa171) ihren Holztempel gehabt, brannten der Hun- nen Lagerfeuer: sie fand sich zu ihnen.
Auf stattlichem Rappen ritt bei der Waldfrau ein Mägdlein, kurz aufgeschürzt, in kecker Fülle gesunden Reiterlebens, unter stumpfem Näslein ein verführerisch Lippenpaar, die Augen funkelnd, das Haar zu einer wallenden Flechte geschlungen, die von rothem Band durch- woben in der Luft flatterte, wie Wimpel eines Meerschiffs. Ueber das lose Mieder hing Bogen und Köcher, so tummelte sie ihr Thier, eine hunnische Artemis. Das war Erica das Heideblümlein, sie war nicht hunnischen Stammes, in den Steppen Pannoniens hatten die Reiter sie als ein verlassen Kind aufgelesen, und sie war mitgezogen und groß geworden ohne zu wissen warum: wen sie gern hatte den streichelte sie, wer ihr mißfiel den biß sie in Arm. Botund der alte Hunnenwachtmeister hatte sie geliebt, Irkund der junge schlug den Botund wegen des Heideblümleins tod, aber wie Irkund sich ihrer Liebe erfreuen wollt', kam Zobolsu und that ihm mit spitzer Lanze denselben Dienst, den Irkund dem Botund ohne sein Ansuchen erwiesen -- so waren Erica's Schicksale mannigfalt, neue Wege, neue Länder, neue Liebe, aber sie war dem Reitertrupp zugewachsen, als wär' sie sein guter Geist und stund in abergläubischer Verehrung -- so lang die Heideblume bei uns blüht, besiegen wir die Welt, sprachen die Hunnen, vorwärts!
Bei der Klosterpforte lag indeß Heribald der Geknebelte. Seine Betrachtungen waren traurig, eine große Stechfliege summte um sein
Ueber der Roſſe Rücken hatten die Hauptmänner köſtlich gewirkte Decken hangen, auch Meßgewänder, ein lebendig Zeugniß, daß ſie ſchon anderwärts Kloſterbeſuch abgeſtattet. In etlichen Wägen wurde die Kriegsbeute mit geführt; großer Troß ſchloß den Zug.
Auf maulthiergezogenem Gefährt bei den kupfernen Feldkeſſeln und anderweitem Küchengeräth ſaß ein alt runzlig Weib. Sie hielt die Hand über die Augen und ſchaute gegen die Sonne, dort ragten die Bergkegel des Hegau herüber, ſie kannte ihre Kuppen ... das Weib war die Waldfrau. Ausgetrieben von Ekkehard war ſie in die Fremde gezogen, Rache der Gedanke, mit dem ſie des Morgens vom Schlafe erwachte und des Abends ſich niederlegte, ſo kam ſie unſtät wandernd vor Augsburg, am Fuß des Berges, drauf einſt die Schwabengöttin Ziſa171) ihren Holztempel gehabt, brannten der Hun- nen Lagerfeuer: ſie fand ſich zu ihnen.
Auf ſtattlichem Rappen ritt bei der Waldfrau ein Mägdlein, kurz aufgeſchürzt, in kecker Fülle geſunden Reiterlebens, unter ſtumpfem Näslein ein verführeriſch Lippenpaar, die Augen funkelnd, das Haar zu einer wallenden Flechte geſchlungen, die von rothem Band durch- woben in der Luft flatterte, wie Wimpel eines Meerſchiffs. Ueber das loſe Mieder hing Bogen und Köcher, ſo tummelte ſie ihr Thier, eine hunniſche Artemis. Das war Erica das Heideblümlein, ſie war nicht hunniſchen Stammes, in den Steppen Pannoniens hatten die Reiter ſie als ein verlaſſen Kind aufgeleſen, und ſie war mitgezogen und groß geworden ohne zu wiſſen warum: wen ſie gern hatte den ſtreichelte ſie, wer ihr mißfiel den biß ſie in Arm. Botund der alte Hunnenwachtmeiſter hatte ſie geliebt, Irkund der junge ſchlug den Botund wegen des Heideblümleins tod, aber wie Irkund ſich ihrer Liebe erfreuen wollt', kam Zobolſu und that ihm mit ſpitzer Lanze denſelben Dienſt, den Irkund dem Botund ohne ſein Anſuchen erwieſen — ſo waren Erica's Schickſale mannigfalt, neue Wege, neue Länder, neue Liebe, aber ſie war dem Reitertrupp zugewachſen, als wär' ſie ſein guter Geiſt und ſtund in abergläubiſcher Verehrung — ſo lang die Heideblume bei uns blüht, beſiegen wir die Welt, ſprachen die Hunnen, vorwärts!
