Der Grad der Sympathie ist nicht immer derselbe, sondern wird theils durch das sympathi- sirende Subjekt, theils durch den Gegenstand, mit dem sympathisirt wird, bestimmt.
Jm Allgemeinen wird das Mitgefühl um so stärker seyn, je lebhafter die Vorstellun- gen von dem, was der Andere empfindet, sind. Denn je lebhafter eine Vorstellung ist, desto näher bringt sie ihren Gegenstand der Em- pfindung, desto leichter wird es also der Phanta- sie sich denselben zu vergegenwärtigen, und so auf das Herz zu wirken.
Derjenige also, welcher eine reizbare und feine Organisation hat, wird stärker mit Andern mit empfinden, als der, bey welchem das Gegentheil statt findet. Denn jener bedarf nur einer schwa- chen Anregung, um afficirt zu werden, und kann die Gefühle des Andern leicht zu den seinigen ma- chen. Der gebildete Mensch sympathisirt leichter, als der Bauer, das Weib leichter, wie der Mann, der Jüngling leichter, wie der Greis; und die Dichter führen es als eine Eigenschaft der Unter- götter, denen sie alle eine gröbere Gestalt, als den Obergöttern, geben, an; daß kein mensch- liches Flehn sie erweichen könne*)-
Wenn
*) So sagt Virgil in seinen Georgicis: -- -- Manes adiit, Regemque tremendum Nesciaque humanis precibus mansuescere corda.
Der Grad der Sympathie iſt nicht immer derſelbe, ſondern wird theils durch das ſympathi- ſirende Subjekt, theils durch den Gegenſtand, mit dem ſympathiſirt wird, beſtimmt.
Jm Allgemeinen wird das Mitgefuͤhl um ſo ſtaͤrker ſeyn, je lebhafter die Vorſtellun- gen von dem, was der Andere empfindet, ſind. Denn je lebhafter eine Vorſtellung iſt, deſto naͤher bringt ſie ihren Gegenſtand der Em- pfindung, deſto leichter wird es alſo der Phanta- ſie ſich denſelben zu vergegenwaͤrtigen, und ſo auf das Herz zu wirken.
Derjenige alſo, welcher eine reizbare und feine Organiſation hat, wird ſtaͤrker mit Andern mit empfinden, als der, bey welchem das Gegentheil ſtatt findet. Denn jener bedarf nur einer ſchwa- chen Anregung, um afficirt zu werden, und kann die Gefuͤhle des Andern leicht zu den ſeinigen ma- chen. Der gebildete Menſch ſympathiſirt leichter, als der Bauer, das Weib leichter, wie der Mann, der Juͤngling leichter, wie der Greis; und die Dichter fuͤhren es als eine Eigenſchaft der Unter- goͤtter, denen ſie alle eine groͤbere Geſtalt, als den Obergoͤttern, geben, an; daß kein menſch- liches Flehn ſie erweichen koͤnne*)-
Wenn
*) So ſagt Virgil in ſeinen Georgicis: — — Manes adiit, Regemque tremendum Neſciaque humanis precibus manſueſcere corda.
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Der Grad der Sympathie iſt nicht immer
derſelbe, ſondern wird theils durch das ſympathi-
ſirende Subjekt, theils durch den Gegenſtand,
mit dem ſympathiſirt wird, beſtimmt.
Jm Allgemeinen wird das Mitgefuͤhl um
ſo ſtaͤrker ſeyn, je lebhafter die Vorſtellun-
gen von dem, was der Andere empfindet,
ſind. Denn je lebhafter eine Vorſtellung iſt,
deſto naͤher bringt ſie ihren Gegenſtand der Em-
pfindung, deſto leichter wird es alſo der Phanta-
ſie ſich denſelben zu vergegenwaͤrtigen, und ſo auf
das Herz zu wirken.
Derjenige alſo, welcher eine reizbare und feine
Organiſation hat, wird ſtaͤrker mit Andern mit
empfinden, als der, bey welchem das Gegentheil
ſtatt findet. Denn jener bedarf nur einer ſchwa-
chen Anregung, um afficirt zu werden, und kann
die Gefuͤhle des Andern leicht zu den ſeinigen ma-
chen. Der gebildete Menſch ſympathiſirt leichter,
als der Bauer, das Weib leichter, wie der Mann,
der Juͤngling leichter, wie der Greis; und die
Dichter fuͤhren es als eine Eigenſchaft der Unter-
goͤtter, denen ſie alle eine groͤbere Geſtalt, als
den Obergoͤttern, geben, an; daß kein menſch-
liches Flehn ſie erweichen koͤnne *)-
Wenn
*) So ſagt Virgil in ſeinen Georgicis:
— — Manes adiit, Regemque tremendum
Neſciaque humanis precibus manſueſcere corda.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 520. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/236>, abgerufen am 28.07.2024.
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