Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

braucht; die Sache aber genau untersucht, doch
ihr Jndividuum zum Zweck hat.

Jch hoffe, diese Behauptung durch die fol-
genden Untersuchungen zu bestätigen, und fürchte
nicht, daß man aus dem Resultate derselben den
Vorwurf des Egoismus für die menschliche Na-
tur durch falsche Konsequenzen herleiten werde;
indem gewiß dem Egoismus durch nichts besser
vorgebeugt werden konnte, als dadurch, daß das
Wohlseyn Anderer so innig mit dem eignen Wohl
verwebt wurde, daß es als ein nothwendiges Er-
forderniß zu diesem gehört.

Das Mitgefühl, welches entweder Mitlei-
den
oder Mitfreude ist, ist eine Theilnehmung
an dem, was Andere empfinden; und setzt also
eine Wahrnehmung der Empfindungen Andrer
voraus. Diese Empfindungen selbst aber können,
als etwas, das in dem Jnnern des Menschen ist,
nicht wahrgenommen werden; nur den Ausdruck
derselben kann man sehen oder hören. Diesen
hörbaren oder sichtbaren Ausdrücken legt man
nun, aus seiner eignen Erfahrung unterrichtet,
diejenigen Empfindungen unter, von welchen man
glaubt, daß jene Ausdrücke sie bezeichnen, und
trägt so durch Vermittelung der Repräsentantin
der wirklichen Empfindung, der Einbildungskraft,
die Empfindungen des Anderen in sich selbst hin-
über: und wird, wenn diese angenehm sind, von

Mit-
Kk 3

braucht; die Sache aber genau unterſucht, doch
ihr Jndividuum zum Zweck hat.

Jch hoffe, dieſe Behauptung durch die fol-
genden Unterſuchungen zu beſtaͤtigen, und fuͤrchte
nicht, daß man aus dem Reſultate derſelben den
Vorwurf des Egoismus fuͤr die menſchliche Na-
tur durch falſche Konſequenzen herleiten werde;
indem gewiß dem Egoismus durch nichts beſſer
vorgebeugt werden konnte, als dadurch, daß das
Wohlſeyn Anderer ſo innig mit dem eignen Wohl
verwebt wurde, daß es als ein nothwendiges Er-
forderniß zu dieſem gehoͤrt.

Das Mitgefuͤhl, welches entweder Mitlei-
den
oder Mitfreude iſt, iſt eine Theilnehmung
an dem, was Andere empfinden; und ſetzt alſo
eine Wahrnehmung der Empfindungen Andrer
voraus. Dieſe Empfindungen ſelbſt aber koͤnnen,
als etwas, das in dem Jnnern des Menſchen iſt,
nicht wahrgenommen werden; nur den Ausdruck
derſelben kann man ſehen oder hoͤren. Dieſen
hoͤrbaren oder ſichtbaren Ausdruͤcken legt man
nun, aus ſeiner eignen Erfahrung unterrichtet,
diejenigen Empfindungen unter, von welchen man
glaubt, daß jene Ausdruͤcke ſie bezeichnen, und
traͤgt ſo durch Vermittelung der Repraͤſentantin
der wirklichen Empfindung, der Einbildungskraft,
die Empfindungen des Anderen in ſich ſelbſt hin-
uͤber: und wird, wenn dieſe angenehm ſind, von

