Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Ehre, sein guter Name angegriffen wird, ohne
daß er durch siegende Gründe den Angriff sogleich
zernichten könne. So ärgert sich der Held, wenn
der gegenüberstehende Feind ihn höhnt, ohne daß
er den Hohn bestrafen kann oder darf: und so är-
gert sich endlich der Edle, wenn sein ränkevoller
Feind, seinen Plan, der ihm tausend Stunden
und Millionen Schweißtropfen kostete, und ihm
schon im Geiste das durch seine Ausführung be-
wirkte Gute zeigte, zu nichte macht.

Aus den angeführten Gründen des Aergers
wird es sich leicht entwickeln lassen, warum man
es so lächerlich findet, wenn Kinder sich ärgern.
Kinder haben am wenigsten Ursach Prätensionen
zu machen, und sich die Mine der Wichtigkeit zu
geben; Kinder haben noch kein sehr verwickeltes
Jnteresse; es ist daher lächerlich, wenn sie durch
ihren Aerger verrathen, daß sie die Nichtachtung
eines Werths, den sie nicht haben, und die Ver-
nachlässigung eines Jnteresse, das sie noch nicht
einmal dem Namen nach kennen sollten, übel
empfinden.

Wenn uns eine Person, die wir herzlich lie-
ben, und von der wir es also gar nicht erwartet
hätten, Verdruß oder Aergerniß macht, und also
der Gram über den Mangel an Liebe, vor dem
Gefühl der Vernachlässigung und Herabsetzung
hervorsticht; so kränken wir uns. Es kränkt

den

Ehre, ſein guter Name angegriffen wird, ohne
daß er durch ſiegende Gruͤnde den Angriff ſogleich
zernichten koͤnne. So aͤrgert ſich der Held, wenn
der gegenuͤberſtehende Feind ihn hoͤhnt, ohne daß
er den Hohn beſtrafen kann oder darf: und ſo aͤr-
gert ſich endlich der Edle, wenn ſein raͤnkevoller
Feind, ſeinen Plan, der ihm tauſend Stunden
und Millionen Schweißtropfen koſtete, und ihm
ſchon im Geiſte das durch ſeine Ausfuͤhrung be-
wirkte Gute zeigte, zu nichte macht.

Aus den angefuͤhrten Gruͤnden des Aergers
wird es ſich leicht entwickeln laſſen, warum man
es ſo laͤcherlich findet, wenn Kinder ſich aͤrgern.
Kinder haben am wenigſten Urſach Praͤtenſionen
zu machen, und ſich die Mine der Wichtigkeit zu
geben; Kinder haben noch kein ſehr verwickeltes
Jntereſſe; es iſt daher laͤcherlich, wenn ſie durch
ihren Aerger verrathen, daß ſie die Nichtachtung
eines Werths, den ſie nicht haben, und die Ver-
nachlaͤſſigung eines Jntereſſe, das ſie noch nicht
einmal dem Namen nach kennen ſollten, uͤbel
empfinden.

Wenn uns eine Perſon, die wir herzlich lie-
ben, und von der wir es alſo gar nicht erwartet
haͤtten, Verdruß oder Aergerniß macht, und alſo
der Gram uͤber den Mangel an Liebe, vor dem
Gefuͤhl der Vernachlaͤſſigung und Herabſetzung
hervorſticht; ſo kraͤnken wir uns. Es kraͤnkt

