Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Nisus sein Leben opfern, um seinen Euryalus
zu erhalten*); durch stürmische Meere und über
ungeheure Gebirge will Julie ihren Romeo su-
chen, und der freye Bürger Gut und Leben da-
hingeben, um nicht ein Sclave zu werden.

Drey und zwanzigste Unterhaltung.
Ueber die
Rührung.

Wenn ein Zollikofer mit würdevoller, sanfter
und herzlicher Beredsamkeit seinen Zuhörern die
Freuden der Menschenliebe und die Glückseligkeit
der Tugend schildert, und wenn ein Fest mit Auf-
richtigkeit und Wahrheit, seine Leiden und die
Stimmung seines Herzens während derselben, er-

zählt,
*) Jn den herrlichen Versen Virgils.
Me, me (adsum, qui feci) in me conuertite ferrum,
O Rutuli: mea fraus omnis; nihil iste nec au[s]us;
Nec potuit: coelum hoc et conscia sidera testor.
Tantum infelicem nimium dilexit amicum.

Mich, mich -- hier seht ihr den Mörder --
wider mich, mich zucket die Schwerdter! Mein,
Rutuler, mein ist der Mord -- er hat nichts --
er konnte nichts wagen: Beym Himmel beschwör'
ich's und bey den Gestirnen, die meine That sahn.
Liebe, zu heiße Liebe zum Freund' ist sein einziger
Frevel.
Virgil. Aen. 9, 426.

Niſus ſein Leben opfern, um ſeinen Euryalus
zu erhalten*); durch ſtuͤrmiſche Meere und uͤber
ungeheure Gebirge will Julie ihren Romeo ſu-
chen, und der freye Buͤrger Gut und Leben da-
hingeben, um nicht ein Sclave zu werden.

Drey und zwanzigſte Unterhaltung.
Ueber die
Ruͤhrung.

Wenn ein Zollikofer mit wuͤrdevoller, ſanfter
und herzlicher Beredſamkeit ſeinen Zuhoͤrern die
Freuden der Menſchenliebe und die Gluͤckſeligkeit
der Tugend ſchildert, und wenn ein Feſt mit Auf-
richtigkeit und Wahrheit, ſeine Leiden und die
Stimmung ſeines Herzens waͤhrend derſelben, er-

zaͤhlt,
*) Jn den herrlichen Verſen Virgils.
Me, me (adſum, qui feci) in me conuertite ferrum,
O Rutuli: mea fraus omnis; nihil iſte nec au[ſ]us;
Nec potuit: coelum hoc et conſcia ſidera teſtor.
Tantum infelicem nimium dilexit amicum.

Mich, mich — hier ſeht ihr den Moͤrder —
wider mich, mich zucket die Schwerdter! Mein,
Rutuler, mein iſt der Mord — er hat nichts —
er konnte nichts wagen: Beym Himmel beſchwoͤr'
ich's und bey den Geſtirnen, die meine That ſahn.
Liebe, zu heiße Liebe zum Freund' iſt ſein einziger
Frevel.
Virgil. Aen. 9, 426.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0300" n="584"/><hi rendition="#b">Ni&#x017F;us</hi> &#x017F;ein Leben opfern, um &#x017F;einen <hi rendition="#b">Euryalus</hi><lb/>
zu erhalten<note place="foot" n="*)">Jn den herrlichen Ver&#x017F;en Virgils.<lb/><cit><quote><hi rendition="#aq">Me, me (ad&#x017F;um, qui feci) in me conuertite ferrum,<lb/>
O Rutuli: mea fraus omnis; nihil i&#x017F;te nec au<supplied>&#x017F;</supplied>us;<lb/>
Nec potuit: coelum hoc et con&#x017F;cia &#x017F;idera te&#x017F;tor.<lb/>
Tantum infelicem nimium dilexit amicum.</hi></quote></cit><lb/><cit><quote>Mich, mich &#x2014; hier &#x017F;eht ihr den Mo&#x0364;rder &#x2014;<lb/>
wider mich, mich zucket die Schwerdter! Mein,<lb/>
Rutuler, mein i&#x017F;t der Mord &#x2014; er hat nichts &#x2014;<lb/>
er konnte nichts wagen: Beym Himmel be&#x017F;chwo&#x0364;r'<lb/>
ich's und bey den Ge&#x017F;tirnen, die meine That &#x017F;ahn.<lb/>
Liebe, zu heiße Liebe zum Freund' i&#x017F;t &#x017F;ein einziger<lb/>
Frevel.</quote></cit> <bibl><hi rendition="#aq">Virgil. Aen.</hi> 9, 426.</bibl></note>; durch &#x017F;tu&#x0364;rmi&#x017F;che Meere und u&#x0364;ber<lb/>
ungeheure Gebirge will <hi rendition="#b">Julie</hi> ihren <hi rendition="#b">Romeo</hi> &#x017F;u-<lb/>
chen, und der freye Bu&#x0364;rger Gut und Leben da-<lb/>
hingeben, um nicht ein Sclave zu werden.</p>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head>Drey und zwanzig&#x017F;te Unterhaltung.<lb/>
Ueber die<lb/><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Ru&#x0364;hrung</hi>.</hi></head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">W</hi>enn ein Zollikofer mit wu&#x0364;rdevoller, &#x017F;anfter<lb/>
und herzlicher Bered&#x017F;amkeit &#x017F;einen Zuho&#x0364;rern die<lb/>
Freuden der Men&#x017F;chenliebe und die Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit<lb/>
der Tugend &#x017F;childert, und wenn ein Fe&#x017F;t mit Auf-<lb/>
richtigkeit und Wahrheit, &#x017F;eine Leiden und die<lb/>
Stimmung &#x017F;eines Herzens wa&#x0364;hrend der&#x017F;elben, er-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">za&#x0364;hlt,</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[584/0300] Niſus ſein Leben opfern, um ſeinen Euryalus zu erhalten *); durch ſtuͤrmiſche Meere und uͤber ungeheure Gebirge will Julie ihren Romeo ſu- chen, und der freye Buͤrger Gut und Leben da- hingeben, um nicht ein Sclave zu werden. Drey und zwanzigſte Unterhaltung. Ueber die Ruͤhrung. Wenn ein Zollikofer mit wuͤrdevoller, ſanfter und herzlicher Beredſamkeit ſeinen Zuhoͤrern die Freuden der Menſchenliebe und die Gluͤckſeligkeit der Tugend ſchildert, und wenn ein Feſt mit Auf- richtigkeit und Wahrheit, ſeine Leiden und die Stimmung ſeines Herzens waͤhrend derſelben, er- zaͤhlt, *) Jn den herrlichen Verſen Virgils. Me, me (adſum, qui feci) in me conuertite ferrum, O Rutuli: mea fraus omnis; nihil iſte nec auſus; Nec potuit: coelum hoc et conſcia ſidera teſtor. Tantum infelicem nimium dilexit amicum. Mich, mich — hier ſeht ihr den Moͤrder — wider mich, mich zucket die Schwerdter! Mein, Rutuler, mein iſt der Mord — er hat nichts — er konnte nichts wagen: Beym Himmel beſchwoͤr' ich's und bey den Geſtirnen, die meine That ſahn. Liebe, zu heiße Liebe zum Freund' iſt ſein einziger Frevel. Virgil. Aen. 9, 426.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/300
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 584. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/300>, abgerufen am 22.11.2024.