Wenn der Zorn sich vorzüglich in einem Wi- derstreben gegen den Willen des Andern zeigt, heißt er Trotz. Er zeigt sich am häufigsten bey eigensinnigen Menschen, welche es für das höchste Glück halten, ihren Willen zu haben, und daher auch niemand ein größeres Uebel zufügen zu kön- nen glauben, als wenn sie seinem Willen entgegen sind. So sucht das Kind, dessen Willen und Neigungen sein Erzieher brach, durch Trotz die- sen das fühlen zu lassen, was es selbst fühlte, und ihn dadurch zu bewegen, sich künftig seinen Nei- gungen mehr zu bequemen.
So fern sich der Zorn in dem Wunsch, sei- nen Gegenstand grausam zu behandlen, oder in der wirklichen grausamen Behandlung desselben zeigt, wird er Wuth genannt. Völlige Ver- nichtung ist der Zweck des Wüthenden, und auch seine eigne Aufopferung scheuet er nicht, wenn sie nur ein Mittel wird, die Zwecke seiner Wuth zu erreichen. Alles was um ihn und vor ihm ist, versengt, verheert und zerstört er, wenn er den Gegenstand seiner Wuth nicht erreichen kann, oder das, was um ihn und vor ihm ist, ihn daran hin- dert. Alles menschliche Gefühl wird in diesen Augenblicken erstickt, und nur bey dem kann der Zorn sich zur Wuth entflammen, der roh und gefühllos ist, oder dessen Affekten in dem Momen-
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Wenn der Zorn ſich vorzuͤglich in einem Wi- derſtreben gegen den Willen des Andern zeigt, heißt er Trotz. Er zeigt ſich am haͤufigſten bey eigenſinnigen Menſchen, welche es fuͤr das hoͤchſte Gluͤck halten, ihren Willen zu haben, und daher auch niemand ein groͤßeres Uebel zufuͤgen zu koͤn- nen glauben, als wenn ſie ſeinem Willen entgegen ſind. So ſucht das Kind, deſſen Willen und Neigungen ſein Erzieher brach, durch Trotz die- ſen das fuͤhlen zu laſſen, was es ſelbſt fuͤhlte, und ihn dadurch zu bewegen, ſich kuͤnftig ſeinen Nei- gungen mehr zu bequemen.
So fern ſich der Zorn in dem Wunſch, ſei- nen Gegenſtand grauſam zu behandlen, oder in der wirklichen grauſamen Behandlung deſſelben zeigt, wird er Wuth genannt. Voͤllige Ver- nichtung iſt der Zweck des Wuͤthenden, und auch ſeine eigne Aufopferung ſcheuet er nicht, wenn ſie nur ein Mittel wird, die Zwecke ſeiner Wuth zu erreichen. Alles was um ihn und vor ihm iſt, verſengt, verheert und zerſtoͤrt er, wenn er den Gegenſtand ſeiner Wuth nicht erreichen kann, oder das, was um ihn und vor ihm iſt, ihn daran hin- dert. Alles menſchliche Gefuͤhl wird in dieſen Augenblicken erſtickt, und nur bey dem kann der Zorn ſich zur Wuth entflammen, der roh und gefuͤhllos iſt, oder deſſen Affekten in dem Momen-
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Wenn der Zorn ſich vorzuͤglich in einem Wi-
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eigenſinnigen Menſchen, welche es fuͤr das hoͤchſte
Gluͤck halten, ihren Willen zu haben, und daher
auch niemand ein groͤßeres Uebel zufuͤgen zu koͤn-
nen glauben, als wenn ſie ſeinem Willen entgegen
ſind. So ſucht das Kind, deſſen Willen und
Neigungen ſein Erzieher brach, durch Trotz die-
ſen das fuͤhlen zu laſſen, was es ſelbſt fuͤhlte, und
ihn dadurch zu bewegen, ſich kuͤnftig ſeinen Nei-
gungen mehr zu bequemen.
So fern ſich der Zorn in dem Wunſch, ſei-
nen Gegenſtand grauſam zu behandlen, oder in
der wirklichen grauſamen Behandlung deſſelben
zeigt, wird er Wuth genannt. Voͤllige Ver-
nichtung iſt der Zweck des Wuͤthenden, und
auch ſeine eigne Aufopferung ſcheuet er nicht, wenn
ſie nur ein Mittel wird, die Zwecke ſeiner Wuth
zu erreichen. Alles was um ihn und vor ihm iſt,
verſengt, verheert und zerſtoͤrt er, wenn er den
Gegenſtand ſeiner Wuth nicht erreichen kann, oder
das, was um ihn und vor ihm iſt, ihn daran hin-
dert. Alles menſchliche Gefuͤhl wird in dieſen
Augenblicken erſtickt, und nur bey dem kann der
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gefuͤhllos iſt, oder deſſen Affekten in dem Momen-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 637. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/353>, abgerufen am 22.11.2024.
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