Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

indem die Seele des Alten langsam vor ihnen vor-
beyschleicht, und sie daher genauer betrachtet;
und endlich die Schwächlichkeit des Alters, welche
auch den Geist und das Herz angreift, und klein-
müthiger macht.

Vierte Unterhaltung.
Ueber den
Trieb zur Thätigkeit.
"Sunt autem clariora, vel plane perspicua nec dubi-
tanda indicia naturae, maxime scilicet in ho-
mine, sed in omni animali, ut appetat animus
aliquid agere semper, neque ulla conditione
quietem sempiternam possit pati."
Cicero.

So lange der Mensch lebt, und sich seiner be-
wußt ist, fühlt er in sich den Reiz, bald diese,
bald jene seiner Kräfte auf diese oder jene Art
wirken zu lassen. So ist es bey Kindern, Jüng-
lingen, Männern und Greisen; alle werden,
wiewohl in verschiednem Grade, von dem Triebe
zur Thätigkeit bewegt.

Es ist nemlich zum Wohlbefinden des Men-
schen nothwendig, daß er sein Daseyn wahrneh-
me; denn nichts ist unerträglicher, als der Ge-
danke eine isolirte Null in der Reihe der Dinge
zu seyn: er kann sich aber auf keine andre Weise

als
X 5

indem die Seele des Alten langſam vor ihnen vor-
beyſchleicht, und ſie daher genauer betrachtet;
und endlich die Schwaͤchlichkeit des Alters, welche
auch den Geiſt und das Herz angreift, und klein-
muͤthiger macht.

Vierte Unterhaltung.
Ueber den
Trieb zur Thaͤtigkeit.
„Sunt autem clariora, vel plane perſpicua nec dubi-
tanda indicia naturae, maxime ſcilicet in ho-
mine, ſed in omni animali, ut appetat animus
aliquid agere ſemper, neque ulla conditione
quietem ſempiternam poſſit pati.„
Cicero.

So lange der Menſch lebt, und ſich ſeiner be-
wußt iſt, fuͤhlt er in ſich den Reiz, bald dieſe,
bald jene ſeiner Kraͤfte auf dieſe oder jene Art
wirken zu laſſen. So iſt es bey Kindern, Juͤng-
lingen, Maͤnnern und Greiſen; alle werden,
wiewohl in verſchiednem Grade, von dem Triebe
zur Thaͤtigkeit bewegt.

Es iſt nemlich zum Wohlbefinden des Men-
ſchen nothwendig, daß er ſein Daſeyn wahrneh-
me; denn nichts iſt unertraͤglicher, als der Ge-
danke eine iſolirte Null in der Reihe der Dinge
zu ſeyn: er kann ſich aber auf keine andre Weiſe

als
X 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0045" n="329"/>
indem die Seele des Alten lang&#x017F;am vor ihnen vor-<lb/>
bey&#x017F;chleicht, und &#x017F;ie daher genauer betrachtet;<lb/>
und endlich die Schwa&#x0364;chlichkeit des Alters, welche<lb/>
auch den Gei&#x017F;t und das Herz angreift, und klein-<lb/>
mu&#x0364;thiger macht.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>Vierte Unterhaltung.<lb/>
Ueber den<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Trieb zur Tha&#x0364;tigkeit</hi></hi>.</head><lb/>
        <cit>
          <quote> <hi rendition="#aq">&#x201E;Sunt autem clariora, vel plane per&#x017F;picua nec dubi-<lb/><hi rendition="#et">tanda indicia naturae, maxime &#x017F;cilicet in ho-<lb/>
mine, &#x017F;ed in omni animali, ut appetat animus<lb/>
aliquid agere &#x017F;emper, neque ulla conditione<lb/>
quietem &#x017F;empiternam po&#x017F;&#x017F;it pati.&#x201E;</hi></hi> </quote>
          <bibl><hi rendition="#aq #et #i">Cicero</hi>.</bibl>
        </cit><lb/>
        <p><hi rendition="#in">S</hi>o lange der Men&#x017F;ch lebt, und &#x017F;ich &#x017F;einer be-<lb/>
wußt i&#x017F;t, fu&#x0364;hlt er in &#x017F;ich den Reiz, bald die&#x017F;e,<lb/>
bald jene &#x017F;einer Kra&#x0364;fte auf die&#x017F;e oder jene Art<lb/>
wirken zu la&#x017F;&#x017F;en. So i&#x017F;t es bey Kindern, Ju&#x0364;ng-<lb/>
lingen, Ma&#x0364;nnern und Grei&#x017F;en; alle werden,<lb/>
wiewohl in ver&#x017F;chiednem Grade, von dem Triebe<lb/>
zur Tha&#x0364;tigkeit bewegt.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t nemlich zum Wohlbefinden des Men-<lb/>
&#x017F;chen nothwendig, daß er &#x017F;ein Da&#x017F;eyn wahrneh-<lb/>
me; denn nichts i&#x017F;t unertra&#x0364;glicher, als der Ge-<lb/>
danke eine i&#x017F;olirte Null in der Reihe der Dinge<lb/>
zu &#x017F;eyn: er kann &#x017F;ich aber auf keine andre Wei&#x017F;e<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">X 5</fw><fw place="bottom" type="catch">als</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[329/0045] indem die Seele des Alten langſam vor ihnen vor- beyſchleicht, und ſie daher genauer betrachtet; und endlich die Schwaͤchlichkeit des Alters, welche auch den Geiſt und das Herz angreift, und klein- muͤthiger macht. Vierte Unterhaltung. Ueber den Trieb zur Thaͤtigkeit. „Sunt autem clariora, vel plane perſpicua nec dubi- tanda indicia naturae, maxime ſcilicet in ho- mine, ſed in omni animali, ut appetat animus aliquid agere ſemper, neque ulla conditione quietem ſempiternam poſſit pati.„ Cicero. So lange der Menſch lebt, und ſich ſeiner be- wußt iſt, fuͤhlt er in ſich den Reiz, bald dieſe, bald jene ſeiner Kraͤfte auf dieſe oder jene Art wirken zu laſſen. So iſt es bey Kindern, Juͤng- lingen, Maͤnnern und Greiſen; alle werden, wiewohl in verſchiednem Grade, von dem Triebe zur Thaͤtigkeit bewegt. Es iſt nemlich zum Wohlbefinden des Men- ſchen nothwendig, daß er ſein Daſeyn wahrneh- me; denn nichts iſt unertraͤglicher, als der Ge- danke eine iſolirte Null in der Reihe der Dinge zu ſeyn: er kann ſich aber auf keine andre Weiſe als X 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/45
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/45>, abgerufen am 23.11.2024.