Gehe hin, Unglücklicher, der du wie Rous- seau glaubst, du könnest unter deinen Brüdern keinen finden, der sein Herz mit dir theile, gehe hin und suche nur, und du wirst doch endlich fin- den. Das empfindende Thier und die von deiner Phantasie belebte Natur füllen doch die Leerheit deines Herzens nicht aus. Das Kind liebt sein Hündlein, wie seinen Gespielen, aber der Mann will verstanden seyn.
Wie grausam ist oft der Mensch gegen sich selbst! Er stößt durch Stolz, Herrschsucht und Geiz seine Brüder von seinem Herzen zurück, und sucht ihre Entfernung aus der niedrigern Schö- pfung zu ersetzen!
O Thor, der du dieser Grausamkeit gegen dich selbst schuldig bist, frage doch dein Herz, ob die Liebkosungen deiner vernunftlosen Gesellschaf- ter die Liebe deiner vernünftigen Brüder ersetzen! Willst du herrschen, so bekehre dich: Herrsche über die Thiere, und liebe deine Brüder!
Zwan-
Gehe hin, Ungluͤcklicher, der du wie Rouſ- ſeau glaubſt, du koͤnneſt unter deinen Bruͤdern keinen finden, der ſein Herz mit dir theile, gehe hin und ſuche nur, und du wirſt doch endlich fin- den. Das empfindende Thier und die von deiner Phantaſie belebte Natur fuͤllen doch die Leerheit deines Herzens nicht aus. Das Kind liebt ſein Huͤndlein, wie ſeinen Geſpielen, aber der Mann will verſtanden ſeyn.
Wie grauſam iſt oft der Menſch gegen ſich ſelbſt! Er ſtoͤßt durch Stolz, Herrſchſucht und Geiz ſeine Bruͤder von ſeinem Herzen zuruͤck, und ſucht ihre Entfernung aus der niedrigern Schoͤ- pfung zu erſetzen!
O Thor, der du dieſer Grauſamkeit gegen dich ſelbſt ſchuldig biſt, frage doch dein Herz, ob die Liebkoſungen deiner vernunftloſen Geſellſchaf- ter die Liebe deiner vernuͤnftigen Bruͤder erſetzen! Willſt du herrſchen, ſo bekehre dich: Herrſche uͤber die Thiere, und liebe deine Bruͤder!
Zwan-
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0272"n="556"/><p>Gehe hin, Ungluͤcklicher, der du wie <hirendition="#b">Rouſ-<lb/>ſeau</hi> glaubſt, du koͤnneſt unter deinen Bruͤdern<lb/>
keinen finden, der ſein Herz mit dir theile, gehe<lb/>
hin und ſuche nur, und du wirſt doch endlich fin-<lb/>
den. Das empfindende Thier und die von deiner<lb/>
Phantaſie belebte Natur fuͤllen doch die Leerheit<lb/>
deines Herzens nicht aus. Das <hirendition="#b">Kind</hi> liebt ſein<lb/>
Huͤndlein, wie ſeinen Geſpielen, aber der <hirendition="#b">Mann</hi><lb/>
will <hirendition="#b">verſtanden</hi>ſeyn.</p><lb/><p>Wie grauſam iſt oft der Menſch gegen ſich<lb/>ſelbſt! Er ſtoͤßt durch Stolz, Herrſchſucht und<lb/>
Geiz ſeine Bruͤder von ſeinem Herzen zuruͤck, und<lb/>ſucht ihre Entfernung aus der niedrigern Schoͤ-<lb/>
pfung zu erſetzen!</p><lb/><p>O Thor, der du dieſer Grauſamkeit gegen<lb/>
dich ſelbſt ſchuldig biſt, frage doch dein Herz, ob<lb/>
die Liebkoſungen deiner vernunftloſen Geſellſchaf-<lb/>
ter die Liebe deiner vernuͤnftigen Bruͤder erſetzen!<lb/>
Willſt du herrſchen, ſo bekehre dich: Herrſche<lb/>
uͤber die Thiere, und liebe deine Bruͤder!</p></div><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><fwplace="bottom"type="catch">Zwan-</fw><lb/></body></text></TEI>
[556/0272]
Gehe hin, Ungluͤcklicher, der du wie Rouſ-
ſeau glaubſt, du koͤnneſt unter deinen Bruͤdern
keinen finden, der ſein Herz mit dir theile, gehe
hin und ſuche nur, und du wirſt doch endlich fin-
den. Das empfindende Thier und die von deiner
Phantaſie belebte Natur fuͤllen doch die Leerheit
deines Herzens nicht aus. Das Kind liebt ſein
Huͤndlein, wie ſeinen Geſpielen, aber der Mann
will verſtanden ſeyn.
Wie grauſam iſt oft der Menſch gegen ſich
ſelbſt! Er ſtoͤßt durch Stolz, Herrſchſucht und
Geiz ſeine Bruͤder von ſeinem Herzen zuruͤck, und
ſucht ihre Entfernung aus der niedrigern Schoͤ-
pfung zu erſetzen!
O Thor, der du dieſer Grauſamkeit gegen
dich ſelbſt ſchuldig biſt, frage doch dein Herz, ob
die Liebkoſungen deiner vernunftloſen Geſellſchaf-
ter die Liebe deiner vernuͤnftigen Bruͤder erſetzen!
Willſt du herrſchen, ſo bekehre dich: Herrſche
uͤber die Thiere, und liebe deine Bruͤder!
Zwan-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/272>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.