Brust des Mannes wird es warm, wenn der Ge- danke an seine Eltern sich an das Herz legt.
Was die glänzendsten Legationen, was selbst die Heiligthümer Roms nicht vermochten, das vermochte die Mutter über ihren Sohn Koriolan. Erbitterung, Rache, Aussichten mannigfacher Vortheile für Ehre und Macht, wenn er Rom angriffe und eroberte, waren in seinem Herzen: aber der Blick und die Worte einer Mutter rühr- ten sein Herz stärker, als alles jenes: er führte seine Heere zurück.
Wenn starben Jünglinge, sagt der Vater der Geschichte, einen edleren Tod, als Kleobis und Bion? Jhre arme Mutter hatte kein Zug- thier, ihren Wagen zum Tempel zu bringen: Kleobis und Bion ziehen den Wagen, führen die Mutter zum Heiligthume, und sterben nach ihrer Arbeit! --
Keine Vorstellung wirkt mehr auf das Herz des natürlichen und menschlichen Jünglings, als die, welche ihre Motive aus seinem Verhältniß gegen seine Eltern hernimmt. Für diese thut und leidet und überwindet er gern; und das, was er Gutes hat und thut, gewährt ihm die größte Freu- de durch den Gedanken, daß er dadurch seine El- tern erfreut.
Wie könnte es auch anders seyn? -- Wie könnte die genaue durch die Natur geschloßne Ver-
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Bruſt des Mannes wird es warm, wenn der Ge- danke an ſeine Eltern ſich an das Herz legt.
Was die glaͤnzendſten Legationen, was ſelbſt die Heiligthuͤmer Roms nicht vermochten, das vermochte die Mutter uͤber ihren Sohn Koriolan. Erbitterung, Rache, Ausſichten mannigfacher Vortheile fuͤr Ehre und Macht, wenn er Rom angriffe und eroberte, waren in ſeinem Herzen: aber der Blick und die Worte einer Mutter ruͤhr- ten ſein Herz ſtaͤrker, als alles jenes: er fuͤhrte ſeine Heere zuruͤck.
Wenn ſtarben Juͤnglinge, ſagt der Vater der Geſchichte, einen edleren Tod, als Kleobis und Bion? Jhre arme Mutter hatte kein Zug- thier, ihren Wagen zum Tempel zu bringen: Kleobis und Bion ziehen den Wagen, fuͤhren die Mutter zum Heiligthume, und ſterben nach ihrer Arbeit! —
Keine Vorſtellung wirkt mehr auf das Herz des natuͤrlichen und menſchlichen Juͤnglings, als die, welche ihre Motive aus ſeinem Verhaͤltniß gegen ſeine Eltern hernimmt. Fuͤr dieſe thut und leidet und uͤberwindet er gern; und das, was er Gutes hat und thut, gewaͤhrt ihm die groͤßte Freu- de durch den Gedanken, daß er dadurch ſeine El- tern erfreut.
Wie koͤnnte es auch anders ſeyn? — Wie koͤnnte die genaue durch die Natur geſchloßne Ver-
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Bruſt des Mannes wird es warm, wenn der Ge-
danke an ſeine Eltern ſich an das Herz legt.
Was die glaͤnzendſten Legationen, was ſelbſt
die Heiligthuͤmer Roms nicht vermochten, das
vermochte die Mutter uͤber ihren Sohn Koriolan.
Erbitterung, Rache, Ausſichten mannigfacher
Vortheile fuͤr Ehre und Macht, wenn er Rom
angriffe und eroberte, waren in ſeinem Herzen:
aber der Blick und die Worte einer Mutter ruͤhr-
ten ſein Herz ſtaͤrker, als alles jenes: er fuͤhrte
ſeine Heere zuruͤck.
Wenn ſtarben Juͤnglinge, ſagt der Vater
der Geſchichte, einen edleren Tod, als Kleobis
und Bion? Jhre arme Mutter hatte kein Zug-
thier, ihren Wagen zum Tempel zu bringen:
Kleobis und Bion ziehen den Wagen, fuͤhren
die Mutter zum Heiligthume, und ſterben nach
ihrer Arbeit! —
Keine Vorſtellung wirkt mehr auf das Herz
des natuͤrlichen und menſchlichen Juͤnglings, als
die, welche ihre Motive aus ſeinem Verhaͤltniß
gegen ſeine Eltern hernimmt. Fuͤr dieſe thut und
leidet und uͤberwindet er gern; und das, was er
Gutes hat und thut, gewaͤhrt ihm die groͤßte Freu-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/279>, abgerufen am 22.11.2024.
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