Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.I. Der goldene Elephant von Rothschild. Am Ufer und auf der Rhede von Bergen in Norwegen wurde die seltsamste Doppelscene gespielt. Eine davon war diese: auf dem Schiffe, das vor dem Hafen lavirte und bei heftigem Morgenwinde ihm nur sehr allmählich näher zu kommen vermochte, stand der Herzog Christian, Kronprinz von Dänemark, mit seinem Kanzler, Erik Walkendorp, Probst von Rothschild, in vertrautem Gespräch, die Augen nach der Stadt gerichtet. Es ist eine Narrheit! sprach der Herzog. Hierherzugehen? Hoheit! Finden Sie auf einmal Bedenken? Es wird Sie nicht gereuen! So ein Schatz ist unschätzbar! Nein, Hochwürdiger, entgegnete der Herzog; ich meine, es ist eine Narrheit, daß wir unter dem Joche des Regierens nicht frei umherschauen, unter dem Wuste von Schein und Scheinen nicht das Wesen ergreifen, die Masse von Vergnügen, die uns so leicht und so gern auf goldenen Tellern überall von den sklavischen Seelen dargeboten wird! Es ist eine Narrheit, daß wir uns das Leben nicht gerade zu der Zeit süß machen, I. Der goldene Elephant von Rothschild. Am Ufer und auf der Rhede von Bergen in Norwegen wurde die seltsamste Doppelscene gespielt. Eine davon war diese: auf dem Schiffe, das vor dem Hafen lavirte und bei heftigem Morgenwinde ihm nur sehr allmählich näher zu kommen vermochte, stand der Herzog Christian, Kronprinz von Dänemark, mit seinem Kanzler, Erik Walkendorp, Probst von Rothschild, in vertrautem Gespräch, die Augen nach der Stadt gerichtet. Es ist eine Narrheit! sprach der Herzog. Hierherzugehen? Hoheit! Finden Sie auf einmal Bedenken? Es wird Sie nicht gereuen! So ein Schatz ist unschätzbar! Nein, Hochwürdiger, entgegnete der Herzog; ich meine, es ist eine Narrheit, daß wir unter dem Joche des Regierens nicht frei umherschauen, unter dem Wuste von Schein und Scheinen nicht das Wesen ergreifen, die Masse von Vergnügen, die uns so leicht und so gern auf goldenen Tellern überall von den sklavischen Seelen dargeboten wird! Es ist eine Narrheit, daß wir uns das Leben nicht gerade zu der Zeit süß machen, <TEI> <text> <pb facs="#f0007"/> <body> <div type="chapter" n="1"> <head>I. Der goldene Elephant von Rothschild.</head> <p>Am Ufer und auf der Rhede von Bergen in Norwegen wurde die seltsamste Doppelscene gespielt.</p><lb/> <p>Eine davon war diese: auf dem Schiffe, das vor dem Hafen lavirte und bei heftigem Morgenwinde ihm nur sehr allmählich näher zu kommen vermochte, stand der Herzog Christian, Kronprinz von Dänemark, mit seinem Kanzler, Erik Walkendorp, Probst von Rothschild, in vertrautem Gespräch, die Augen nach der Stadt gerichtet.</p><lb/> <p>Es ist eine Narrheit! sprach der Herzog.</p><lb/> <p>Hierherzugehen? Hoheit! Finden Sie auf einmal Bedenken? Es wird Sie nicht gereuen! So ein Schatz ist unschätzbar!</p><lb/> <p>Nein, Hochwürdiger, entgegnete der Herzog; ich meine, es ist eine Narrheit, daß wir unter dem Joche des Regierens nicht frei umherschauen, unter dem Wuste von Schein und Scheinen nicht das Wesen ergreifen, die Masse von Vergnügen, die uns so leicht und so gern auf goldenen Tellern überall von den sklavischen Seelen dargeboten wird! Es ist eine Narrheit, daß wir uns das Leben nicht gerade zu der Zeit süß machen,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0007]
I. Der goldene Elephant von Rothschild. Am Ufer und auf der Rhede von Bergen in Norwegen wurde die seltsamste Doppelscene gespielt.
Eine davon war diese: auf dem Schiffe, das vor dem Hafen lavirte und bei heftigem Morgenwinde ihm nur sehr allmählich näher zu kommen vermochte, stand der Herzog Christian, Kronprinz von Dänemark, mit seinem Kanzler, Erik Walkendorp, Probst von Rothschild, in vertrautem Gespräch, die Augen nach der Stadt gerichtet.
Es ist eine Narrheit! sprach der Herzog.
Hierherzugehen? Hoheit! Finden Sie auf einmal Bedenken? Es wird Sie nicht gereuen! So ein Schatz ist unschätzbar!
Nein, Hochwürdiger, entgegnete der Herzog; ich meine, es ist eine Narrheit, daß wir unter dem Joche des Regierens nicht frei umherschauen, unter dem Wuste von Schein und Scheinen nicht das Wesen ergreifen, die Masse von Vergnügen, die uns so leicht und so gern auf goldenen Tellern überall von den sklavischen Seelen dargeboten wird! Es ist eine Narrheit, daß wir uns das Leben nicht gerade zu der Zeit süß machen,
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Zitationshilfe: | Schefer, Leopold: Die Düvecke, oder die Leiden einer Königin. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 19. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–119. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schefer_duevecke_1910/7>, abgerufen am 16.02.2025. |