den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0344" n="628"/>
Ehre, &#x017F;ein guter Name angegriffen wird, ohne<lb/>
daß er durch &#x017F;iegende Gru&#x0364;nde den Angriff &#x017F;ogleich<lb/>
zernichten ko&#x0364;nne. So a&#x0364;rgert &#x017F;ich der Held, wenn<lb/>
der gegenu&#x0364;ber&#x017F;tehende Feind ihn ho&#x0364;hnt, ohne daß<lb/>
er den Hohn be&#x017F;trafen kann oder darf: und &#x017F;o a&#x0364;r-<lb/>
gert &#x017F;ich endlich der Edle, wenn &#x017F;ein ra&#x0364;nkevoller<lb/>
Feind, &#x017F;einen Plan, der ihm tau&#x017F;end Stunden<lb/>
und Millionen Schweißtropfen ko&#x017F;tete, und ihm<lb/>
&#x017F;chon im Gei&#x017F;te das durch &#x017F;eine Ausfu&#x0364;hrung be-<lb/>
wirkte Gute zeigte, zu nichte macht.</p><lb/>
        <p>Aus den angefu&#x0364;hrten Gru&#x0364;nden des Aergers<lb/>
wird es &#x017F;ich leicht entwickeln la&#x017F;&#x017F;en, warum man<lb/>
es &#x017F;o la&#x0364;cherlich findet, wenn <hi rendition="#b">Kinder</hi> &#x017F;ich a&#x0364;rgern.<lb/>
Kinder haben am wenig&#x017F;ten Ur&#x017F;ach Pra&#x0364;ten&#x017F;ionen<lb/>
zu machen, und &#x017F;ich die Mine der Wichtigkeit zu<lb/>
geben; Kinder haben noch kein &#x017F;ehr verwickeltes<lb/>
Jntere&#x017F;&#x017F;e; es i&#x017F;t daher la&#x0364;cherlich, wenn &#x017F;ie durch<lb/>
ihren Aerger verrathen, daß &#x017F;ie die Nichtachtung<lb/>
eines Werths, den &#x017F;ie nicht haben, und die Ver-<lb/>
nachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igung eines Jntere&#x017F;&#x017F;e, das &#x017F;ie noch nicht<lb/>
einmal dem Namen nach kennen &#x017F;ollten, u&#x0364;bel<lb/>
empfinden.</p><lb/>
        <p>Wenn uns eine Per&#x017F;on, die wir herzlich lie-<lb/>
ben, und von der wir es al&#x017F;o gar nicht erwartet<lb/>
ha&#x0364;tten, Verdruß oder Aergerniß macht, und al&#x017F;o<lb/>
der Gram u&#x0364;ber den Mangel an Liebe, vor dem<lb/>
Gefu&#x0364;hl der Vernachla&#x0364;&#x017F;&#x017F;igung und Herab&#x017F;etzung<lb/>
hervor&#x017F;ticht; &#x017F;o <hi rendition="#b">kra&#x0364;nken</hi> wir uns. Es kra&#x0364;nkt<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">den</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[628/0344] Ehre, ſein guter Name angegriffen wird, ohne daß er durch ſiegende Gruͤnde den Angriff ſogleich zernichten koͤnne. So aͤrgert ſich der Held, wenn der gegenuͤberſtehende Feind ihn hoͤhnt, ohne daß er den Hohn beſtrafen kann oder darf: und ſo aͤr- gert ſich endlich der Edle, wenn ſein raͤnkevoller Feind, ſeinen Plan, der ihm tauſend Stunden und Millionen Schweißtropfen koſtete, und ihm ſchon im Geiſte das durch ſeine Ausfuͤhrung be- wirkte Gute zeigte, zu nichte macht. Aus den angefuͤhrten Gruͤnden des Aergers wird es ſich leicht entwickeln laſſen, warum man es ſo laͤcherlich findet, wenn Kinder ſich aͤrgern. Kinder haben am wenigſten Urſach Praͤtenſionen zu machen, und ſich die Mine der Wichtigkeit zu geben; Kinder haben noch kein ſehr verwickeltes Jntereſſe; es iſt daher laͤcherlich, wenn ſie durch ihren Aerger verrathen, daß ſie die Nichtachtung eines Werths, den ſie nicht haben, und die Ver- nachlaͤſſigung eines Jntereſſe, das ſie noch nicht einmal dem Namen nach kennen ſollten, uͤbel empfinden. Wenn uns eine Perſon, die wir herzlich lie- ben, und von der wir es alſo gar nicht erwartet haͤtten, Verdruß oder Aergerniß macht, und alſo der Gram uͤber den Mangel an Liebe, vor dem Gefuͤhl der Vernachlaͤſſigung und Herabſetzung hervorſticht; ſo kraͤnken wir uns. Es kraͤnkt den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/344
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 628. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/344>, abgerufen am 23.11.2024.