Mit-
Kk 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0233" n="517"/>
braucht; die Sache aber genau unter&#x017F;ucht, doch<lb/>
ihr Jndividuum zum <hi rendition="#b">Zweck</hi> hat.</p><lb/>
        <p>Jch hoffe, die&#x017F;e Behauptung durch die fol-<lb/>
genden Unter&#x017F;uchungen zu be&#x017F;ta&#x0364;tigen, und fu&#x0364;rchte<lb/>
nicht, daß man aus dem Re&#x017F;ultate der&#x017F;elben den<lb/>
Vorwurf des Egoismus fu&#x0364;r die men&#x017F;chliche Na-<lb/>
tur durch fal&#x017F;che Kon&#x017F;equenzen herleiten werde;<lb/>
indem gewiß dem Egoismus durch nichts be&#x017F;&#x017F;er<lb/>
vorgebeugt werden konnte, als dadurch, daß das<lb/>
Wohl&#x017F;eyn Anderer &#x017F;o innig mit dem eignen Wohl<lb/>
verwebt wurde, daß es als ein nothwendiges Er-<lb/>
forderniß zu die&#x017F;em geho&#x0364;rt.</p><lb/>
        <p>Das Mitgefu&#x0364;hl, welches entweder <hi rendition="#b">Mitlei-<lb/>
den</hi> oder <hi rendition="#b">Mitfreude</hi> i&#x017F;t, i&#x017F;t eine Theilnehmung<lb/>
an dem, was Andere empfinden; und &#x017F;etzt al&#x017F;o<lb/>
eine Wahrnehmung der Empfindungen Andrer<lb/>
voraus. Die&#x017F;e Empfindungen &#x017F;elb&#x017F;t aber ko&#x0364;nnen,<lb/>
als etwas, das in dem Jnnern des Men&#x017F;chen i&#x017F;t,<lb/>
nicht wahrgenommen werden; nur den <hi rendition="#b">Ausdruck</hi><lb/>
der&#x017F;elben kann man &#x017F;ehen oder ho&#x0364;ren. Die&#x017F;en<lb/>
ho&#x0364;rbaren oder &#x017F;ichtbaren Ausdru&#x0364;cken legt man<lb/>
nun, aus &#x017F;einer eignen Erfahrung unterrichtet,<lb/>
diejenigen Empfindungen unter, von welchen man<lb/>
glaubt, daß jene Ausdru&#x0364;cke &#x017F;ie bezeichnen, und<lb/>
tra&#x0364;gt &#x017F;o durch Vermittelung der Repra&#x0364;&#x017F;entantin<lb/>
der wirklichen Empfindung, der Einbildungskraft,<lb/>
die Empfindungen des Anderen in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t hin-<lb/>
u&#x0364;ber: und wird, wenn die&#x017F;e angenehm &#x017F;ind, von<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Kk 3</fw><fw place="bottom" type="catch">Mit-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[517/0233] braucht; die Sache aber genau unterſucht, doch ihr Jndividuum zum Zweck hat. Jch hoffe, dieſe Behauptung durch die fol- genden Unterſuchungen zu beſtaͤtigen, und fuͤrchte nicht, daß man aus dem Reſultate derſelben den Vorwurf des Egoismus fuͤr die menſchliche Na- tur durch falſche Konſequenzen herleiten werde; indem gewiß dem Egoismus durch nichts beſſer vorgebeugt werden konnte, als dadurch, daß das Wohlſeyn Anderer ſo innig mit dem eignen Wohl verwebt wurde, daß es als ein nothwendiges Er- forderniß zu dieſem gehoͤrt. Das Mitgefuͤhl, welches entweder Mitlei- den oder Mitfreude iſt, iſt eine Theilnehmung an dem, was Andere empfinden; und ſetzt alſo eine Wahrnehmung der Empfindungen Andrer voraus. Dieſe Empfindungen ſelbſt aber koͤnnen, als etwas, das in dem Jnnern des Menſchen iſt, nicht wahrgenommen werden; nur den Ausdruck derſelben kann man ſehen oder hoͤren. Dieſen hoͤrbaren oder ſichtbaren Ausdruͤcken legt man nun, aus ſeiner eignen Erfahrung unterrichtet, diejenigen Empfindungen unter, von welchen man glaubt, daß jene Ausdruͤcke ſie bezeichnen, und traͤgt ſo durch Vermittelung der Repraͤſentantin der wirklichen Empfindung, der Einbildungskraft, die Empfindungen des Anderen in ſich ſelbſt hin- uͤber: und wird, wenn dieſe angenehm ſind, von Mit- Kk 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/233
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 517. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/233>, abgerufen am 23.11.2024.