Bei der Kloſterpforte lag indeß Heribald der Geknebelte. Seine Betrachtungen waren traurig, eine große Stechfliege ſummte um ſein
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Ueber der Roſſe Rücken hatten die Hauptmänner köſtlich gewirkte
Decken hangen, auch Meßgewänder, ein lebendig Zeugniß, daß ſie
ſchon anderwärts Kloſterbeſuch abgeſtattet. In etlichen Wägen wurde
die Kriegsbeute mit geführt; großer Troß ſchloß den Zug.
Auf maulthiergezogenem Gefährt bei den kupfernen Feldkeſſeln
und anderweitem Küchengeräth ſaß ein alt runzlig Weib. Sie hielt
die Hand über die Augen und ſchaute gegen die Sonne, dort ragten
die Bergkegel des Hegau herüber, ſie kannte ihre Kuppen ... das
Weib war die Waldfrau. Ausgetrieben von Ekkehard war ſie in die
Fremde gezogen, Rache der Gedanke, mit dem ſie des Morgens vom
Schlafe erwachte und des Abends ſich niederlegte, ſo kam ſie unſtät
wandernd vor Augsburg, am Fuß des Berges, drauf einſt die
Schwabengöttin Ziſa
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ihren Holztempel gehabt, brannten der Hun-
nen Lagerfeuer: ſie fand ſich zu ihnen.
Auf ſtattlichem Rappen ritt bei der Waldfrau ein Mägdlein, kurz
aufgeſchürzt, in kecker Fülle geſunden Reiterlebens, unter ſtumpfem
Näslein ein verführeriſch Lippenpaar, die Augen funkelnd, das Haar
zu einer wallenden Flechte geſchlungen, die von rothem Band durch-
woben in der Luft flatterte, wie Wimpel eines Meerſchiffs. Ueber
das loſe Mieder hing Bogen und Köcher, ſo tummelte ſie ihr Thier,
eine hunniſche Artemis. Das war Erica das Heideblümlein, ſie war
nicht hunniſchen Stammes, in den Steppen Pannoniens hatten die
Reiter ſie als ein verlaſſen Kind aufgeleſen, und ſie war mitgezogen
und groß geworden ohne zu wiſſen warum: wen ſie gern hatte den
ſtreichelte ſie, wer ihr mißfiel den biß ſie in Arm. Botund der
alte Hunnenwachtmeiſter hatte ſie geliebt, Irkund der junge ſchlug
den Botund wegen des Heideblümleins tod, aber wie Irkund ſich ihrer
Liebe erfreuen wollt', kam Zobolſu und that ihm mit ſpitzer Lanze
denſelben Dienſt, den Irkund dem Botund ohne ſein Anſuchen erwieſen
— ſo waren Erica's Schickſale mannigfalt, neue Wege, neue Länder,
neue Liebe, aber ſie war dem Reitertrupp zugewachſen, als wär' ſie
ſein guter Geiſt und ſtund in abergläubiſcher Verehrung — ſo lang
die Heideblume bei uns blüht, beſiegen wir die Welt, ſprachen die
Hunnen, vorwärts!
Bei der Kloſterpforte lag indeß Heribald der Geknebelte. Seine
Betrachtungen waren traurig, eine große Stechfliege ſummte um ſein
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/190>, abgerufen am 24.11.2024.
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