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Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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So waren ihre Empfindungen.

Aber Düvecke hatte ihre Augen geschlossen, denn sie hatte die Königin auch in der einfachen Kleidung erkannt. Frau Sigbritte, ihre Mutter, war indeß durch das Zimmer gegangen und hatte nur die an der warmen Sonne auf blühendem Rosengesträuch im Garten gesonnten weißen Bettchen für das Taufkind leicht zu Füßen der Wiege gelegt. Das Kind war aufgewacht. Düvecke nahm es aus der Wiege auf, drückte es noch einmal fest an sich und küßte es wie mit dem letzten Kusse; dann legte sie es in die von der Mutter gebrachten weißen Bettchen, band sie mit den Bändern zu, nahm es auf ihre Arme und kniete so mit dem Kinde auf einmal vor der Königin hin und sprach mit geisterhafter Stimme, das gute Weib überraschend:

O Königin! nehmt das Kind von mir -- es ist mein -- und es sollte Euer sein! Nehmt es nur einmal auf Eure Arme, Euch und mir zum Trost! Mir brennen die Hände von dem kleinen Engel, den ich nicht verdient, der so unschuldig ist, wie seine Mutter schuldig -- scheint, und doch nur unglücklich ist; wenn das kurze, bald gesprochene Wort, das die Luft so leicht trägt wie Nachtigallengesang, ach, wenn das Wort einen Zustand ausdrückt, dessen Elend unabsehbar tief und unabwerflich schwer ist! Ich bin nur getäuscht und betrogen -- wie Ihr! Aber Ihr seid nicht so elend, wie ich -- denn Euch fehlt nur das Glück -- ein Glück,

So waren ihre Empfindungen.

Aber Düvecke hatte ihre Augen geschlossen, denn sie hatte die Königin auch in der einfachen Kleidung erkannt. Frau Sigbritte, ihre Mutter, war indeß durch das Zimmer gegangen und hatte nur die an der warmen Sonne auf blühendem Rosengesträuch im Garten gesonnten weißen Bettchen für das Taufkind leicht zu Füßen der Wiege gelegt. Das Kind war aufgewacht. Düvecke nahm es aus der Wiege auf, drückte es noch einmal fest an sich und küßte es wie mit dem letzten Kusse; dann legte sie es in die von der Mutter gebrachten weißen Bettchen, band sie mit den Bändern zu, nahm es auf ihre Arme und kniete so mit dem Kinde auf einmal vor der Königin hin und sprach mit geisterhafter Stimme, das gute Weib überraschend:

O Königin! nehmt das Kind von mir — es ist mein — und es sollte Euer sein! Nehmt es nur einmal auf Eure Arme, Euch und mir zum Trost! Mir brennen die Hände von dem kleinen Engel, den ich nicht verdient, der so unschuldig ist, wie seine Mutter schuldig — scheint, und doch nur unglücklich ist; wenn das kurze, bald gesprochene Wort, das die Luft so leicht trägt wie Nachtigallengesang, ach, wenn das Wort einen Zustand ausdrückt, dessen Elend unabsehbar tief und unabwerflich schwer ist! Ich bin nur getäuscht und betrogen — wie Ihr! Aber Ihr seid nicht so elend, wie ich — denn Euch fehlt nur das Glück — ein Glück,

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[0088] So waren ihre Empfindungen. Aber Düvecke hatte ihre Augen geschlossen, denn sie hatte die Königin auch in der einfachen Kleidung erkannt. Frau Sigbritte, ihre Mutter, war indeß durch das Zimmer gegangen und hatte nur die an der warmen Sonne auf blühendem Rosengesträuch im Garten gesonnten weißen Bettchen für das Taufkind leicht zu Füßen der Wiege gelegt. Das Kind war aufgewacht. Düvecke nahm es aus der Wiege auf, drückte es noch einmal fest an sich und küßte es wie mit dem letzten Kusse; dann legte sie es in die von der Mutter gebrachten weißen Bettchen, band sie mit den Bändern zu, nahm es auf ihre Arme und kniete so mit dem Kinde auf einmal vor der Königin hin und sprach mit geisterhafter Stimme, das gute Weib überraschend: O Königin! nehmt das Kind von mir — es ist mein — und es sollte Euer sein! Nehmt es nur einmal auf Eure Arme, Euch und mir zum Trost! Mir brennen die Hände von dem kleinen Engel, den ich nicht verdient, der so unschuldig ist, wie seine Mutter schuldig — scheint, und doch nur unglücklich ist; wenn das kurze, bald gesprochene Wort, das die Luft so leicht trägt wie Nachtigallengesang, ach, wenn das Wort einen Zustand ausdrückt, dessen Elend unabsehbar tief und unabwerflich schwer ist! Ich bin nur getäuscht und betrogen — wie Ihr! Aber Ihr seid nicht so elend, wie ich — denn Euch fehlt nur das Glück — ein Glück,

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-16T10:50:59Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schefer_duevecke_1910/88>, abgerufen am 25.11.2024.